Das Lieblingsörtchen von Sophie Friederike Mereau

Wohl wölbet sich lieblich am kühligen Bach
Manch duftend Gewinde zum blühenden Dach;
Wohl hat sich schon mancher, von Sehnsucht gequält,
Ein heimliches Plätzchen zum Freunde gewählt;
 
Doch kennt’ ich sie alle, die Stellen der Ruh,
Es machte von allen mir keine, wie du,
Du Dörfchen im stillen bescheidenen Grund,
Die freiheitdürstende Seele gesund!
 
Wie, innigst an liebende Arme gewöhnt,
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Nach kurzer Entfernung, das Liebchen sich sehnt,
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So wallet, wenn Tage der Trennung vergehn,
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Mein liebender Busen, dich wieder zu sehn.
 
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Von Blüthen umduftet, von Lüftchen geküßt,
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Von lieblichen Sängern auf Zweigen begrüßt,
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Enteilt mir der Stunden geflügelter Zug,
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Und nimmer hemmt Unmuth den rosigen Flug.
 
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Im Häuschen so reinlich, so niedlich und klein,
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Nist’t traulich das friedliche Täubchen sich ein,
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Drinn wohnen zwei Menschen, bescheiden und hold,
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Wie Blumen der Wiese, und lauter wie Gold.
 
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Vom ländlichen Paar, das im Hüttchen sich lebt,
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Dem Unschuld und Ruhe den Lebenstraum webt,
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Zum Käfer, der summend die Blüthen durchstrich,
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Freut alles der Liebenden Gegenwart sich.
 
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Es zieret, gewartet von sorgsamer Hand,
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Des Geisblatts Gewinde die reinliche Wand,
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Streckt brünstig die Arme zum Fenster hinauf,
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Und sendet mir süße Gerüche herauf.
 
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Es zieht sich so heimlich vom Hügel ins Thal
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Ein Wäldchen, drinn wohnet manch frölicher Schall,
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Da winkt mir, umflossen von trüblichem Licht,
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Aus einem der Büsche ein Schattengesicht.
 
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Erinnerung wob es aus magischem Duft,
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Da steht es nun ewig in schweigender Luft.
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Ich setze mich einsam zum fliehenden Bach,
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Und sinne dem flüchtigen Schattenbild nach.
 
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Es rauschen die Wellchen bedeutend und schnell,
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Und reißen manch’ Blümchen vom Strand in den Quell,
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So drängt auch von dir einst, du lieblicher Ort,
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Die Welle des Schicksals mich Liebende fort.
 
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Dann sehnt sich, wenn Tage der Trennung vergehn,
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Vergebens mein Busen dich wieder zu sehn,
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Fühlt liebende Sehnsucht, und athmet so schwer,
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Und findet das Plätzchen der Ruhe nicht mehr!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.6 KB)

Details zum Gedicht „Das Lieblingsörtchen“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
308
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Lieblingsörtchen“ wurde von Sophie Friederike Mereau geschrieben, die von 1770 bis 1806 lebte. Mereau zählt zur Epoche der Romantik, was den historischen Kontext für dieses Gedicht liefert, da romantische Dichtung oft von Natur, Gefühlen und Sehnsüchten geprägt ist.

Beim ersten Lesedurchgang fällt die wohlige Atmosphäre auf, die das Gedicht erzeugt. Das lyrische Ich scheint einen geliebten Ort zu beschreiben und die damit verbundenen Emotione auszudrücken.

Zum Inhalt: Zunächst bezeichnet das lyrische Ich einen idyllischen Platz am Bach als Lieblingsort, eine Stelle voller Ruhe und Frieden. Sie lobt den Duft von Blüten und die Freiheit, die dieser Ort ihrem Herzen bietet. Es folgt ein Vergleich dieser Sehnsucht mit der Sehnsucht nach einem geliebten Menschen. Dieser Ort, beschrieben mit poetischen Bildern voller Blüten, Vögeln und Flüssen, scheint für das lyrische Ich ein Refugium der Freude und des Glücks zu sein. Ein Ort, an dem die Zeit wie im Flug vergeht. Sie spricht auch von einem Heim und seinen harmonischen Bewohnern. Es wird auch eine stille Interaktion mit der Natur suggeriert, wo alles von der Anwesenheit des lyrischen Ichs erfreut ist. Schließlich schwingt in den letzten Strophen eine melancholische Note mit, indem das lyrische Ich eine künftige Trennung von diesem Ort beschreibt. Die Sehnsucht kehrt zurück, diesmal gepaart mit der Ahnung, dass die Rückkehr vielleicht nie erfolgen wird.

In Bezug auf die Form und Sprache ist anzumerken, dass das Gedicht aus elf vierzeiligen Strophen besteht. Es wird eine einfache, aber bildreiche Sprache verwendet, die den Ausdruck der Gefühle unterstützt. Die Natur wird oft als Metapher und Symbol für Emotionen und Sehnsucht des lyrischen Ichs verwendet.

Zusammenfassend kann dieses Gedicht als eine Ode an den geliebten Ort und eine Anerkennung der Freude und des Friedens, den sie an diesem Ort findet, betrachtet werden. Gleichzeitig ist es eine Reflexion über die Vergänglichkeit der Zeit und die unausweichliche Trennung, die jeden glücklichen Moment begleitet.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Das Lieblingsörtchen“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Sophie Friederike Mereau. Mereau wurde im Jahr 1770 in Altenburg geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1796. Der Erscheinungsort ist Neustrelitz. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zur Epoche Klassik zu. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 308 Worte. Die Dichterin Sophie Friederike Mereau ist auch die Autorin für Gedichte wie „Das Bildniß“, „Die Zukunft“ und „Die letzte Nacht“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Das Lieblingsörtchen“ weitere 31 Gedichte vor.

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