Der Nachbar von Rainer Maria Rilke

1	Fremde Geige, gehst du mir nach?
2	In wieviel fernen Städten schon sprach
3	deine einsame Nacht zu meiner?
4	Spielen dich hunderte? Spielt dich einer?
5	Giebt es in allen großen Städten
6	solche, die sich ohne dich
7	schon in den Flüssen verloren hätten?
8	Und warum trifft es immer mich?
9	Warum bin ich immer der Nachbar derer,
10	die dich bange zwingen zu singen
11	und zu sagen: Das Leben ist schwerer
12	als die Schwere von allen Dingen.

Details zum Gedicht „Der Nachbar“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Nachbar“ wurde von Rainer Maria Rilke verfasst, einem wichtigen Vertreter der literarischen Moderne, der von 1875 bis 1926 lebte. Das Gedicht kann somit als Vertreter des literarischen Expressionismus, der als Reaktion auf die stürmischen und oft düsteren Anfänge des 20. Jahrhunderts gesehen werden kann, zeitlich eingeordnet werden.

Sofort fällt auf, dass das lyrische Ich eine melancholische, fast verzweifelte Stimmung ausdrückt, die durch die Wiederholung des Motivs der Geige und der Einsamkeit verstärkt wird. Die Fragen zeigen dabei eine emotionale Verunsicherung sowie eine tiefe innere Unruhe. Das Gedicht thematisiert die ständige Präsenz der Melancholie und Verzweiflung in der Welt, die das lyrische Ich nicht entkommen kann, gleichgültig in welcher Stadt es sich befindet.

Inhaltlich lässt sich das Gedicht wie folgt zusammenfassen: Es wird die Geschichte einer Person erzählt, die sich permanent von der Melancholie umgeben fühlt, symbolisiert durch die „fremde Geige“. Dieses Instrument scheint überall zu spielen, in all den Städten, in denen das lyrische Ich war. Es fragt sich auch, warum es immer wieder in der Nähe von Menschen endet, die von diesem Gefühl überwältigt werden und die Melancholie in Worte fassen.

Die Form des Gedichts ist geprägt durch die Dreiteilung in Strophen, jede von ihnen besteht aus vier Versen, was für einen gut strukturierten Aufbau spricht. Die Sprache ist einfach, aber reich an Metaphern und Symbolen. Da Rilke ein Meister der bildhaften Sprache war, lädt jedes Wort, jeder Vers, zur Interpretation und zum Staunen ein. Die vereinzelten Fragen im Verlauf des Gedichts geben dem lyrischen Ich eine besonders persönliche Note: Es wirkt hilflos, fast zerbrechlich, eingehüllt in eine Welt voller Tristesse und Verzweiflung.

Die Wiederholung von Fragen binnen den Strophen erscheint als Ausdruck von innerer Unruhe und andauernder Suche nach Antworten, während das dominante Motiv der Geige als Metapher für die universelle und unentrinnbare Präsenz von Melancholie und Leid gesehen werden kann. Der letzte Vers des Gedichts deutet an, dass das Leben an sich schwerer ist als alle materiellen Dinge im Universum, was für eine tiefgehende existenzielle Melancholie spricht.

Weitere Informationen

Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Der Nachbar“. Im Jahr 1875 wurde Rilke in Prag geboren. Im Zeitraum zwischen 1891 und 1926 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei dem Schriftsteller Rilke handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 12 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 72 Worte. Die Gedichte „Abend“, „Abend“ und „Abend in Skaane“ sind weitere Werke des Autors Rainer Maria Rilke. Zum Autor des Gedichtes „Der Nachbar“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

Das Video mit dem Titel „Rainer Maria Rilke: DER NACHBAR (Gedicht aus DAS BUCH DER BILDER)“ wurde auf YouTube veröffentlicht. Unter Umständen sind 2 Klicks auf den Play-Button erforderlich um das Video zu starten.

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Rainer Maria Rilke

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Rainer Maria Rilke und seinem Gedicht „Der Nachbar“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

• Rilke, Rainer Maria - Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort (Gedichtinterpretation)
• Rilke, Rainer Maria - Der Panther (Gedichtinterpretation)
• Rilke, Rainer Maria - Herbst (Interpretation der einzelnen Strophen)
• Rilke, Rainer Maria - Herbst (Gedichtinterpretation)
• Rilke, Rainer Maria - Der Panther (Gedichtinterpretation)

Weitere Gedichte des Autors Rainer Maria Rilke (Infos zum Autor)

• Abend
• Abend
• Abend
• Abend in Skaane
• Absaloms Abfall
• Adam
• Advent
• Allerseelen
• Als ich die Universität bezog
• Am Kirchhof zu Königsaal

Zum Autor Rainer Maria Rilke sind auf abi-pur.de 338 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.