Das Lied der Waise von Rainer Maria Rilke

Ich bin Niemand und werde auch Niemand sein.
Jetzt bin ich ja zum Sein noch zu klein;
aber auch später.
 
Mütter und Väter,
erbarmt euch mein.
 
Zwar es lohnt nicht des Pflegens Müh:
ich werde doch gemäht.
Mich kann keiner brauchen: jetzt ist es zu früh
und morgen ist es zu spät.
 
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Ich habe nur dieses eine Kleid,
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es wird dünn und es verbleicht,
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aber es hält eine Ewigkeit
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auch noch vor Gott vielleicht.
 
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Ich habe nur dieses bischen Haar
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(immer dasselbe blieb),
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das einmal Eines Liebstes war.
 
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Nun hat er nichts mehr lieb.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.3 KB)

Details zum Gedicht „Das Lied der Waise“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
17
Anzahl Wörter
94
Entstehungsjahr
1906
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Lied der Waise“ wurde von Rainer Maria Rilke verfasst, der von 1875 bis 1926 lebte. Damit ist das Gedicht zeitlich der Moderne des 20. Jahrhunderts zuzuordnen.

Schon der erste Eindruck des Gedichts erweckt eine melancholische, traurige Stimmung. Das lyrische Ich spricht von seiner eigenen Einsamkeit und Ausgrenzung aus Schicksal und Gesellschaft. Es stellt sich als Niemand dar, als Person ohne Bedeutung oder Wert für die Gesellschaft, sowohl in der Vergangenheit, der Gegenwart und auch in der Zukunft. Das lyrische Ich appelliert an Mütter und Väter, um Mitgefühl und Mitleid.

Der Inhalt des Gedichts spiegelt diese Gefühlslage wider. Das lyrische Ich beschreibt sich als eine Person, die niemand benötigt, die zu früh und dann zu spät ist – möglicherweise ein Hinweis auf das Leben eines Waisenkinds, das seine Eltern zu früh verloren hat und für das sich in der Folge niemand verantwortlich fühlt. Es besitzt nur ein einziges Kleid, das trotz seines schlechten Zustandes seine einzige Konstante darstellt. Ebenso sein Haar, das stellvertretend für Verlust und Einsamkeit steht – einmal war es das Liebste von jemandem, nun wird es nicht mehr geliebt.

Die Form des Gedichts ist unregelmäßig mit variierenden Versen pro Strophe. Die Sprache des Gedichts ist schlicht und dennoch eindringlich. Rilke benutzt einfache, klare Worte, um das tiefe Leid des lyrischen Ichs auszudrücken. Die wiederkehrende Betonung der Einsamkeit und Ausgesetztheit des lyrischen Ichs, die fehlende Liebe und Geborgenheit sowie der Wunsch nach Mitgefühl verdeutlichen sowohl die traurige Situation des Waisen als auch allgemein das Thema Verlust.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Lied der Waise“ des Autors Rainer Maria Rilke. Geboren wurde Rilke im Jahr 1875 in Prag. Das Gedicht ist im Jahr 1906 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin / Leipzig, Stuttgart. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 17 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 94 Worte. Der Dichter Rainer Maria Rilke ist auch der Autor für Gedichte wie „Abend in Skaane“, „Absaloms Abfall“ und „Adam“. Zum Autor des Gedichtes „Das Lied der Waise“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

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