Sie vermahnt ihre Seele zu der wahren Innigkeit des Geistes von Angelus Silesius

1
Schwing dich auf, mein Täubelein, behende
Und verflieg dich in dein letztes Ende.
Fleuch hinweg vom irdischen Getümmel
Und begib dich in den stillen Himmel.
 
2
Dein Gemahl, mit dem du dich verbunden,
Wird in keiner Unruh je gefunden.
Drum, so du mit ihm willst selig nisten,
10 
Schwenk dich in die ungeschaffne Wüsten.
 
11 
3
12 
Töt in dir all eitele Verlangen
13 
Und was sonsten dich noch hält gefangen.
14 
Halt dein Herz und deine Kräft und Sinnen
15 
Ledig und mit wahrer Andacht innen.
 
16 
4
17 
Steig hinauf mit englischen Geberden
18 
Und vergiß der Dinge, die auf Erden.
19 
Halte dich dem Eingen abgescheiden,
20 
Der dich ewig trösten kann und weiden.
 
21 
5
22 
Also wird der König dich begehren
23 
Und sein gnädges Antlitz dir gewähren.
24 
Also wird der Bräutigam dich küssen
25 
Und du seiner wonniglich genießen.
 
26 
6
27 
Drum flieg auf, mein Täublein, meine Seele,
28 
Schwing dich aus den Schranken deiner Höhle.
29 
Flieg zu Gott mit innigem Gemüte
30 
Und empfah sein ewge Lieb und Güte.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Sie vermahnt ihre Seele zu der wahren Innigkeit des Geistes“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
153
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das sowohl christlich-spirituelle als auch barocke Gedicht „Sie vermahnt ihre Seele zu der wahren Innigkeit des Geistes“ stammt von Angelus Silesius, geboren 1624 und gestorben 1677. Angelus Silesius ist ein Vertreter der Gegenreformation und des Barocks, das Gedicht könnte also ungefähr in der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden sein.

Der erste Eindruck des Gedichts erzeugt eine intensive Gefühlswelt, die nach innere Ruhe und Harmonie strebt. Im Mittelpunkt steht eine individuelle und ganz persönliche Spiritualität, gepaart mit der Betonung einer Abkehr von der irdischen Welt.

Inhaltlich spricht das lyrische Ich – vermutlich die Dichterfigur selbst – seine eigene Seele an. Der grundlegende Appell ist ein Aufruf zur inneren Einkehr und zur transzendenten Verbindung mit dem Göttlichen. Es geht um die Überwindung irdischer Bedürfnisse und Bindungen, um in der Spiritualität und Reinheit des göttlichen Daseins Ruhe zu finden.

Die in den 24 Versen vierhebigen Jamben gesprochene Botschaft des lyrischen Ichs lautet also, dass es notwendig sei, sich von den weltlichen und materiellen Verstrickungen zu lösen und einen Zustand innerer Andacht und Hingabe zu erlangen, um in die himmlische Liebesgemeinschaft mit Gott einzutreten. In der Spiritualität des Glaubens sieht das lyrische Ich den ultimativen Trost, die wahre Freiheit und das höchste Glück.

Sprachlich sowie formal ist das Gedicht gekennzeichnet durch eine einfache, klare Sprache. Es besteht aus sechs vierzeiligen Strophen mit einem durchgehenden Kreuzreim. Der Gebrauch von Bildersprache, wie „Täubelein“ für Seele oder „ungeschaffne Wüsten“ für das Jenseits, stellt die Dinge gefühlsmäßig näher dar und betont gleichzeitig die Kontraste zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen. Silesius' Gedicht spiegelt in seiner sprachlichen wie formalen Gestaltung, seinem Gebrauch von Bildern und Metaphern, die barocke Poesie wieder und lässt gleichzeitig die intensive Spiritualität des Autors erkennen.

Weitere Informationen

Angelus Silesius ist der Autor des Gedichtes „Sie vermahnt ihre Seele zu der wahren Innigkeit des Geistes“. Im Jahr 1624 wurde Silesius in Breslau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1640 und 1677. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Barock zuordnen. Der Schriftsteller Silesius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Zeitepoche des Barocks erstreckt sich über den Zeitraum von 1600 bis ungefähr 1720. Diesen Zeitraum kann man in drei weitere Abschnitte unterteilen: Frühbarock, Hochbarock und Spätbarock. Das Leben der Menschen der damaligen Zeit war geprägt von der Pest und dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648). Die Menschen lebten in schwierigen Verhältnissen. Adelige erlaubten sich hingegen einen luxuriösen Lebensstil, wohingegen das normale Volk von Armut geplagt war. Die Fürsten wollten immer mehr Einfluss auf Erziehung und Lebensstil erlangen. Bauernaufstände und Unruhen führten jedoch zu einem Umdenken der Menschen und zu einem wachsendem Selbstbewusstsein. Krieg und Elend lösten in der ärmeren Bevölkerung ein tiefes Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit aus. Dagegen lebten die alleinigen, absolutistischen Herrscher in verschwenderischem Luxus und ließen sich Prunkschlösser bauen. Diese Gegensätze von Lebenslust und Todesangst bzw. Luxus und Armut spiegelten sich ebenfalls in der Barockliteratur wider. In der Lyrik wird der Einsatz solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. In der Barockliteratur löste die deutsche Sprache das Lateinische ab. Autoren und Werke sind zahlreich in dieser Zeit. Martin Opitz, Andreas Gryphius oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen sind typische Vertreter des Barocks.

Das 153 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Die Gedichte „Die Weisheit ist ein Quell“, „Das Vieh lebt nach den Sinnen“ und „Die Gliedmaßen der Seelen“ sind weitere Werke des Autors Angelus Silesius. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Sie vermahnt ihre Seele zu der wahren Innigkeit des Geistes“ weitere 1832 Gedichte vor.

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