Die Begegnung von Friedrich Schiller

Noch seh ich sie, umringt von ihren Frauen,
Die herrlichste von allen stand sie da,
Wie eine Sonne war sie anzuschauen,
Ich stand von fern und wagte mich nicht nah,
Es faßte mich mit wollustvollem Grauen,
Als ich den Glanz vor mir verbreitet sah,
Doch schnell, als hätten Flügel mich getragen,
Ergriff es mich, die Saiten anzuschlagen.
 
Was ich in jenem Augenblick empfunden
10 
Und was ich sang, vergebens sinn ich nach,
11 
Ein neu Organ hatt ich in mir gefunden,
12 
Das meines Herzens heilge Regung sprach,
13 
Die Seele wars, die, jahrelang gebunden,
14 
Durch alle Fesseln jetzt auf einmal brach
15 
Und Töne fand in ihren tiefsten Tiefen,
16 
Die ungeahnt und göttlich in ihr schliefen.
 
17 
Und als die Saiten lange schon geschwiegen,
18 
Die Seele endlich mir zurücke kam,
19 
Da sah ich in den engelgleichen Zügen
20 
Die Liebe ringen mit der holden Scham,
21 
Und alle Himmel glaubt' ich zu erfliegen,
22 
Als ich das leise süße Wort vernahm
23 
O droben nur in selger Geister Chören
24 
Werd ich des Tones Wohllaut wieder hören!
 
25 
»Das treue Herz, das trostlos sich verzehrt
26 
Und still bescheiden nie gewagt zu sprechen,
27 
Ich kenne den ihm selbst verborgnen Wert,
28 
Am rohen Glück will ich das Edle rächen.
29 
Dem Armen sei das schönste Los beschert,
30 
Nur Liebe darf der Liebe Blume brechen.
31 
Der schönste Schatz gehört dem Herzen an,
32 
Das ihn erwidern und empfinden kann.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Die Begegnung“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
223
Entstehungsjahr
1797
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Begegnung“ stammt von Friedrich Schiller, welcher einer der bedeutendsten deutschen Dichter der Klassik war. Er lebte von 1759 bis 1805, daher kann dieses Gedicht zeitlich in die Weimarer Klassik eingeordnet werden.

Die erste Strophe beschreibt eine Szene, in welcher der lyrische Sprecher eine atemberaubende Frau aus der Ferne beobachtet. Dabei empfindet er eine Art Ehrfurcht und Scheu vor ihrer Präsenz, welche als „Sonne“ mit aufblühendem Glanz dargestellt wird. Im letzten Vers bricht er jedoch aus seiner passiven Rolle hervor und begibt sich in die künstlerische Aktion, die Saiten eines Instrumentes anzuschlagen.

In der zweiten Strophe teilt das lyrische Ich seine tiefgreifenden Gefühle mit, welche er in dem Moment der Musikaufführung empfindet. Hierbei scheint er von Emotionalität überwältigt, so dass er darauf hinweist, die tiefe Verbindung zwischen ihm und seiner Seele entdeckt zu haben. Diese Verbindung wird durch seine wiedererlangte Freiheit und neu entdeckte Töne, welche unerkannt in ihm schlummerten, symbolisiert.

Die dritte Strophe bildet das Nachspiel der musikalischen Darbietung. Nach dem Verstummen der Saiten bemerkt der Sprecher die Spuren von Liebe und Scham auf dem Gesicht der bewunderten Frau. Ihre Worte, symbolisch dargestellt als „leise süße Worte“, rühren ihn so sehr, dass er glaubt, diese nur in himmlischen Gefilden noch einmal hören zu können.

Die abschließende Strophe offenbart das Verständnis und die Anerkennung der Frau gegenüber dem lyrischen Ich. Sie erkennt seinen Wert, seine Bescheidenheit und sein Herz, welches unter einer Last leidet. Sie kann seine Liebe spiegeln und empfinden, was ihm schließlich das schönste Los verspricht.

Das Gedicht ist in Form von vier Oktaven verfasst. Jede Oktave besteht aus acht Versen und die Wirkung der Worte wird durch die klare, flüssige und ausdrucksstarke Sprache maximiert. Die Sprache zeichnet sich durch eine Vielzahl von metaphorischen Bildern und Symbolen aus, die dafür dienen, die tiefen Gefühle des lyrischen Ichs und der bewunderten Frau zum Ausdruck zu bringen. Die häufige Anwendung des personifizierten Herzens und der Seele unterstreicht die Intensität und Emotionalität des Gedichts.

Die wechselnden Perspektiven und Zustände des lyrischen Ichs deuten auf eine innere Transformation hin, welche durch die Begegnung mit der Frau und die Musik ausgelöst wird. Das Gedicht stellt somit den inneren Wandel und die Erkenntnis der eigenen Gefühle und Fähigkeiten dar. Es betont die Bedeutung von Kunst und Liebe als Mittel zur Selbstentdeckung und Selbstverwirklichung.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Begegnung“ des Autors Friedrich Schiller. Geboren wurde Schiller im Jahr 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1797. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Rebellieren oder Auflehnen gegen die Aufklärung zusammenfassen. Das literarische und philosophische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig junge Schriftsteller im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten weiterhin als Inspiration. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Menschlichkeit und Toleranz. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Literaturepoche der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit voranzutreiben. In der Weimarer Klassik wird eine einheitliche, geordnete Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen sind oftmals in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich häufig an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die berühmtesten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.

Das vorliegende Gedicht umfasst 223 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Die Gedichte „An die Gesetzgeber“, „An die Parzen“ und „An die Sonne“ sind weitere Werke des Autors Friedrich Schiller. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Begegnung“ weitere 220 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Das Video mit dem Titel „Friedrich Schiller Die Begegnung (1797)“ wurde auf YouTube veröffentlicht. Unter Umständen sind 2 Klicks auf den Play-Button erforderlich um das Video zu starten.

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Friedrich Schiller

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Friedrich Schiller und seinem Gedicht „Die Begegnung“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Friedrich Schiller (Infos zum Autor)

Zum Autor Friedrich Schiller sind auf abi-pur.de 220 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.