An die Freude von Friedrich Schiller

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken
Himmlische, dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
Was der Mode Schwert geteilt;
Bettler werden Fürstenbrüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
 
Chor
 
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Seid umschlungen, Millionen!
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Diesen Kuß der ganzen Welt!
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Brüder - überm Sternenzelt
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Muß ein lieber Vater wohnen.
 
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Wem der große Wurf gelungen,
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Eines Freundes Freund zu sein;
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Wer ein holdes Weib errungen,
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Mische seinen Jubel ein!
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Ja - wer auch nur eine Seele
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Sein nennt auf dem Erdenrund!
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Und wers nie gekonnt, der stehle
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Weinend sich aus diesem Bund!
 
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Chor
 
23 
Was den großen Ring bewohnet,
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Huldige der Sympathie!
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Zu den Sternen leitet sie,
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Wo der Unbekannte thronet.
 
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Freude trinken alle Wesen
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An den Brüsten der Natur,
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Alle Guten, alle Bösen
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Folgen ihrer Rosenspur.
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Küsse gab sie uns und Reben
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Einen Freund, geprüft im Tod.
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Wollust ward dem Wurm gegeben,
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Und der Cherub steht vor Gott.
 
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Chor
 
36 
Ihr stürzt nieder, Millionen?
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Ahndest du den Schöpfer, Welt?
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Such ihn überm Sternenzelt,
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Über Sternen muß er wohnen.
 
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Freude heißt die starke Feder
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In der ewigen Natur.
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Freude, Freude treibt die Räder
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In der großen Weltenuhr.
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Blumen lockt sie aus den Keimen,
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Sonnen aus dem Firmament,
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Sphären rollt sie in den Räumen,
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Die des Sehers Rohr nicht kennt.
 
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Chor
 
49 
Froh, wie seine Sonnen fliegen,
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Durch des Himmels prächtgen Plan,
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Laufet, Brüder, eure Bahn,
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Freudig wie ein Held zum Siegen.
 
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Aus der Wahrheit Feuerspiegel
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Lächelt sie den Forscher an.
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Zu der Tugend steilem Hügel
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Leitet sie des Dulders Bahn.
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Auf des Glaubens Sonnenberge
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Sieht man ihre Fahnen wehn,
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Durch den Riß gesprengter Särge
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Sie im Chor der Engel stehn.
 
61 
Chor
 
62 
Duldet mutig, Millionen!
63 
Duldet für die beßre Welt!
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Droben überm Sternenzelt
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Wird ein großer Gott belohnen.
 
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Göttern kann man nicht vergelten,
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Schön ists, ihnen gleich zu sein.
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Gram und Armut soll sich melden,
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Mit den Frohen sich erfreun.
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Groll und Rache sei vergessen,
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Unserm Todfeind sei verziehn,
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Keine Träne soll ihn pressen,
73 
Keine Reue nage ihn.
 
74 
Chor
 
75 
Unser Schuldbuch sei vernichtet!
76 
Ausgesöhnt die ganze Welt!
77 
Brüder- überm Sternenzelt
78 
Richtet Gott, wie wir gerichtet.
 
79 
Freude sprudelt in Pokalen,
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In der Traube goldnem Blut
81 
Trinken Sanftmut Kannibalen,
82 
Die Verzweiflung Heldenmut
83 
Brüder, fliegt von euren Sitzen,
84 
Wenn der volle Römer kreist,
85 
Laßt den Schaum zum Himmel sprützen:
86 
Dieses Glas dem guten Geist.
 
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Chor
 
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Den der Sterne Wirbel loben,
89 
Den des Seraphs Hymne preist,
90 
Dieses Glas dem guten Geist
91 
Überm Sternenzelt dort oben!
 
92 
Festen Mut in schwerem Leiden,
93 
Hülfe, wo die Unschuld weint,
94 
Ewigkeit geschwornen Eiden,
95 
Wahrheit gegen Freund und Feind,
96 
Männerstolz vor Königsthronen
97 
Brüder, gält es Gut und Blut,
98 
Dem Verdienste seine Kronen,
99 
Untergang der Lügenbrut!
 
100 
Chor
 
101 
Schließt den heilgen Zirkel dichter,
102 
Schwört bei diesem goldnen Wein:
103 
Dem Gelübde treu zu sein,
104 
Schwört es bei dem Sternenrichter!
 
105 
Rettung von Tyrannenketten,
106 
Großmut auch dem Bösewicht,
107 
Hoffnung auf den Sterbebetten,
108 
Gnade auf dem Hochgericht!
109 
Auch die Toten sollen leben!
110 
Brüder trinkt und stimmet ein,
111 
Allen Sündern soll vergeben,
112 
Und die Hölle nicht mehr sein.
 
113 
Chor
 
114 
Eine heitre Abschiedsstunde!
115 
Süßen Schlaf im Leichentuch!
116 
Brüder - einen sanften Spruch
117 
Aus des Totenrichters Munde!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (33.1 KB)

Details zum Gedicht „An die Freude“

Anzahl Strophen
27
Anzahl Verse
117
Anzahl Wörter
501
Entstehungsjahr
1759 - 1805
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An die Freude“ wurde von Friedrich Schiller verfasst und zählt zu den bekanntesten Werken der deutschen Literatur. Man kann es zeitlich der Weimarer Klassik zuordnen, also dem späten 18. Jahrhundert und dem frühen 19. Jahrhundert.

Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Huldigung an die Freude, die als göttlicher Funken und als vereinende, heilende Macht beschrieben wird.

Ein genauerer Blick offenbart, dass das lyrische Ich die Freude als verbindendes Element zwischen allen Menschen ansieht, unabhängig von deren sozialem Status. Es feiert die Freude als etwas Göttliches und sieht in ihr das Potenzial, um alle menschlichen Wesen zu vereinen. Schiller spricht von der Freude als einer universellen Kraft und glorifiziert sie in vielen ihrer Manifestationen, wie etwa in der Freundschaft, in der Liebe oder in der Wertschätzung der Natur.

In Bezug auf die Form und Sprache ist das Gedicht sehr traditionell. Es hat insgesamt 27 Strophen, deren Anzahl von vier Versen pro Strophe auf acht wechselt. Die Strophen sind durch die Wiederkehr des „Chors“ miteinander verbunden. Das Gedicht hat ein festes Reimschema, nämlich Paarreim, was zu seiner singbaren Qualität beiträgt.

Hervorzuheben ist auch die symbolische und metaphorische Sprache, etwa wenn die Freude als „Götterfunken“ oder als Flügel beschrieben wird, der überall dort „weilt“, wo Menschen in brüderlicher Einigkeit zusammenkommen. Ferner wird die Freude als treibende Kraft des Universums dargestellt, die „Sphären rollt“ und „Blumen aus den Keimen lockt“. Das Gedicht ist außerdem vom aufklärerischen Ideengut geprägt, etwa wenn alle Menschen, gleich welchen Standes, gleichermaßen als „Brüder“ bezeichnet werden und aufgefordert wird, den Mitmenschen gegenüber Vergebung und Großmut zu zeigen.

Insgesamt handelt es sich bei „An die Freude“ um ein sehr optimistisches und humanistisches Gedicht, das zum feierlichen Gesang an die Freude und zur brüderlichen Einigkeit unter den Menschen aufruft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Ludwig van Beethoven die Verse des Gedichts für den Schlusssatz seiner 9. Symphonie vertont hat – ein Werk, das heute als Inbegriff der musikalischen Freudenfeier weltweit Bekanntheit genießt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „An die Freude“ ist Friedrich Schiller. Schiller wurde im Jahr 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. Zwischen den Jahren 1775 und 1805 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Schiller ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren von 1765 bis 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System wendeten. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten weiterhin als Inspiration. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Die Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 an. Zentrale Vertreter dieser Epoche waren Goethe und Schiller. Die zeitliche Abgrenzung orientiert sich dabei an dem Schaffen Goethes. So wird dessen erste Italienreise im Jahr 1786 als Beginn der deutschen Klassik angesehen, die dann mit seinem Tod im Jahr 1832 ihr Ende nahm. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Der Begriff Humanität ist von zentraler Bedeutung für die Zeit der Weimarer Klassik. Die wichtigsten inhaltlichen Merkmale der Klassik sind: Selbstbestimmung, Harmonie, Menschlichkeit, Toleranz und die Schönheit. In der Lyrik haben die Autoren auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders beliebt. Des Weiteren verwendeten die Dichter jener Zeit eine pathetische, gehobene Sprache. Die Hauptvertreter der Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das 501 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 117 Versen mit insgesamt 27 Strophen. Die Gedichte „Aktäon“, „An Minna“ und „An den Frühling“ sind weitere Werke des Autors Friedrich Schiller. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An die Freude“ weitere 220 Gedichte vor.

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