Das Glück von Friedrich Schiller

Selig, welchen die Götter, die gnädigen, vor der Geburt schon
Liebten, welchen als Kind Venus im Arme gewiegt,
Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset,
Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stirne gedrückt!
Ein erhabenes Los, ein göttliches, ist ihm gefallen,
Schon vor des Kampfes Beginn sind ihm die Schläfe bekränzt.
Ihm ist, eh er es lebte, das volle Leben gerechnet,
Eh er die Mühe bestand, hat er die Charis erlangt.
Groß zwar nenn ich den Mann, der, sein eigner Bildner und Schöpfer,
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Durch der Tugend Gewalt selber die Parze bezwingt,
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Aber nicht erzwingt er das Glück, und was ihm die Charis
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Neidisch geweigert, erringt nimmer der strebende Mut.
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Vor Unwürdigem kann dich der Wille, der ernste, bewahren,
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Alles Höchste, es kommt frei von den Göttern herab.
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Wie die Geliebte dich liebt, so kommen die himmlischen Gaben,
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Oben in Jupiters Reich herrscht wie in Amors die Gunst.
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Neigungen haben die Götter, sie lieben der grünenden Jugend
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Lockigte Scheitel, es zieht Freude die Fröhlichen an.
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Nicht der Sehende wird von ihrer Erscheinung beseligt,
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Ihrer Herrlichkeit Glanz hat nur der Blinde geschaut;
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Gern erwählen sie sich der Einfalt kindliche Seele,
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In das bescheidne Gefäß schließen sie Göttliches ein.
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Ungehofft sind sie da und täuschen die stolze Erwartung,
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Keines Bannes Gewalt zwinget die Freien herab.
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Wem er geneigt, dem sendet der Vater der Menschen und Götter
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Seinen Adler herab, trägt ihn zu himmlischen Höhn,
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Unter die Menge greift er mit Eigenwillen, und welches
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Haupt ihm gefället, um das flicht er mit liebender Hand
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Jetzt den Lorbeer und jetzt die herrschaftgebende Binde;
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Krönte doch selber den Gott nur das gewogene Glück.
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Vor dem Glücklichen her tritt Phöbus, der pythische Sieger,
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Und der die Herzen bezwingt, Amor, der lächelnde Gott.
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Vor ihm ebnet Poseidon das Meer, sanft gleitet des Schiffes
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Kiel, das den Cäsar führt und sein allmächtiges Glück.
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Ihm zu Füßen legt sich der Leu, das brausende Delphin
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Steigt aus den Tiefen, und fromm beut es den Rücken ihm an.
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Zürne dem Glücklichen nicht, daß den leichten Sieg ihm die Götter
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Schenken, daß aus der Schlacht Venus den Liebling entrückt.
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Ihn, den die lächelnde rettet, den Göttergeliebten beneid ich,
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Jenen nicht, dem sie mit Nacht deckt den verdunkelten Blick.
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War er weniger herrlich, Achilles, weil ihm Hephästos
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Selbst geschmiedet den Schild und das verderbliche Schwert,
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Weil um den sterblichen Mann der große Olymp sich beweget?
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Das verherrlichet ihn, daß ihn die Götter geliebt,
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Daß sie sein Zürnen geehrt und, Ruhm dem Liebling zu geben,
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Hellas' bestes Geschlecht stürzten zum Orkus hinab.
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Zürne der Schönheit nicht, daß sie schön ist, daß sie verdienstlos
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Wie der Lilie Kelch prangt durch der Venus Geschenk,
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Laß sie die Glückliche sein, du schaust sie, du bist der Beglückte,
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Wie sie ohne Verdienst glänzt, so entzücket sie dich.
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Freue dich, daß die Gabe des Lieds vom Himmel herabkommt,
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Daß der Sänger dir singt, was ihn die Muse gelehrt,
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Weil der Gott ihn beseelt, so wird er dem Hörer zum Gotte,
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Weil er der Glückliche ist, kannst du der Selige sein.
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Auf dem geschäftigen Markt, da führe Themis die Wage,
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Und es messe der Lohn streng an der Mühe sich ab;
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Aber die Freude ruft nur ein Gott auf sterbliche Wangen,
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Wo kein Wunder geschieht, ist kein Beglückter zu sehn.
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Alles Menschliche muß erst werden und wachsen und reifen,
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Und von Gestalt zu Gestalt führt es die bildende Zeit,
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Aber das Glückliche siehest du nicht, das Schöne nicht werden,
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Fertig von Ewigkeit her steht es vollendet vor dir.
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Jede irdische Venus ersteht wie die erste des Himmels,
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Eine dunkle Geburt aus dem unendlichen Meer;
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Wie die erste Minerva, so tritt mit der Ägis gerüstet
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Aus des Donnerers Haupt jeder Gedanke des Lichts.

Details zum Gedicht „Das Glück“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
66
Anzahl Wörter
614
Entstehungsjahr
1759 - 1805
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Glück“ wurde vom deutschen Dichter Friedrich Schiller (* 10. November 1759, † 9. Mai 1805) verfasst. Schiller ist ein bekannter Vertreter des Sturm und Drang so wie der Weimarer Klassik und ein Zeitgenosse Goethes.

Auf den ersten Blick fällt die vielfache Anrufung und Bezüge zu antiken Göttern auf, was typisch für die Weimarer Klassik ist. Der Gottesbezug ist auch Ausdruck der Klassik, in der eine Harmonie von Kunst und Moral, sowie eine ideale, vollkommene Welt angestrebt wurde.

Inhaltlich geht es in diesem Gedicht um das Glück aus Sicht des lyrischen Ichs. Das Glück wird als eine göttliche Gabe gesehen, das von den Göttern schon vor der Geburt eines jeden Menschen bestimmt wird. Der Mensch hat demnach wenig Einfluss auf sein eigenes Glück, es ist von den Göttern gegeben und somit quasi vorherbestimmt.

Zugleich zeigt Schiller aber auch den Kontrast zwischen dem Glücklichen und dem nicht Glücklichen. Er betont dabei, dass es nötig ist, das Glück zu suchen und sich ihm nicht passive hinzugeben. Man solle beglückt sein, auch wenn man nicht das Glück selbst besitzt.

Von der Form her ist es ein sehr langes Gedicht mit 66 Versen, aufgeteilt in 33 zweizeilige Verse. Jeder Vers ist durchstrukturiert und das Metrum folgt einer bestimmten Ordnung. In den Versen sind die Sätze meist sehr lang, sie bestehen aus verschränkten Hauptsätzen und Nebensätzen, die eine hohe Komplexität und Abstraktionsebene aufweisen.

Die Sprache des Gedichts ist sehr poetisch und bildhaft. Schiller setzt zahlreiche Metaphern und Anspielungen aus der antiken Mythologie ein, wie zum Beispiel Referenzen zum griechischen Götterpantheon (Venus, Zeus, Hermes, Phöbus und andere). Er spricht Geschichten und Mythen an, nutzt diese Bilder, um seine Aussagen zu untermauern und um eine höhere, quasi göttliche Ebene zu kreieren.

Abschließend lässt sich sagen, dass Schiller durch die Nutzung von antiken Göttern und mythischen Bilderwelten seine Idee vom Glück als einem nicht selbst erzeugbaren, sondern vielmehr als einem empfangenen Geschenk darstellt. Er schafft es gleichzeitig, Trost zu spenden durch den Hinweis, dass jeder Mensch von diesem Glück berührt werden kann, gleichgültig ob direkt oder indirekt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Glück“ des Autors Friedrich Schiller. Der Autor Friedrich Schiller wurde 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. In der Zeit von 1775 bis 1805 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Schiller ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Epoche der Literatur, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Schriftsteller der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. Die Schriftsteller versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der Literatur, die insbesondere von den Dichtern Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller geprägt wurde. Die Italienreise Goethes im Jahr 1786 markiert den Beginn der Epoche. Das Todesjahr von Goethe, 1832, markiert das Ende der Weimarer Klassik. In der Epoche sind Einflüsse der Französischen Revolution festzustellen. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind gebräuchliche Bezeichnungen für die Literaturepoche. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die wichtigsten Themen. Die Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. Charakteristisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Vertreter der Epoche haben in der Weimarer Klassik auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die bekanntesten Schriftsteller der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Weitere Schriftsteller der Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden letztgenannten arbeiteten jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Goethe und Schiller.

Das 614 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 66 Versen mit nur einer Strophe. Weitere Werke des Dichters Friedrich Schiller sind „An einen Moralisten“, „Bacchus im Triller“ und „Baurenständchen“. Zum Autor des Gedichtes „Das Glück“ haben wir auf abi-pur.de weitere 220 Gedichte veröffentlicht.

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