Waldweg von Theodor Storm

Fragment
Durch einen Nachbarsgarten ging der Weg,
Wo blaue Schlehn im tiefen Grase standen;
Dann durch die Hecke über schmalen Steg
Auf eine Wiese, die an allen Randen
Ein hoher Zaun vielfarb'gen Laubs umzog;
Buscheichen unter wilden Rosenbüschen,
Um die sich frei die Geißblattranke bog,
Brombeergewirr und Hülsendorn dazwischen;
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Vorbei an Farrenkräutern wob der Eppich
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Entlang des Walles seinen dunklen Teppich.
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Und vorwärtsschreitend störte bald mein Tritt
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Die Biene auf, die um die Distel schwärmte,
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Bald hörte ich, wie durch die Gräser glitt
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Die Schlange, die am Sonnenstrahl sich wärmte.
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Sonst war es kirchenstill in alle Weite,
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Kein Vogel hörbar; nur an meiner Seite
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Sprang schnaufend ab und zu des Oheims Hund;
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Denn nicht allein wär ich um solche Zeit
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Gegangen zum entlegnen Waldesgrund;
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Mir graute vor der Mittagseinsamkeit.
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Heiß war die Luft, und alle Winde schliefen;
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Und vor mir lag ein sonnig offner Raum,
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Wo quer hindurch schutzlos die Steige liefen.
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Wohl hatt ich's sauer und ertrug es kaum;
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Doch rascher schreitend überwand ich's bald.
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Dann war ein Bach, ein Wall zu überspringen;
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Dann noch ein Steg, und vor mir lag der Wald,
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In dem schon herbstlich rot die Blätter hingen.
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Und drüberher, hoch in der blauen Luft,
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Stand beutesüchtig ein gewalt'ger Weih,
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Die Flügel schlagend durch den Sonnenduft;
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Tief aus der Holzung scholl des Hähers Schrei.
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Herbstblätterduft und Tannenharzgeruch
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Quoll mir entgegen schon auf meinem Wege,
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Und dort im Walle schimmerte der Bruch,
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Durch den ich meinen Pfad nahm ins Gehege.
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Schon streckten dort gleich Säulen der Kapelle
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Ans Laubgewölb die Tannenstämme sich;
40 
Dann war's erreicht, und wie an Kirchenschwelle
41 
Umschauerte die Schattenkühle mich.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Waldweg“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
41
Anzahl Wörter
266
Entstehungsjahr
1817 - 1888
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Waldweg“ wurde von Theodor Storm (1817-1888) verfasst und ist daher der Epoche des Realismus zuzuordnen.

Bereits beim ersten Durchlesen bemerkt man die tiefe Naturverbundenheit des lyrischen Ichs und die detaillierte, malerische Schilderung der Landschaft.

Der Inhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das lyrische Ich beschreibt einen Weg durch einen Nachbarsgarten in eine Wiese hinein, entlang eines Zauns. Es geht unter wilden Rosenbüschen hindurch, vorbei an Brombeersträuchern und Farrenkräutern. Es stört eine Biene und eine Schlange, sonst ist es still und nur ein Hund ist zu hören. Es beschreibt eine Art von Unbehagen („Mir graute vor der Mittagseinsamkeit“) und die Hitze, bevor es einen Bach überquert und in einen Wald gelangt. Dort nimmt es herbstliche Gerüche wahr und trifft auf ein Gewässer (Bruch). Am Ende erreicht es eine kühle, schattenreiche Stelle im Wald, die es als Kirchenschwelle beschreibt.

Offenkundig unternimmt das lyrische Ich einen Spaziergang durch die Natur, doch scheint dies mehr als nur ein körperlicher Weg zu sein. Der Weg durch unterschiedliche Landschaftselemente könnte metaphorisch als Lebensweg interpretiert werden, mit seinen Hindernissen (die zu überwinden das lyrische Ich „sauer“ machen), seiner Einsamkeit und seiner Hitze (als Symbole für Herausforderungen oder Schwierigkeiten) sowie seinen Ruhe- und Schönheitsmomenten. Es könnte auch die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach Rückzug und Spiritualität zum Ausdruck kommen, wie die Kirchenmetaphorik nahelegt.

Das Gedicht besteht aus einer langen Strophe mit insgesamt 41 Versen. Die Form ist eher frei und an keine spezielle Gedichtform gebunden. Die Sprache ist durchgehend anschaulich und detailliert, viele naturnahe Metaphern und treffende Sinneseindrücke geben dem Gedicht eine bildreiche Tiefe. Auch lässt die sorgfältige Beschreibung der Landschaft und der Hingabe zur Natur auf romantische Einflüsse hindeuten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Waldweg“ ein neugieriger, tiefgehender Blick auf die Natur und die inneren Erfahrungen des lyrischen Ichs ist, die es während seines Weges durch diese erlebt. Es zeigt, dass der Weg selbst mit seinen Erlebnissen, Herausforderungen und Schönheiten ebenso wichtig ist wie das endgültige Ziel. Seine poetische Landschaftsschilderung und eindringliche Metaphorik machen es zu einem Lesegenuss.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Waldweg“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Theodor Storm. Der Autor Theodor Storm wurde 1817 in Husum geboren. Im Zeitraum zwischen 1833 und 1888 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Der Schriftsteller Storm ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 41 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 266 Worte. Die Gedichte „Von Katzen“, „Weihnachtslied“ und „Das ist der Herbst“ sind weitere Werke des Autors Theodor Storm. Zum Autor des Gedichtes „Waldweg“ haben wir auf abi-pur.de weitere 131 Gedichte veröffentlicht.

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