Das Hexenkind von Wilhelm Hertz

Die drüben spinnt im Mondenschein
Mit einer schwarzen Spule,
Das ist der Hexe Töchterlein
Und meine süße Buhle.
 
Da haben wohl das braune Weib
Noch Engellein entbunden
Als sich dem wehgesprengten Leib
Solch süße Frucht entwunden.
 
Es war in der Walpurgisnacht,
10 
Wo sich die Hexen schaaren,
11 
Da kam sie durch des Schlotes Schacht
12 
Zu mir an’s Bett gefahren.
 
13 
Ihr weicher, elfenweißer Arm,
14 
Der wollt’ mich fast erdrücken;
15 
Sie sprach: Mich friert, dein Bett ist warm,
16 
Willst nicht ein wenig rücken?
 
17 
Sie schmiegte sich mir drängend an
18 
Mit ihrem kühlen Leibe,
19 
Da ward mein Sinnen unterthan
20 
Dem wilden Wunderweibe.
 
21 
Sie sprach: Mein Vater schlummert fein,
22 
Von Zauberdunst umschwommen;
23 
Mich aber hat mein Mütterlein
24 
Zum Blocksberg mitgenommen.
 
25 
Den Rauchfang durch gieng unsre Bahn,
26 
Sie nahm den Stock geschwinde:
27 
Nun obenaus und nirgend an! —
28 
Hui, stiebt’s durch alle Winde.
 
29 
Die Hexen saßen um den Tisch,
30 
Ich sollte Kröten hüten,
31 
Und Junker Volland Flederwisch
32 
Begann ein grimmes Wüthen.
 
33 
Es steht ein Lindenbaum am Wald
34 
Mit wenig kahlen Zweigen,
35 
Drin hängt des Spielmanns Grabgestalt,
36 
Der hebet an zu geigen.
 
37 
Die Fiedel ist ein Todtenbein,
38 
Die Saiten von Menschengedärmen;
39 
Er spielte schrille Melodei’n,
40 
Die Hexen tanzen und lärmen.
 
41 
Da schlich ich seitwärts wie ein Dieb,
42 
Hab’ meinen Stock genommen, –
43 
Und weißt, mein Bub’, ich hab’ dich lieb,
44 
Drum bin ich zu dir kommen. –
 
45 
So schwatzt die wilde Maid und lacht,
46 
Ich lauscht’ in süßem Grausen.
47 
O Sturmwind jener Maiennacht,
48 
Wie wonnig war dein Sausen!
 
49 
Seitdem ist mein das Zauberkind;
50 
Wenn sich die Hexen schaaren,
51 
So kommt sie wie ein Wirbelwind
52 
Durch meinen Schlot gefahren.
 
53 
O Wollust! Ueberschwenglich auch
54 
Dem flammendsten Gelüste! —
55 
Ich sink’ mit gluthersticktem Hauch
56 
Auf ihre Lilienbrüste.
 
57 
Das ist mein einzig Ungemach:
58 
Vom Frei’n will sie nichts wissen,
59 
Hat lachend, als ich solches sprach,
60 
Den Mund mir stumm gebissen.
 
61 
Doch wird mir manches Wunder kund,
62 
Wenn wir zusammen tosen,
63 
Und lacht ihr perlenreicher Mund,
64 
So regnet’s rothe Rosen.
 
65 
Bald heben wir bei heil’ger Nacht
66 
Den Schatz im Felsgerölle. —
67 
So treibt des Himmels hold’ste Nacht
68 
Unhaltsam mich zur Hölle!
 
69 
Nicht in des Scheiterhaufens Brand
70 
Weich’ ich von ihrer Seiten,
71 
Und will mit ihr durch Holla’s Land
72 
Auf einem Rößlein reiten.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.7 KB)

Details zum Gedicht „Das Hexenkind“

Anzahl Strophen
18
Anzahl Verse
72
Anzahl Wörter
363
Entstehungsjahr
1859
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das 18-strophige Gedicht „Das Hexenkind“ von Wilhelm Hertz ist in der Ära des wissenschaftlichen und industriellen Fortschritts des 19. Jahrhunderts entstanden.

Beim ersten Eindruck ist das Gedicht der Balladentradition verwandt und es weckt ein dunkles, mysteriöses Gefühl, ein Eintauchen in die Welt des Übersinnlichen und Magischen. Es verwendet das traditionelle Motiv der Hexen und Hexerei, das tief in der deutschen Folklore verwurzelt ist.

Inhaltlich erzählt das Gedicht von einer Beziehung zwischen dem Ich-Erzähler und einer Hexentochter, die er liebevoll als seine Buhle, also Geliebte, bezeichnet. Das lyrische Ich gibt einen Einblick in ihre Begegnungen, die voller Liebe und Zauber sind und deren Verlauf durch eine nächtliche, mystische Atmosphäre und übersinnliche Ereignisse geprägt ist. Die Hexe erscheint regelmäßig während der Walpurgisnacht und bringt das lyrische Ich in die Welt der Hexerei ein, wo sie zusammen tanzen, lärmen und auf avonturliche Weise die Nacht verbringen. Immer wieder unterstreicht das lyrische Ich die starke Anziehung und Liebe zu der Hexentochter, selbst wenn diese sich weigert, offiziell zu ihm zu stehen und eine Verbindung einzugehen. Die augenscheinliche Unmöglichkeit einer traditionellen Bindung scheint für das lyrische Ich jedoch keine Rolle zu spielen - stattdessen schätzt es die aufregenden, magischen Aspekte ihrer Beziehung.

Die Form des Gedichts ist durch vier Zeilen pro Strophe mit starkem Reimschema (ABAB) gekennzeichnet, was den Rhythmus und die Fließgeschwindigkeit des Gedichts verstärkt und so die dynamische, verrückte Atmosphäre der Hexenwelt betont. Hertz verwendet eine sehr bildliche, anschauliche Sprache und nutzt dabei traditionelle Motive und Bilder aus der Hexenfolklore, um die Begegnungen zwischen dem Ich-Erzähler und der Hexe zu beschreiben. Dazu gehören unter anderem der Vollmond als stimmungssetzendes Element, das Reiten durch die Nacht, magische Praktiken und die Bezugnahme auf den Blocksberg, einen bekannten Hexentreffpunkt in deutschen Sagen und Mythen.

Im Allgemeinen weist „Das Hexenkind“ eine starke Verbindung zum Übersinnlichen und Magischen auf, wobei Liebe und Leidenschaft in einem Kontext der grenzenlosen Freiheit und Unbekümmertheit der hexenhaften Nacht entfalten.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Das Hexenkind“ ist Wilhelm Hertz. Geboren wurde Hertz im Jahr 1835 in Stuttgart. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1859 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Hamburg. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 18 Strophen und umfasst dabei 363 Worte. Weitere Werke des Dichters Wilhelm Hertz sind „Klein wild Waltraut“, „Unter blühenden Bäumen“ und „Begegnung“. Zum Autor des Gedichtes „Das Hexenkind“ haben wir auf abi-pur.de weitere 11 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Wilhelm Hertz (Infos zum Autor)

Zum Autor Wilhelm Hertz sind auf abi-pur.de 11 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.