Columbus von Karoline Marie Luise Brachmann

»Was willst du, Fernando, so trüb und bleich?
Du bringst mir traurige Mähr!«
»Ach edler Feldherr, bereitet euch,
Nicht länger bezähm' ich das Heer!
Wenn jetzt nicht die Küste sich zeigen will,
So seid Ihr ein Opfer der Wuth;
Sie fordern laut, wie Sturmgebrüll,
Des Feldherrn heiliges Blut.«
 
Und eh noch dem Ritter das Wort entflohn,
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Da drängt schon die Menge sich nach,
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Da stürmen die Krieger, die wüthenden, schon,
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Gleich Wogen in's stille Gemach:
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Verzweiflung im wilden verlöschenden Blick,
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Auf bleichen Gesichtern der Tod.
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»Verräther! wo ist nun dein gleißendes Glück?
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Jetzt rett' uns vom Gipfel der Noth!
 
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»Du giebst uns nicht Speise, so gieb uns denn Blut!«
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»Blut!« rief das entzügelte Heer.
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Sanft stellte der Große den Felsenmuth
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Entgegen dem stürmischen Meer.
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»Befriedigt mein Blut euch, so nehmt es und lebt!
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Doch bis noch ein einziges Mal
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Die Sonne dem feurigen Osten entschwebt
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Vergönnt mir den segnenden Strahl.
 
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»Beleuchtet der Morgen kein rettend Gestad,
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So biet' ich dem Tode mich gern,
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Bis dahin verfolgt noch den muthigen Pfad,
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Und trauet der Hülfe des Herrn!«
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Die Würde des Helden, sein ruhiger Blick
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Besiegte noch einmal die Wuth.
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Sie wichen vom Haupte des Führers zurück
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Und schonten sein heiliges Blut.
 
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»Wohlan denn! es sei noch! doch hebt sich der Strahl
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Und zeigt uns kein rettendes Land,
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So siehst du die Sonne zum letzten Mal!
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So zittre der strafenden Hand!«
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Geschlossen war also der eiserne Bund;
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Die Schrecklichen wichen zurück.
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Es thue der leuchtende Morgen nun kund
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Des duldenden Helden Geschick!
 
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Die Sonne sank, der Tag entwich;
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Des Helden Brust ward schwer;
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Der Kiel durchrauschte schauerlich
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Das weite wüste Meer.
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Die Sterne zogen still herauf,
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Doch ach! kein Hoffnungsstern!
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Und von des Schiffes ödem Lauf
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Blieb Land und Rettung fern.
 
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Vom Trost des süßen Schlafs verbannt,
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Die Brust voll Gram, durchwacht,
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Nach Westen blickend unverwandt,
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Der Held die dunkle Nacht.
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»Nach Westen, o nach Westen hin
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Beflügle dich, mein Kiel!
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Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn,
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Du meiner Sehnsucht Ziel!
 
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»Doch mild, o Gott, von Himmelshöhn
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Blick auf dein Volk herab,
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Laß nicht sie trostlos untergehn
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Im wüsten Fluthengrab!«
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Es sprach's der Held, von Mitleid weich;
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Da horch! welch eil'ger Tritt?
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»Noch einmal, Fernando, so trüb und bleich!
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Was bringt dein bebender Schritt?«
 
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»Ach, edler Feldherr, es ist geschehn!
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Jetzt hebt sich der östliche Strahl!«
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Sei ruhig, mein Lieber! von himmlischen Höhn
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Entwand sich der leuchtende Strahl.
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Es waltet die Allmacht von Pol zu Pol,
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Mir lenkt sie zum Tode die Bahn.
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»Leb wohl dann, mein Feldherr! leb ewig wohl!
72 
Ich höre die Schrecklichen nahn!«
 
73 
Und eh noch dem Ritter das Wort entflohn,
74 
Da drängte die Menge sich nach;
75 
Da stürmten die Krieger, die wüthenden, schon
76 
Gleich Wogen in's stille Gemach.
77 
»Ich weiß, was ihr fordert, und bin bereit,
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Ja, werft mich in's schäumende Meer;
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Doch wisset, das rettende Ziel ist nicht weit;
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Gott schütze dich, irrendes Heer!«
 
81 
Dumpf klirrten die Schwerter, ein wüstes Geschrei
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Erfüllte mit Grausen die Luft;
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Der Edle bereitet sich still und frei
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Zum Weg in die fluthende Gruft.
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Zerrissen war jedes geheiligte Band:
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Schon sah sich zum schwindelnden Rand
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Der treffliche Führer gerissen - - Und Land!
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Land! rief es, und donnert es, Land!!
 
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Ein glänzender Streifen, mit Purpur gemalt,
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Erschien dem beflügelten Blick;
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Vom Golde der steigenden Sonne bestrahlt
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Erhob sich das winkende Glück,
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Was kaum noch geahnet der zagende Sinn,
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Was muthvoll der Große gedacht;
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Sie stürzten zu Füßen des Herrlichen hin,
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Und priesen die göttliche Macht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.5 KB)

Details zum Gedicht „Columbus“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
96
Anzahl Wörter
574
Entstehungsjahr
1777 - 1822
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von der Dichterin Karoline Brachmann, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert tätig war. Sie gehörte zur Strömung der Romantik an, was sich auch in diesem Gedicht zeigt. Es handelt von der historischen Persönlichkeit Christoph Kolumbus und seinem Kampf und seinem Ringen, um den Atlantik zu überqueren und einen westlichen Seeweg nach Indien zu finden.

Auf den ersten Blick fällt die hohe Dramatik des Gedichts auf. Es ist in eine spannende Handlung eingebettet, die von der drohenden Gefahr für Kolumbus und die Meuterei seiner Mannschaft bis zur letztendlichen Entdeckung des amerikanischen Kontinents reicht.

Im Fokus steht das lyrische Ich, das Kolumbus darstellt. Seine Ausdauer, sein Glaube und sein Mut werden in den stürmischen Zeiten auf See geprüft. Er steht einem rebellierenden Heer gegenüber, das ihn bedroht und sein Blut fordert, wenn kein Land in Sicht ist. Kolumbus selbst zeigt sich als standhaft, mutig und bereit, sein Leben für die Mission zu opfern. Trotz der Bedrohung und der Hoffnungslosigkeit bleibt er fest entschlossen.

Die Sprache des Gedichts ist pathetisch und stark bildlich. Oft wird das Meer als Bild für die Herausforderungen und Schwierigkeiten verwendet, denen Kolumbus gegenübersteht. Die Form des Gedichts ist geprägt durch strenge Reimformen, was die Dramatik des Inhaltes unterstreicht.

Im Kontext der Romantik kann man das Gedicht auch als Darstellung der Überzeugung und des beharrlichen Suche nach Wahrheit und Schönheit interpretieren, welche typisch für diese Epoche sind. Kolumbus tritt hier als Held auf, der trotz größter Widerstände seine Vision verfolgt, was zum Triumph der Liebe und der Schönheit über das Chaos führt.

Im Ganzen ist das Gedicht eine dramatische und romantische Darstellung des Abenteuers und des Mutes von Christoph Kolumbus. Es zeigt die inneren Kämpfe des Helden, seiner Verzweiflung und Hoffnung, und feiert am Ende seinen Triumph.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Columbus“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Karoline Marie Luise Brachmann. 1777 wurde Brachmann in Rochlitz geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1793 bis 1822 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her den Epochen Klassik, Romantik oder Biedermeier zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 574 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 96 Versen mit insgesamt 12 Strophen. Karoline Marie Luise Brachmann ist auch die Autorin für das Gedicht „Der Führer“, „Treue Liebe“ und „Meine Wahl“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Columbus“ weitere 20 Gedichte vor.

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