Das Saitenspiel von Johann Gottfried Herder

Was singt in euch, ihr Saiten?
Was tönt in eurem Schall?
Bist du es, Klagenreiche
Geliebte Nachtigall?
Die, als sie meinem Herzen
Wehklagete so zart,
Vielleicht im lezten Seufzer.
Zum Silberlaute ward.
 
Was spricht in euch, ihr Saiten?
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Was singt in eurem Schall?
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Betrügst du mich, o Liebe,
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Mit süßem Wiederhall?
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Du Täuscherinn der Herzen,
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Geliebter Lippen Tand,
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Bist du vielleicht in Töne,
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Du Flüchtige, verbannt?
 
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Es spricht mit stärkrer Stimme,
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Es dringet mir ans Herz;
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Es weckt mit Zaubergriffen
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Den längst-entschlafnen Schmerz.
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Du bebst in mir, o Seele,
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Wirst selbst ein Saitenspiel –
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In welches Geistes Händen?
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Voll zitterndem Gefühl.
 
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Es schwebet aus den Saiten;
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Es lispelt mir ins Ohr.
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Der Geist der Harmonieen,
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Der Weltgeist tritt hervor.
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„Ich bin es, der die Wesen
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In ihre Hülle zwang,
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Und sie mit Zaubertönen
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Des Wohlgefühls durchdrang.
 
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In rauher Felsenhöle
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Bin ich dir Wiederhall;
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Im Ton der kleinen Kehle
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Gesang der Nachtigall.
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Ich bins, der in der Klage
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Dein Herz zum Mitleid rührt,
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Und in der Andacht Chören
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Es auf zum Himmel führt.
 
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Ich stimmete die Welten
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In Einen Wunderklang;
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Zu Seelen flossen Seelen,
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Ein ewger Chorgesang.
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Vom zarten Ton beweget,
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Durchängstet sich dein Herz
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Und fühlt der Schmerzen Freude,
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Der Freude süßen Schmerz.“ –
 
49 
Verhall’ o Stimm’, ich höre
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Der ganzen Schöpfung Lied,
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Das Seelen fest an Seelen,
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Zu Herzen Herzen zieht.
53 
In Ein Gefühl verschlungen
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Sind wir ein ewig All;
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In Einen Ton verklungen
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Der Gottheit Wiederhall.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „Das Saitenspiel“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
236
Entstehungsjahr
1787
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das lyrische Gedicht „Das Saitenspiel“ wurde von Johann Gottfried Herder, einem Dichter der deutschen Aufklärung und Romantik, geschrieben. Er lebte vom 25. August 1744 bis zum 18. Dezember 1803, weshalb das Gedicht in den Kontext des späten 18. Jahrhunderts und frühen 19. Jahrhunderts einzuordnen ist.

Beim ersten Lesen hinterlässt das Gedicht einen Eindruck von tiefem Nachdenken und Emotion. Die lyrische Stimme stellt Fragen an die Saiten eines Instruments und erwartet Antworten auf seine Fragen über Liebe, Seele und das Universum.

In einfachen Worten handelt das Gedicht von einer introspektiven Reise. Die lyrische Stimme scheint sowohl emotionale als auch philosophische Fragen zu stellen, dabei scheint sie nach dem Sinn und der Rolle der Menschheit im Universum zu suchen. Es ist eine Reflexion über die emotionale Wirkung von Musik und die vereinende Kraft der Harmonie im Kontext des Universums.

Bei der Analyse kann man feststellen, dass das lyrische Ich zunächst die Musik und ihre Wirkung thematisiert, es bringt dabei Gefühle der Sehnsucht und Melancholie zum Ausdruck. Im weiteren Verlauf versucht es, eine tiefere Ebene der Existenz zu ergründen. Es interpretiert die Musik in einem metaphysischen Kontext und schließt daraus auf eine göttliche Präsenz.

Die Form des Gedichts ist strukturiert und beinhaltet sieben Strophen mit jeweils acht Versen. Die Sprache ist metaphorisch und reich an Bildern, was dazu beiträgt, die emotionalen und philosophischen Themen des Werks zu verstärken. Darüber hinaus wird die Musik als Kommunikationsmittel verwendet, um die metaphysischen Aspekte hervorzuheben.

Je nach Interpretation kann dieses Gedicht als Ausdruck des Glaubens an eine universale Harmonie und die Verbindung aller Wesen angesehen werden. Es kann aber auch als eine Darstellung von Herders introspektiver Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens und der menschlichen Existenz interpretiert werden. Gleichzeitig zeigt das Gedicht Herders Bewunderung und tiefes Verständnis für Musik und Klang als universale Ausdrucksform und Kommunikationsmittel.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Das Saitenspiel“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. 1787 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Gotha. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Literaturepoche, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Vertreter des Sturm und Drang waren häufig junge Autoren im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) ist einer der bedeutendsten Dichter der Weimarer Klassik. 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird heute als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Epoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Die Klassik geht von der Erziehbarkeit des Individuums zum Guten aus. Ihr Ziel ist die Humanität, die wahre Menschlichkeit (das Schöne, Gute, Wahre). Die Autoren der Klassik gingen davon aus, dass Gott den Menschen Vernunft und Gefühle gibt und die Menschen damit dem Leben einen Sinn geben. Der Mensch ist also von höheren Mächten abhängig. In der Gestaltung wurde das Wesentliche, Gültige, Gesetzmäßige aber auch der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die Hauptvertreter der Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller.

Das Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 236 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Gottfried Herder sind „An den Schlaf“, „An die Freundschaft“ und „Apollo“. Zum Autor des Gedichtes „Das Saitenspiel“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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