Das Ross aus dem Berge von Johann Gottfried Herder
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Glänzend anzuschauen sind der Erde |
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Mond und Sonne, schönes Gold und Silber. |
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Prächtig funkeln sie hervor, und schmücken, |
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Und sind köstlich alles zu erkaufen, |
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Nur nicht Leben und Gesundheit. Mächtig |
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Ziehet an ihr Glanz, daß nur der Arme |
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Wagt, sie zu entbehren, und der Reiche |
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Stets, je mehr er hat, je mehr er lüstet. |
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Also reich war Böhmenlandes Herzog |
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Krzesomysl. Sein Land war zwischen Bergen, |
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Die ihm Bäume, Gold und Silber sproßten, |
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Und die Flüsse gossen Goldeskörner, |
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Die die Armen wuschen und ihm zollten. |
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Aber Er grub tiefer in der Berge |
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Bauch, und holt der alten Mutter Erde |
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Eingeweid’ hervor; erbeutet Stücke |
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Gold und Silber, schwerer als er selbst war, |
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Und legt Berge seinem Abgott nieder, |
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Doch je mehr er hat, je mehr ihm fehlet. |
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Land und Aecker liegen ungebauet; |
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Alles Volk, verbannt in grause Tiefen, |
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Wühlt die Erd’ auf, seufzet auf zum Fürsten; |
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Doch wo hört ein Fürst des Volkes Seufzer |
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Tief im Bauch der Erde? |
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Und der Himmel |
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Höret sie; und plötzlich wird der Himmel, |
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Wie des Fürsten Herz, von Erz und Eisen, |
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Denn es regnet nicht. Aus dürrem Boden |
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Steigt hervor der Hunger, blaß und gräßlich; |
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Würget Haufen, arme Haufen nieder, |
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Und begräbt sie tief im Bauch der Erde. |
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Und es wallen Haufen, arme Haufen, |
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Hungernder, Verschmachtender zum Fürsten: |
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»Vater, gieb uns Brot für unsre Kinder, |
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Und für uns. Wir sterben! – Laß uns lieber |
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Unsre Aecker bauen statt der Berge, |
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Statt der Gruben uns in Hütten wohnen, |
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Vater, höre Deine Kinder! höre!« |
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Und es höret sie ein andrer Vater, |
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Der schon lang’ in seinem Berge wohnte, |
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Und sich oft des Volkes Noth erbarmte – |
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Hört die Wundersage! |
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Einst am Abend |
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Ging ein Edler, der des Landes Jammer |
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Tief im Herzen fühlte, der zum Fürsten |
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Oftmals trat, und immer bat vergebens; |
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Er, der Armen Zuflucht, Er ein heller |
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Stern im Dunkeln, der sein letztes Brot nun |
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Unter seine Mitgenossen theilte, |
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Horymyrz ging traurig in der Wüste, |
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Und sprach bei sich also: »Wohin soll ich? – |
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Wiederkehren in mein Haus des Elends, |
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Jetzt des Hungers und des Todes Wohnung; |
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Oder – « |
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Und ein Mann stand plötzlich vor ihm, |
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Hoch und greis. Er hielt ein Roß am Zaume, |
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Rosses Augen funkelten wie Blitze, |
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Seine Nase sprühte Feuerfunken, |
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Und das Roß war weiß. Der greise Mann sprach: |
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»Horymyrz, du Guter, nimm das Roß hier; |
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Schennik ist sein Name, bei dem Namen |
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Nenn’ es in der Noth; es wird dir helfen. |
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Aber jetzt geh’ und verschütte eilig |
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Alle Bergesklüfte. Aus den Klüften |
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Steigt ein Dampf gen Himmel, Pest den Armen.« – |
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Also sprach der Mann, und ihm vor Augen |
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Ging er in den Berg; der Berg verschloß sich. |
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Und mit hellen Augen stand das Roß da, |
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Wieherte und scharrte. Zitternd faßt es |
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Horymyrz, und streichelt es gar freundlich: |
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»Schennik, lieber Schennik, bei dem Namen |
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Nenn’ ich dich; du sollt, du wirst mir helfen!« |
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Schwang sich drauf; das Roß flog wie der Wind schnell |
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Hin zum Goldgebirge. Plötzlich wiehert, |
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Stampft das Roß, und tausend Bergegeister, |
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Alfen, Zwerge kommen ihm zu Hülfe; |
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Tief aufheulend fiel die graufe Kluft zu. |
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Mitternacht war’s, und der Mond am Himmel |
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Leuchtet freundlich. Wie der Pfeil im Winde |
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Flog das Roß, und trug ihn hin zum Pallast |
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Krzesomysls. Es dämmert kaum der Morgen; |
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Horymyrz ist da, und dient dem Fürsten; |
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Seine Feinde, die die Botschaft bringen, |
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Kommen eilend erst den zweiten Tag an. |
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Weh nun, weh dem gräulichen Verwüster, |
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Der dem Könige sein Herz geraubt hat! |
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Für ihn bitten seine treuen Freunde: |
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»Herr, ist er nicht gestern hier gewesen? |
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Und wer kann im Fluge dort und hier seyn? |
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Welches Mannes Hand vermag in Einer |
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Nacht sie zu verschütten, diese Klüfte?« |
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All’ umsonst! »Er sterbe! Morgen sterb’ er!« |
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Morgen kommt, und seines Todes wartend |
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Steht der Gute; als das Wort des Mannes |
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Aus dem Berge, wie ein Blitz ihn durchfuhr: |
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»Schennik ist sein Name. Bei dem Namen |
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Nenn’ es in der Noth; es wird dir helfen.« |
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»Herzog, spricht er, eh ich sterbe, gönne |
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Mir noch eine kleine Freud’ und Bitte. |
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Laß mein Roß mich, meinen Freund im Leben, |
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Einmal noch auf diesem Platze tummeln.« |
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Dessen lacht der Fürst. Verriegelt werden |
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Alle Pforten. Jetzt, du Bergverwüster, |
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Wird die Thorenbitte dir gewähret. |
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Horymyrz geht ängstig zu dem Stalle, |
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Wo sein Roß mit hellen Augen traurig |
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Steht und harret, als ob es ihm spräche: |
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»Hast du mein vergessen?« Ihn erblickend |
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Wieherts auf, und beut ihm seinen Rücken: |
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»Schennik, lieber Schennik, hilf, o hilf mir!« |
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Kaum hat er das stille Wort gesaget, |
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Ist es in der Luft, und trägt ihn über |
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Thor und Riegel, hin zu seinem Schlosse, |
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Wo ihn tausend Gute froh empfangen, |
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Folgend ihm, wie Bienen ihrem Weiser. |
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Aber Schennik stehet traurig, neiget |
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Matt das Haupt; sein Auge glänzet dunkel, |
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Und o Wunder! er erhebt die Stimme: |
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»Sterben muß ich, muß ein Raub der Wölfe, |
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Muß ein Aas für Hund’ und Geier werden, |
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Wenn du eilig mich zu meinem Berge |
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Nicht geleitest. Mein Werk ist vollendet.« |
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Eilig führet ers zu seinem Berge, |
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Der sich aufthut, und es stand der Mann da; |
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Freudig wiehert ihm das Roß mit hellen |
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Augen, neu-verjüngt. Der Mann sprach freundlich: |
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»Wohl dir, daß du thatest, was zu thun war! |
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Dafür wird es deinen Söhnen wohlgehn, |
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Und du wirst des Landes Retter heißen. |
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Primislaus ist mein Name, Böhmens |
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Erster Fürst bin ich und Stammesvater; |
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Dieses Roß, es ist das Roß Libußens, |
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Auf dem oft sie ihre Kinder siehet, |
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Und aus Noth errettet.« Also sprach er, |
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Nahm das Roß, und ging hinein zum Berge. |
Details zum Gedicht „Das Ross aus dem Berge“
Johann Gottfried Herder
23
135
901
1796
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Das Ross aus dem Berge“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem bedeutenden Schriftsteller und Philosophen der deutschen Aufklärung. Herder lebte von 1744 bis 1803, und das Gedicht kann dem Kontext seiner Zeit zugeordnet werden, speziell der Strömung der Sturm und Drang-Bewegung, die sich durch emotionale und naturnahe Dichtung auszeichnete.
Auf den ersten Blick fällt die Märchenhaftigkeit und Fantasie des Gedichts auf, das von mächtigen Herrschern, den Leiden ihres Volkes und der Errettung durch Zauber und Legenden erzählt. Es ähnelt einer alten Fabel oder Volksgeschichte, die eine moralische Lektion vermitteln soll.
Im Zentrum des Gedichts steht die Figur des Herzogs Krzesomysl, der von der Gold- und Silbergewinnung aus den Bergen besessen ist und durch diese Gewinnung das Land und die Menschen ausbeutet. Die daraus resultierende Not und das Elend des Volkes werden in zahlreichen Versen plastisch und eindringlich dargestellt. Dem gegenüber steht die Figur des Edlen Horymyrz, der durch das magische Ross, Schennik, das Land von der Ausbeutung befreit.
Das lyrische Ich greift in diesem Gedicht in die Perspektive verschiedener Figuren ein. Es kommentiert das Geschehen und deutet es aus unterschiedlichen Blickwinkeln, was die Mehrdimensionalität der erzählten Geschichte unterstreicht.
Das Gedicht besteht aus mehreren Strophen unterschiedlicher Länge und verwendet einen Reim und Rhythmus, der der Struktur einer Erzählung oder einer Ballade ähnelt. Der Sprachstil ist bildhaft und emotional und die Verwendung von archaischen Formulierungen und Redewendungen betont den volkstümlichen Charakter der Erzählung.
Die Bilder und Symbole in diesem Gedicht sind kraftvoll und häufig auf die Naturelemente bezogen. Das Gold und Silber repräsentieren dabei die Gier und die Ausbeutung, während das Ross Schennik ein Symbol für Freiheit und Erlösung darstellt.
Zusammengefasst beschreibt das Gedicht „Das Ross aus dem Berge“ die Ausbeutung des Volkes durch einen gierigen Herzog und die anschließende Rettung durch das Zauberross. Dabei werden bildhafte und emotionale Sprachbilder verwendet und so eine stimmungsvolle und bedeutsame Erzählung kreiert. Der historische Kontext von Herders Zeit fließt dabei ebenso in das Werk ein wie märchenhafte und volkstümliche Elemente. Es ist ein deutlicher Appell an das Sozialbewusstsein der Leser und vermittelt zugleich, dass Gier und Ausbeutung letztlich zur Zerstörung führen, während Selbstlosigkeit und Mitgefühl die wahren Werte repräsentieren.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Das Ross aus dem Berge“ ist Johann Gottfried Herder. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. 1796 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Neustrelitz. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Epoche der Literatur, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Die Literaturepoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich dabei gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich darüber hinaus auch gegen das Bürgertum, das als freudlos und eng galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest der Epoche des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Autoren des Sturm und Drang waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, häufig unter 30 Jahre alt. In den Dichtungen wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.
Die Weimarer Klassik war geprägt durch die Französische Revolution mit ihren Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Der Kampf um eine Verfassung, die revolutionäre Diktatur unter Robespierre und der darauffolgende Bonapartismus führten zu den Grundstrukturen des 19. Jahrhundert (Nationalismus, Liberalismus und Imperialismus). Die Literaturepoche der Weimarer Klassik lässt sich zeitlich mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und mit Goethes Tod 1832 eingrenzen. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Die Vertreter der Weimarer Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit zu erreichen. In der Lyrik haben die Autoren auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Beispielsweise war so die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders geschätzt. Darüber hinaus verwendeten die Dichter eine pathetische, gehobene Sprache. Goethe, Schiller, Wieland und Herder können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik betrachtet werden. Aber nur Goethe und Schiller motivierten und inspirierten einander durch intensive Zusammenarbeit und wechselseitige Kritik.
Das 901 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 135 Versen mit insgesamt 23 Strophen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Gesetz der Welten im Menschen“, „Das Glück“ und „Das Kind der Sorge“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Ross aus dem Berge“ weitere 413 Gedichte vor.
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Zum Autor Johann Gottfried Herder sind auf abi-pur.de 413 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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