Das Hexenkind von Joachim Ringelnatz

Das junge Ding hieß Ilse Watt.
Sie ward im Waisenhaus erzogen.
Dort galt sie für verstockt, verlogen,
Weil sie kein Wort gesprochen hat
Und weil man ihr es sehr verdachte,
Daß sie schon früh, wenn sie erwachte,
Ganz leise vor sich hinlachte.
 
Man nannte sie, weil ihr Betragen
So seltsam war, das Hexenkind.
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Allüberall ward sie gescholten.
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Doch wagte niemand, sie zu schlagen.
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Denn sie war von Geburt her blind.
 
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Die Ilse hat für frech gegolten,
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Weil sie, wenn man zu Bett sie brachte,
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Noch leise vor sich hinlachte.
 
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In ihrem Bettchen blaß und matt
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Lag sterbend eines Tags die kranke
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Und stille, blinde Ilse Watt,
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Lächelte wie aus andern Welten
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Und sprach zu einer Angestellten,
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Die ihr das Haar gestreichelt hat,
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Ganz laut und glücklich noch: „Ich danke.“
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Das Hexenkind“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
22
Anzahl Wörter
129
Entstehungsjahr
1931
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Joachim Ringelnatz, ein deutscher Autor und Kabarettist, der in der Übergangsphase vom 19. zum 20. Jahrhundert tätig war. Er zählt zur literarischen Strömung der Neuen Sachlichkeit, welche vorwiegend in den Jahren 1919 bis 1933 aufkam.

Beim ersten Eindruck wirkt das Gedicht melancholisch und traurig, es schildert das Leben eines jungen Mädchens namens Ilse Watt, das ihr Leben im Waisenhaus verbringt. Die junge Ilse wird als verstockt und verlogen beschrieben, weil sie sich gegenüber den anderen merkwürdig verhält, viel schweigt und immer wieder vor sich hin lacht. Aus diesem Grund nennen sie die anderen das „Hexenkind“. Interessant ist, dass trotz ihrer Benennung als Hexenkind niemand es wagt, sie zu schlagen, da sie blind ist.

Inhaltlich geht es um das Schicksal der kleinen Ilse, die im Waisenhaus aufwächst und dort isoliert von den anderen Kindern lebt. Trotz ihrer schwierigen Situation zeigt sie eine gewisse Widerstandskraft und scheint durch ihr stilles Lachen eine innere Zufriedenheit auszustrahlen. Auf den letzten Versen des Gedichts liegt sie sterbend in ihrem Bett und spricht ihre ersten und einzigen Worte: „Ich danke.„

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen mit unterschiedlicher Länge – die erste und vierte Strophe bestehen aus sieben, die zweite aus fünf und die dritte aus nur drei Versen. Die Anzahl der Silben je Vers variiert. Es gibt kein festes Reimschema.

Die Sprache des Gedichts ist klar und unprätentiös, es werden keine verschlüsselten Metaphern oder besonders bildhafte Sprache verwendet. Vielmehr wird die Geschichte von Ilse Watt nüchtern und sachlich erzählt. Auffällig ist das wiederholte Lachen Ilses, das als Ausdruck ihrer Lebensfreude trotz der schwierigen Lebensumstände interpretiert werden kann. Am Ende, als sie mit den Worten „Ich danke“ stirbt, wird der Leser dazu angeregt, über ihr Leben und ihre Perspektive nachzudenken.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Das Hexenkind“ ist Joachim Ringelnatz. Im Jahr 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1931. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 129 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 22 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joachim Ringelnatz sind „...als eine Reihe von guten Tagen“, „7. August 1929“ und „Abendgebet einer erkälteten Negerin“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Hexenkind“ weitere 560 Gedichte vor.

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