Sie begehrt in die Brust Christi von Angelus Silesius

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Gegrüßet seist du, süße Brust,
Die mir zum Trost und ewger Lust
So mildiglich geflossen.
Du Balsamritz, du Rosentür,
Du reicher Mund, durch den sich mir
Mein Heilstrom ausgegossen.
Ach, wasch doch ab und schweif geschwind
Von meiner Brust weg alle Sünd.
 
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Ich sehne mich in dich hinein,
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In dich, du hochgewünschter Schrein,
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Sehn ich mich einzuschließen.
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Du hast den Schatz, das Herz, in dir,
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Das meine Seele für und für
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An sich will ziehn und küssen.
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Ach, laß mich doch zu meinem Schatz,
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Du freudenreicher Herzensplatz.
 
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Ich suche Ruh für meine Seel,
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Sie will in dich, du stille Höhl,
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Du Ruhestätt der Müden.
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Ich bin verjagt und auf der Flucht
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Und werde von dem Feind gesucht,
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Ach, bring mich doch in Frieden!
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Ach, laß mich ein zur rechten Zeit,
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Du meine Burg und Sicherheit!
 
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Ich nahe mich mit keuscher Brunst
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Zu dir und suche deine Gunst,
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Du goldne Lebenspforte.
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Mein Leben hänget bloß daran,
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Daß ich mir Atem schöpfen kann
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In dir und deinem Orte.
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Ach, zeuch mich doch in dich hinein,
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Daß ich nicht darf ohn Atem sein.
 
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Du hast mich ja schon längst getröst,
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Da du am Kreuz dich mir entblößt
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Und mütterlich gezeiget.
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Da du dein Wasser und dein Blut,
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Die rosenfarbne Gnadenflut,
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Dem harten Speer gezweiget.
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Vollziehs, doch nun zu deiner Lust,
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O Brust, o süße Jesus-Brust.
 
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Schau, ich setz an meins Geistes Mund
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Und saug an deiner offnen Wund,
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Als einer Rosenblume.
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Ich zieh in mich deins Herzens Saft,
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Den edelen Geruch und Kraft
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Und stärk mich dir zum Ruhme.
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O Jesus, meiner Seelen Lust,
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Vergönne mir doch deine Brust!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.5 KB)

Details zum Gedicht „Sie begehrt in die Brust Christi“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
54
Anzahl Wörter
266
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Sie begehrt in die Brust Christi“ stammt von Angelus Silesius, einem Dichter des Barocks, der im 17. Jahrhundert gelebt hat.

Der erste Eindruck des Gedichts ist stark geprägt durch die religiöse Inbrunst und tiefe Verehrung, die das lyrische Ich für Jesus Christus empfindet.

Inhaltlich scheint das Gedicht eine sehr persönliche und leidenschaftliche Form des Gebets zu sein, in dem das lyrische Ich sich nach der Nähe und Geborgenheit in Christus, symbolisiert durch dessen Brust, sehnt. Es betont den Wunsch, von Sünden gereinigt zu werden, physische und emotionale Sicherheit zu finden und schließlich Zugang zur „goldnen Lebenspforte“ zu erlangen, ein Bild für das ewige Leben im christlichen Verständnis.

Formal besteht das Gedicht aus sechs Strophen à acht Versen. Jede Strophe endet mit einer Art Bitte oder Appell an Jesus Christus, welches das zentrale Anliegen des lyrischen Ichs hervorhebt. Im Hinblick auf die Sprache fällt auf, dass das Gedicht reich an metaphorischen Ausdrücken ist, beispielsweise „goldne Lebenspforte“, „Balsamritz“ oder „rosenfarbne Gnadenflut“. Dies verleiht dem Text poetische Dichte und Tiefe.

Das lyrische Ich nutzt das Bild der Brust Christi als Quelle für heilende und stärkende „Säfte“, vergleichbar mit mütterlicher Milch, was auf eine tiefe spirituelle Verbundenheit und Hingabe hinweist. Weil das lyrische Ich sich in Christi Brust sicher und behütet fühlt, drückt es das starke Bedürfnis aus, in diese aufgenommen zu werden.

Diesem Wunsch liegt eine deutliche persönliche Not zugrunde, die sich in einer metaphysischen Sehnsucht niederschlägt. Diese Intensität wird durch den wiederholten Einsatz des Ausrufs „Ach“ unterstrichen, der das Leid und die Qual der Trennung betont.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Gedicht eine tiefgehende religiös-spirituelle Erfahrung des lyrischen Ichs ausdrückt, die von Sehnsucht, Verlangen und Leid bis hin zu Trost und Hoffnung reicht. Dabei nutzt Silesius eine stark bildhafte und emotionale Sprache, um die Tiefe und Komplexität dieser Erfahrung zu vermitteln.

Weitere Informationen

Angelus Silesius ist der Autor des Gedichtes „Sie begehrt in die Brust Christi“. Geboren wurde Silesius im Jahr 1624 in Breslau. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1640 und 1677. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Bei Silesius handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die europäische Stilepoche des 17. und 18. Jahrhunderts, die wir heute als Barock bezeichnen, leitet sich von dem portugiesischen Wort „barocco“ ab. Das portugiesische Wort stammt ursprünglich aus dem Juwelierhandwerk und heißt auf Deutsch „unregelmäßige, schiefrunde Perle“. Durch die Pest starben um die 30 % der Bevölkerung. Auch der Dreißigjährige Krieg führte zu einem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verfall im Deutschen Reich. Trotzdem lebten die Fürsten einen luxuriösen und ausschweifenden Lebensstil vor. Sie nutzten das Durcheinander nach dem Krieg, um eine Neuordnung der Territorien vorzunehmen und ihre Macht weiter auszubauen. Die Epoche des Barocks zeichnet sich vorwiegend durch die Antithetik, also einem von Gegensätzen und Widersprüchen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es im Barock vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Diesseits und Jenseits, Wollust und Tugend oder Weltverneinung und Weltzugewandtheit. In Deutschland führte der Barock zu einer Ablösung der lateinischen Sprache im Schriftwerk - einschließlich der wissenschaftlichen und philosophischen Literatur - durch die deutsche Sprache. Im Barockzeitalter war der überwiegende Teil der Literatur Gelegenheitsdichtung. Man schrieb zur gehobenen Unterhaltung oder bei Hofe zur Fürstenhuldigung. Für die wohlhabende Bevölkerung schrieben Dichter für Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten. Die Lyrik im Barock wird daher auch als Gesellschaftsdichtung bezeichnet.

Das Gedicht besteht aus 54 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 266 Worte. Weitere Werke des Dichters Angelus Silesius sind „Die Weisheit ist ein Quell“, „Das Vieh lebt nach den Sinnen“ und „Die Gliedmaßen der Seelen“. Zum Autor des Gedichtes „Sie begehrt in die Brust Christi“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1832 Gedichte veröffentlicht.

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