Das Liedchen von der Reue von Heinrich Heine

Herr Ulrich reitet im grünen Wald,
Die Blätter lustig rauschen.
Er sieht eine holde Mädchengestalt
Durch Baumeszweige lauschen.
 
Der Junker spricht: Wohl kenne ich
Dies blühende, glühende Bildniß,
Verlockend stets umschwebt es mich
In Volksgewühl und Wildniß.
 
Zwei Röslein sind die Lippen dort,
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Die lieblichen, die frischen;
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Doch manches häßlich bitt’re Wort
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Schleicht tückisch oft dazwischen.
 
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Drum gleicht dies Mündlein gar genau
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Den hübschen Rosenbüschen,
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Wo gift’ge Schlangen wunderschlau
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Im dunkeln Laube zischen.
 
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Dort jenes Grübchen wunderlieb
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In wunderlieben Wangen,
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Das ist die Grube, worein mich trieb
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Wahnsinniges Verlangen.
 
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Dort seh’ ich ein schönes Lockenhaar
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Vom schönsten Köpfchen hangen;
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Das sind die Netze wunderbar,
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Womit mich der Böse gefangen.
 
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Und jenes blaue Auge dort,
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So klar, wie stille Welle,
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Das hielt ich für des Himmels Pfort’,
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Doch war’s die Pforte der Hölle. –
 
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Herr Ulrich reitet weiter im Wald,
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Die Blätter rauschen schaurig.
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Da sieht er von fern eine zweite Gestalt,
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Die ist so bleich, so traurig.
 
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Der Junker spricht: O Mutter dort,
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Die mich so mütterlich liebte,
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Der ich mit bösem Thun und Wort
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Das Leben bitterlich trübte!
 
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O, könnt ich dir trocknen die Augen naß,
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Mit der Gluth von meinen Schmerzen!
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O, könnt ich dir röthen die Wangen blaß
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Mit dem Blut aus meinem Herzen!
 
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Und weiter reitet Herr Ulerich,
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Im Wald beginnt es zu düstern,
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Viel seltsame Stimmen regen sich,
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Die Abendwinde flüstern.
 
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Der Junker hört die Worte sein
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Gar vielfach wiederklingen.
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Das thaten die spöttischen Waldvöglein,
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Die zwitschern laut und singen:
 
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Herr Ulrich singt ein hübsches Lied,
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Das Liedchen von der Reue,
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Und hat er zu Ende gesungen das Lied,
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So singt er es wieder auf’s Neue.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „Das Liedchen von der Reue“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
274
Entstehungsjahr
1817–1821
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Liedchen von der Reue“ stammt von Heinrich Heine, einem der bekanntesten deutschen Lyriker des 19. Jahrhunderts. Er lebte von 1797 bis 1856, bzw. gehört zur Romantik und Vormärz.

Das Gedicht hinterlässt auf den ersten Blick den Eindruck eines rhythmisch-kraftvollen Stücks, das von Natur, Schönheit und Reue handelt. Heine's unverwechselbarer Ton jedoch vermischt Romantik mit scharfer Ironie und sozialpolitischem Kommentar.

Im Inhalt, handelt das Gedicht von der Hauptfigur, Herr Ulrich, der durch den Wald reitet und auf eine anziehende Frauengestalt trifft. Der Ritter (Ulrich) ist von der Schönheit und Anziehungskraft dieses Mädchens hin und weg. Doch erkennt er auch, dass ihre Schönheit von giftigen Worten und Täuschungen durchdrungen ist, was ihn letztendlich in den Wahnsinn treibt. Weiterhin sieht er seine Mutter, die er bitter enttäuscht hat. Von Reue überwältigt, wünscht er, er könnte ihr Leiden lindern.

Die Form des Gedichts besteht aus 13 vierzeiligen Strophen, die ein durchgängiges Reimschema (umarmender Reim: ABBA) beibehalten. Jeder Vers ist in einem trochäischen Tetrameter (vier Trochäen pro Zeile) geschrieben, was ihm einen schnell fließenden, fast liedartigen Rhythmus verleiht.

In Bezug auf die Sprache fällt auf, dass Heine eine relativ einfache, direkte Wortwahl verwendet. Er verzichtet auf umfangreiche Metaphern, verleiht seiner Sprache stattdessen Kraft durch rhythmischen Schwung und dadurch, dass er das körperliche (Ritter, Wald, Mädchen, Mutter etc.) mit emotionalen Zuständen (Verlangen, Reue) kontrastiert. Das lyrische Ich wird nur implizit angedeutet – es ist das Bewusstsein, das die Worte des Ritters nachahmt und kommentiert.

Insgesamt steht „Das Liedchen von der Reue“ ganz im Zeichen Heines Kunst: es ist ein einfacher, volksliedhafter Text, der durch seine Emotionalität besticht und tiefe Themen wie Schuld, Reue und die trügerische Wirkung von Schönheit sowie gesellschaftliche Konventionen berührt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Das Liedchen von der Reue“ ist Heinrich Heine. Heine wurde im Jahr 1797 in Düsseldorf geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1821 zurück. In Hamburg ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Bei dem Schriftsteller Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 274 Wörter. Es baut sich aus 13 Strophen auf und besteht aus 52 Versen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Heine sind „Abenddämmerung“, „Ach, die Augen sind es wieder“ und „Ach, ich sehne mich nach Thränen“. Zum Autor des Gedichtes „Das Liedchen von der Reue“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.

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