Das Riesenkind von Carl Streckfuß
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War einst ein Riesen-Kindlein, |
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Zwölf Jahr alt, ziemlich klein, |
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Vier Spannen lang das Mündlein, |
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Kaum drei die Aeugelein, |
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Sieben Spannen lang die Nase, |
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Sehr wohl proportionirt, |
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Von der Fee, ihrer alten Base, |
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Mit Schönheit hoch geziert. |
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Der Leib verhältnißmäßig; |
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Sehr artig war’s dazu. |
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Auch war es nicht gefräßig, |
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Zwei Schaf’ und eine Kuh, |
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Die gnügten zu einem Mahle, |
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Dazu ihr ins Becherlein |
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Goß aus dem großen Pokale |
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Ihr Vater ein’n Eimer Wein. |
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Das Mädchen war gütig und billig, |
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Wie stets die Großen sind, |
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Wenn auch ein wenig muthwillig, |
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War ja ein vornehm Kind; |
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Fuhr herum zu Wagen und Schlitten, |
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Ging auch mit schwebendem Gang |
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Durchs Feld spazieren, mit Schritten, |
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An funfzehn Klaftern lang. |
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Einst ging die liebe Kleine |
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Weit fort mit lustigem Sinn, |
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Und fühlte müde die Beine, |
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Und streckt’ am Hügel sich hin; |
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Bedeckt’ einen ganzen Morgen |
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Vom schönsten Waizenfeld, |
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Und ruht’ ohn’ alle Sorgen, |
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Hatt’ Alles wohl bestellt. |
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Und sieh, da kam ein Bauer |
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Herbei mit Pflug und Gaul, |
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Und sperrte vor Graus und Schauer |
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Weit auf Nase, Aug’ und Maul, |
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Wie er das Kindlein erblickte, |
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Das unserm armen Zwerg |
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Das Waizenfeld zerdrückte, |
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Hoch, wie ein ziemlicher Berg. |
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Die Kleine horcht, was leise |
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Dort unten sich knisternd regt, |
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Meint erst, es wären Mäuse, |
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Lauscht still und unbewegt, |
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Erkennt dann die niedlichen Dinger, |
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Und faßt sich vor Freuden kaum, |
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Legt zurecht zum Haschen die Finger, |
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Stark, wie ein mäßiger Baum. |
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Und fährt mit dem zarten Händchen, |
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Etwa zwei Klaftern lang, |
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Hervor ein ziemliches Endchen, |
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Gleichwie zum Fliegenfang. |
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Den Gaul, sammt seinem Herren |
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Ob beid’ auch wiehern und schrein, |
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Und zappeln, sich wehren und sperren, |
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Streicht’s rasch ins Schürzchen ein. |
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Dann läuft sie, wie’s Kinderchen machen, |
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Mit dem Fang frohlockend nach Haus, |
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Und schüttet mit Kichern und Lachen |
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Auf den Tisch die Dingerchen aus, |
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Daß beiden die Rippen knacken; |
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Da aber kneipt der Papa |
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Das Kind in die rosiger Backen, |
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Und spricht: Was bringst du da? |
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Ein Bäuerchen ists und sein Pferdchen, |
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Versetzt die Kleine darauf. |
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Die Gliederchen sieh, die Geberdchen! |
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Sieh nur, jetzt richtet sich’s auf! |
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Jetzt hinkt’s, jetzt schreit’s, jetzt fällt es! |
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O du kleiner, possierlicher Zwerg! |
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Ach, Väterchen, ach, mir gefällt es |
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Wie Spielzeug von Nürenberg. |
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Für solcherlei Scherz empfänglich, |
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Lacht erst der Vater dazu, |
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Doch schüttelt den Kopf dann bedenklich, |
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Und spricht: Du Närrchen, du, |
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Die Bauern, vernimm es, gehören |
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Mit den Rossen zur Arbeit ins Feld; |
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Man muß sie dabei nicht stören, |
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Bevor sie Alles bestellt. |
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Wir haben hungrige Magen |
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Und können beinah noch mehr |
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Als hundert Menschen vertragen. |
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Wo aber nimmt man’s her? |
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Das müssen die Bauern schaffen |
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In unser großes Schloß. |
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Drum schone den armen Laffen |
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Und achte, wie ihn, sein Roß. |
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Drum bringe sie Beide lebendig |
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Auf jenes Feld zurück! – |
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Das Mädchen, sehr verständig, |
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Gehorcht’ im Augenblick, |
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Nahm sorglich beid’ in die Hände, |
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Wie man ein Vöglein hält, |
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Und setzte sie behende |
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Aufs zerdrückte Waizenfeld. |
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Der Bauer, etwas hinkend, |
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Faßt gern sich in Geduld, |
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Gar sehr geehrt sich dünkend |
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Von des Herrn erhabener Huld, |
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Und rühmt sich: Ich kam zum Riesen |
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Durch die Güte seines Kinds! |
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Da ward mir viel Ehr’ erwiesen – |
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’S ist gar ein gnädiger Prinz. |
Details zum Gedicht „Das Riesenkind“
Carl Streckfuß
13
104
524
1824
Klassik,
Romantik,
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts ist Carl Streckfuß, ein deutscher Dichter, der von 1778 bis 1844 lebte. Damit fällt das Gedicht in die Epoche der Romantik und unter Umständen bereits in den Beginn der Biedermeierzeit.
Auf den ersten Eindruck erscheint das Gedicht heiter und fantasievoll mit einem jugendlichen Protagonisten, dessen Wahrnehmung und Verhalten der Welt gegenüber auf einer kindlichen Naivität und Unschuld basiert.
Das Gedicht „Das Riesenkind“ erzählt in 13 Strophen die Geschichte eines riesenhaften Mädchens. Die ersten Strophen beschreiben das physische Aussehen des Mädchens und geben einen Einblick in seinen Alltag, einschließlich seiner Essgewohnheiten und Freizeitaktivitäten. Es wird betont, dass sie gut proportioniert und durch ihre Großzügigkeit und Freundlichkeit gekennzeichnet ist, obwohl sie durch ihre Größe auffällt.
Ihre Größe zeigt sich auch in anderen Alltagsaktivitäten, wie zum Beispiel in einer Szene, in der sie ein Weizenfeld als Schlafplatz nutzt, was zu einer Begegnung mit einem erschrockenen Bauern führt. Dieser stößt auf das schlafende Riesenkind und stößt einen Schrei des Entsetzens aus. Die Riesin nimmt den Bauern und sein Pferd in ihre Handflächen und bringt sie zu ihrem Vater. Die Bauern und das Pferd, die für das Mädchen wie Spielzeug aussehen, werden jedoch vom Vater des Mädchens kritisiert, der ihr die Notwendigkeit ihrer Arbeit für das Überleben der Gesellschaft erklärt.
Die Form des Gedichtes ist sehr strukturiert, mit einem festen Vers- und Strophenmuster, das dem Leser eine klare Struktur und einen klaren Rhythmus vermittelt. Die Sprache ist einfach und leicht verständlich, mit einer Präferenz für klare, direkte Ausdrücke. Es gibt jedoch auch eine Präferenz für beschreibende und bildliche Sprache, um das enorme Ausmaß des Riesenmädchens und die Wirkung, die sie auf ihre Umgebung hat, zu demonstrieren. Schließlich offenbart das Gedicht eine moralische Dimension, wenn es die Werte von Respekt und Verantwortung gegenüber anderen, insbesondere den Arbeitern in der Gesellschaft, betont.
Insgesamt vereint das Gedicht „Das Riesenkind“ von Carl Streckfuß humorvolle und fantasievolle Elemente mit einer ernsteren Botschaft über soziale Verantwortung und Respekt vor den Beiträgen aller Mitglieder der Gesellschaft.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Das Riesenkind“ ist Carl Streckfuß. 1778 wurde Streckfuß in Gera geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1824. Erscheinungsort des Textes ist Halle. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Klassik, Romantik oder Biedermeier zuordnen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 524 Wörter. Es baut sich aus 13 Strophen auf und besteht aus 104 Versen. Der Dichter Carl Streckfuß ist auch der Autor für Gedichte wie „Actäon“, „An Maria del Caro“ und „An Nadine“. Zum Autor des Gedichtes „Das Riesenkind“ haben wir auf abi-pur.de weitere 50 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Carl Streckfuß sind auf abi-pur.de 50 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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