Engel-Ehe von Theodor Storm

Wie Flederwisch und Bürste sie regiert!
Glas und Gerät, es blitzt nur alles so
Und lacht und lebt! Nur, ach, sie selber nicht.
Ihr schmuck Gesicht, dem Manne ihrer Wahl,
Wenn ihre wirtschaftliche Bahn er kreuzt,
Gleich einer Maske hält sie's ihm entgegen;
Und fragt er gar, so wirft sie ihm das Wort
Als wie dem Hunde einen Knochen zu.
Denn er ist schuld an allem, was sie plagt,
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Am Trotz der Mägde, an den großen Wäschen,
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Am Tagesmühsal und der Nächte Wachen,
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Schuld an dem schmutz'gen Pudel und den Kindern.
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Und er? - Er weiß, wenn kaum der grimme Tod
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Sein unverkennbar Mal ihm aufgeprägt,
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Dann wird, der doch in jedem Weibe schläft,
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Der Engel auch in seinem Weib erwachen;
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Ihr eigen Weh bezwingend, wird sie dann,
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Was aus der Jugend Süßes ihr verblieb,
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Heraufbeschwören; leuchten wird es ihm
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Aus ihren Augen, lind wie Sommeratem
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Wird dann ihr Wort zu seinem Herzen gehn.
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Doch wähnet nicht, daß dies ihn tröste! Nein,
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Den künft'gen Engel, greulich haßt er ihn;
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Er magert ab, er schlottert im Gebein,
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Er wird daran ersticken jedenfalls.
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Doch eh ihm ganz die Kehle zugeschnürt,
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Muß er sein Weib in Himmelsglorie sehn;
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Die Rede, die er brütend ausstudiert,
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Womit vor seinem letzten Atemzug,
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Jedwedes Wort ein Schwert, auf einen Schlag
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Er alles Ungemach ihr hat vergelten wollen,
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Er wird sie nimmer halten; Segenstammeln
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Wird noch von seinen toten Lippen fliehn.
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Das alles weiß er, und es macht ihn toll;
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Er geht umher und fluchet innerlich.
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Ja, manches Mal im hellsten Sonnenschein
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Durchfährt es ihn, als stürz er in das Grab.
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Es war sein Weib, sie sprach ein sanftes Wort;
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Und zitternd blickt er auf: »Oh, Gott sei Dank,
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Noch nicht, noch nicht das Engelsangesicht!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Engel-Ehe“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
287
Entstehungsjahr
1817 - 1888
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Engel-Ehe“ stammt vom deutschen Dichter Theodor Storm, der während des 19. Jahrhunderts, genauer in der Epoche des Realismus, lebte.

Beim ersten Eindruck entsteht ein Bild von einer schwierigen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die als pedantisch und kalt beschrieben wird - ihr Hiersein erstreckt sich über die Haushaltsführung, und sie zeigt wenig Wärme gegenüber ihrem Mann.

Das Gedicht gibt ein lebendiges Bild des Alltags in einer Ehe, in der die Frau seine hegemoniale Rolle und Nähe unter das Akzeptable misshandelt. Sie ist kalt, sachlich und entfremdet ihrem Mann gegenüber, aber er schreibt ihr dennoch eine Art Transformationspotential zu. Er glaubt, dass die Härte seiner Frau, wenn er sich dem Tod nähert, schließlich nachgeben und sein wahres, engelsgleiches inneres Wesen preisgeben wird. Diese Vorstellung ist jedoch keine Tröstende für ihn, sondern instinktiv beängstigend und bedrückend.

Die Gedichtform ist in freier Versform gehalten, das heißt, sie hält sich nicht an ein striktes Reimschema oder Versmaß. Die Sprache ist sehr metaphorisch und literarisch reich. Der Autor verwendet viele bildhafte Vergleiche und starke Ausdrücke, die tiefgreifende Emotionen und körperliche Beschwerden verkörpern, um den Leidensdruck des lyrischen Ichs zu verdeutlichen.

Es ist auch zu beachten, dass die Frau in diesem Gedicht negativ dargestellt wird. Sie wird als hart, unbarmherzig und gleichgültig gegenüber den Bedürfnissen ihres Partners dargestellt. Die Darstellung der Frau kann als Kritik an den damaligen gesellschaftlichen Normen der Geschlechterrollen verstanden werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass dieses Gedicht eine facettenreiche Exploration der Dynamiken einer problematischen Ehe darstellt. Es zeichnet ein düsteres Bild der Kluft zwischen Mann und Frau in einer Ehe und beschreibt die existenzielle Angst und Sehnsucht eines Mannes, der sich nach emotionaler Nähe und Verständnis sehnt.

Weitere Informationen

Theodor Storm ist der Autor des Gedichtes „Engel-Ehe“. Storm wurde im Jahr 1817 in Husum geboren. Im Zeitraum zwischen 1833 und 1888 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Storm handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 287 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Theodor Storm sind „Käuzlein“, „Loose“ und „Oktoberlied“. Zum Autor des Gedichtes „Engel-Ehe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 131 Gedichte veröffentlicht.

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