Sturmnacht von Theodor Storm

Im Hinterhaus, im Fliesensaal
Über Urgroßmutters Tisch' und Bänke,
Über die alten Schatullen und Schränke
Wandelt der zitternde Mondenstrahl.
Vom Wald kommt der Wind
Und fährt an die Scheiben;
Und geschwind, geschwind
Schwatzt er ein Wort,
Und dann wieder fort
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Zum Wald über Föhren und Eiben.
 
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Da wird auch das alte verzauberte Holz
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Da drinnen lebendig;
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Wie sonst im Walde will es stolz
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Die Kronen schütteln unbändig,
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Mit den Ästen greifen hinaus in die Nacht,
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Mit dem Sturm sich schaukeln in brausender Jagd,
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Mit den Blättern in Übermut rauschen,
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Beim Tanz im Flug
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Durch Wolkenzug
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Mit dem Mondlicht silberne Blicke tauschen.
 
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Da müht sich der Lehnstuhl, die Arme zu recken,
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Den Rokokofuß will das Kanapee strecken,
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In der Kommode die Schubfächer drängen
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Und wollen die rostigen Schlösser sprengen;
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Der Eichschrank unter dem kleinen Troß
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Steht da, ein finsterer Koloß.
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Traumhaft regt er die Klauen an,
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Ihm zuckt's in der verlornen Krone;
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Doch bricht er nicht den schweren Bann.
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Und draußen pfeift ihm der Wind zum Hohne
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Und fährt an die Läden und rüttelt mit Macht,
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Bläst durch die Ritzen, grunzt und lacht,
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Schmeißt die Fledermäuse, die kleinen Gespenster,
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Klitschend gegen die rasselnden Fenster.
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Die glupen dumm neugierig hinein
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Da drinn' steht voll der Mondenschein.
 
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Aber droben im Haus
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Im behaglichen Zimmer
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Beim Sturmgebraus
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Saßen und schwatzten die Alten noch immer,
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Nicht hörend, wie drunten die Saaltür sprang,
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Wie ein Klang war erwacht
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Aus der einsamen Nacht,
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Der schollernd drang
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Über Trepp' und Gang,
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Daß drin in der Kammer die Kinder mit Schrecken
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Auffuhren und schlüpften unter die Decken.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Sturmnacht“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
47
Anzahl Wörter
258
Entstehungsjahr
1817 - 1888
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht „Sturmnacht“ stammt von Theodor Storm, geboren am 14. September 1817 und gestorben am 4. Juli 1888. Storm war ein Vertreter des literarischen Realismus, was eine zeitliche Einordnung in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglicht.

Das Gedicht entführt uns in eine alte, von Geschichte durchdrungene Hauslandschaft während einer stürmischen Nacht. Die anfängliche Stimmung wirkt auf Anhieb unheimlich, beinahe gespenstisch. Der Mond scheint durch die Fenster eines alten Saals, in dem alte Möbel stehen, wodurch eine Atmosphäre des Vergehens und der Vergänglichkeit entsteht.

Inhaltlich erscheint das Gedicht einerseits als Darstellung der lebhaften und dynamischen Naturgewalten, die, durch den Wind verkörpert, mit dem vom Menschen Geschaffenen interagieren und es beinahe zu beleben scheinen. Andererseits spiegelt es aber auch die Ängste und die Unsicherheit in der abgeschlossenen, scheinbar sicheren menschlichen Welt wider, insbesondere in der kindlichen Phantasie.

Das lyrische Ich konzentriert sich auf die Darstellung der Interaktionen zwischen dem Wind – als Vertreter der äußeren, wilden Natur – und den antiken Möbelstücken im Inneren des Hauses. Es wird suggeriert, dass die alten Möbelstücke auf den Wind reagieren, sich strecken und bewegen, als seien sie lebendig. Dies könnte als Metapher für die innige Verbindung zwischen Mensch und Natur gesehen werden, die selbst durch künstlerische oder handwerkliche Schöpfungen nicht unterbrochen wird.

In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht in vier Strophen von unterschiedlicher Länge gegliedert. Die Sprache ist einfach gehalten und leicht verständlich, wobei Storm dennoch ein lebendiges, bewegendes Bild der Szene zeichnet. Die Verwendung von personifizierenden Metaphern – wie der Wind, der „ein Wort schwatzt“, oder dem Schrank, der seine „Klauen“ regt – dient dazu, ein Gefühl der Lebendigkeit und dynamischen Interaktion zwischen den Elementen zu erzeugen.

Insgesamt bietet „Sturmnacht“ eine atmosphärische, nachdenkliche Reflexion darüber, wie die Naturgewalten unser Leben beeinflussen und prägen, und regt dazu an, über unsere Beziehung zu unserer Umwelt und zu den Gegenständen, die wir schaffen und mit denen wir uns umgeben, nachzudenken.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Sturmnacht“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Theodor Storm. Geboren wurde Storm im Jahr 1817 in Husum. Das Gedicht ist in der Zeit von 1833 bis 1888 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Storm ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 258 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 47 Versen. Der Dichter Theodor Storm ist auch der Autor für Gedichte wie „Juli“, „Knecht Ruprecht“ und „Käuzlein“. Zum Autor des Gedichtes „Sturmnacht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 131 Gedichte vor.

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