Gartenspuk von Theodor Storm
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Daheim noch war es; spät am Nachmittag. |
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Im Steinhof unterm Laub des Eschenbaums |
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Ging schon der Zank der Sperlinge zur Ruh; |
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Ich, an der Hoftür, stand und lauschte noch, |
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Wie Laut um Laut sich mühte und entschlief. |
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Der Tag war aus; schon vom Levkojenbeet |
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Im Garten drüben kam der Abendduft; |
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Die Schatten fielen; bläulich im Gebüsch |
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Wie Nebel schwamm es. Träumend blieb ich stehn, |
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Gedankenlos, und sah den Steig hinab; |
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Und wieder sah ich - und ich irrte nicht |
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Tief unten, wo im Grund der Birnbaum steht, |
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Langsam ein Kind im hohen Grase gehen; |
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Ein Knabe schien's, im grauen Kittelchen. |
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Ich kannt es wohl, denn schon zum öftern Mal |
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Sah dort im Dämmer ich so holdes Bild; |
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Die Abendstille schien es herzubringen, |
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Doch näher tretend fand man es nicht mehr. |
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Nun ging es wieder, stand und ging umher, |
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Als freu es sich der Garteneinsamkeit. |
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Ich aber, diesmal zu beschleichen es, |
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Ging leise durch den Hof und seitwärts dann |
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Im Schatten des Holunderzauns entlang, |
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Sorgsam die Schritte messend; einmal nur |
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Nach einer Erdbeerranke bückt ich mich, |
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Die durch den Weg hinausgelaufen war. |
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Schon schlüpft ich bei der Geißblattlaube durch; |
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Ein Schritt noch ums Gebüsch, so war ich dort, |
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Und mit den Händen mußt ich's greifen können. |
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Umsonst! - Als ich den letzten Schritt getan, |
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Da war es wieder wie hinweggetäuscht. |
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Still stand das Gras, und durch den grünen Raum |
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Flog surrend nur ein Abendschmetterling; |
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Auch an den Linden, an den Fliederbüschen, |
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Die ringsum standen, regte sich kein Blatt. |
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Nachsinnend schritt ich auf dem Rasen hin |
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Und suchte töricht nach der Füßchen Spur |
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Und nach den Halmen, die ihr Tritt geknickt; |
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Dann endlich trat ich aus der Gartentür, |
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Um draußen auf dem Deich den schwülen Tag |
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Mit einem Gang im Abendwind zu schließen. |
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Doch als ich schon die Pforte zugedrückt, |
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Den Schlüssel abzog, fiel ein Sonnenriß, |
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Der in der Planke war, ins Auge mir; |
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Und fast unachtsam lugte ich hindurch. |
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Dort lag der Rasen, tief im Schatten schon; |
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Und sieh! Da war es wieder, unweit ging's, |
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Grasrispen hatt es in die Hand gepflückt; |
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Ich sah es deutlich... In sein blaß Gesichtchen |
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Fiel schlicht das Haar; die Augen sah man nicht, |
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Sie blickten erdwärts, gern, so schien's, betrachtend, |
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Was dort geschah; doch lächelte der Mund. |
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Und nun an einem Eichlein kniet' es hin, |
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Das spannenhoch kaum aus dem Grase sah |
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Vom Walde hatt ich jüngst es heimgebracht -, |
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Und legte sacht ein welkes Blatt beiseit |
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Und strich liebkosend mit der Hand daran. |
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Darauf - kaum nur vermocht ich's zu erkennen; |
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Denn Abend ward es, doch ich sah's genau |
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Ein Käfer klomm den zarten Stamm hinauf, |
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Bis endlich er das höchste Blatt erreicht; |
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Er hatte wohl den heißen Tag verschlafen |
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Und rüstete sich nun zum Abendflug. |
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Rückwärts die Händchen ineinanderlegend, |
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Behutsam sah das Kind auf ihn herab. |
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Schon putzte er die Fühler, spannte schon |
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Die Flügeldecken aus, ein Weilchen, und |
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Nun flog er fort. Da nickt' es still ihm nach. |
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Ich aber dachte: ?Rühre nicht daran!? |
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Hob leis die Stirn und ging den Weg hinab, |
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Den Garten lassend in so holder Hut. |
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Nicht merkt ich, daß einsam die Wege wurden, |
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Daß feucht vom Meere strich die Abendluft; |
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Erfüllet ganz von süßem Heimgefühl, |
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Ging weit ich in die Dunkelheit hinaus. |
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Da fiel ein Stern; und plötzlich mahnt' es mich |
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Des Augenblicks, da ich das Haus verließ, |
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Die Hand entreißend einer zarteren, |
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Die drin im Flur mich festzuhalten strebte; |
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Denn schon selbander hausete ich dort. |
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Nun ging ich raschen Schritts den Weg zurück; |
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Und als ich spät, da schon der Wächter rief, |
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Heimkehrend wieder durch den Garten schritt, |
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Hing stumm die Finsternis in Halm und Zweigen, |
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Die Kronen kaum der Bäume rauschten leis. |
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Vom Hause her nur, wo im Winkel dort |
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Der Nußbaum vor dem Kammerfenster steht, |
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Verstohlen durch die Zweige schien ein Licht. |
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Ein Weilchen noch, und sieh! ein Schatten fiel, |
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Ein Fenster klang, und in die Nacht hinaus |
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Rief eine Stimme: »Bist du's?« - »Ja, ich bin's!« |
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Die Zeit vergeht; längst bin ich in der Fremde, |
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Und Fremde hausen, wo mein Erbe steht. |
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Doch bin ich einmal wieder dort gewesen; |
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Mir nicht zur Freude und den andern nicht. |
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Einmal auch in der Abenddämmerung |
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Geriet ich in den alten Gartenweg. |
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Da stand die Planke; wie vor Jahren schon |
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Hing noch der Linden schön Gezweig herab; |
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Von drüben kam Resedaduft geweht, |
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Und Dämmrungsfalter flogen durch die Luft. |
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Ging's noch so hold dort in der Abendstunde? |
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Fest und verschlossen stand die Gartentür; |
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Dahinter stumm lag die vergangne Zeit. |
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Ausstreckt ich meine Arme; denn mir war, |
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Als sei im Rasen dort mein Herz versenkt. |
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Da fiel mein Aug auf jenen Sonnenriß, |
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Der noch, wie ehmals, ließ die Durchsicht frei. |
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Schon hatt ich zögernd einen Schritt getan; |
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Noch einmal blicken wollt ich in den Raum, |
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Darin ich sonst so festen Fußes ging. |
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Nicht weiter kam ich. Siedend stieg mein Blut, |
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Mein Aug ward dunkel; Grimm und Heimweh stritten |
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Sich um mein Herz; und endlich, leidbezwungen, |
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Ging ich vorüber. Ich vermocht es nicht. |
Details zum Gedicht „Gartenspuk“
Theodor Storm
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115
823
1817 - 1888
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Gartenspuk“ wurde von Theodor Storm geschrieben, einem deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der vor allem für seine Novellen und Gedichte bekannt ist. Storm war ein Vertreter des poetischen Realismus.
Beim ersten Lesen erweckt das Gedicht den Eindruck von Melancholie und Sehnsucht. Es vermittelt das Bild eines Mannes, der auf seine Kindheit zurückblickt und die Momente der Unschuld und Freude in Erinnerung ruft, die in der Natur und in seinem heimatlichen Garten verbracht wurden.
Im Gedicht erzählt das lyrische Ich von seinen Erinnerungen an einen Garten, in dem es ein kleines Kind beobachtet hatte, welches im Gras spielte und die Einfachheit der Natur genoss. Im Verlauf des Gedichts versucht das lyrische Ich, die Figur des Kindes erneut zu erspähen und stellt dabei fest, dass sie immer verschwindet, sobald es näher kommt. Am Ende des Gedichts kehrt das lyrische Ich als Erwachsener zum Garten zurück, kann aber nicht mehr hinein, da es nun in der Fremde lebt.
Die Hauptbotschaft des Gedichts könnte sein, dass die Unschuld der Kindheit und die Freude an einfachen Dingen mit der Zeit verloren gehen und dass der Prozess des Erwachsenwerdens oft mit dem Verlust der Heimat und der Entfremdung einhergeht.
Das Gedicht ist in vier Strophen unterschiedlicher Länge unterteilt, was eher ungewöhnlich ist und möglicherweise die unterschiedlichen Phasen im Leben des lyrischen Ichs darstellt. Die Sprache des Gedichts ist verständlich und eher schlicht, aber dennoch bildreich und atmosphärisch. Storm verwendet viele Naturmetaphern und -symbole, um die Gefühle des lyrischen Ichs zu vermitteln. Die Melancholie und Sehnsucht des lyrischen Ichs werden durch die wiederkehrende Erwähnung von Abenddämmerung und Dunkelheit hervorgehoben.
Insgesamt ist „Gartenspuk“ ein tiefgründiges und emotionales Gedicht, das den Verlust von Heimat und die Vergänglichkeit der Kindheit thematisiert. Es wirft Fragen nach Identität, Heimat und der Bedeutung von Erinnerungen auf.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Gartenspuk“ des Autors Theodor Storm. 1817 wurde Storm in Husum geboren. Zwischen den Jahren 1833 und 1888 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Storm ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 823 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 115 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Der Dichter Theodor Storm ist auch der Autor für Gedichte wie „Käuzlein“, „Loose“ und „Oktoberlied“. Zum Autor des Gedichtes „Gartenspuk“ haben wir auf abi-pur.de weitere 131 Gedichte veröffentlicht.
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