Das Bildniß von Sophie Friederike Mereau

Wer hellt mit sanftem Tagesschein
des Lebens düstre Wüsteneyn? –
Wem dank’ ichs, daß nach trüber Nacht
der Freude Blick mir wieder lacht? –
 
Dir, Götterfunken! dir Genie!
dir beug’ ich dankend meine Knie! –
Ein Stral von dir in Wüsteneyn
streut Blumen hin auf Fels und Stein.
 
Dein kühner Flug strebt himmelauf,
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durch Sphären windet sich dein Lauf:
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die Welten sinken unter dir,
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du winkst – und neue gehn herfür.
 
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Du füllst mit Gluth des Dichters Herz,
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hebst seine Seele sonnenwärts,
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voll Ahndung fliegt der trunkne Geist
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die Bahnen, die dein Wink ihm weist.
 
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Du riefst aus todtem Holz hervor
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den Zauberton, der durch das Ohr
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mit Harmonie die Seele füllt,
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Entzücken schafft, und Wunden stillt.
 
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Das, was der vollen Brust entfließt,
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dem fernen Freund verständlich ist,
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daß wir, getrennt, doch nah uns sind,
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das lehrtest du uns, Götterkind.
 
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Mir zauberte, durch dich belebt,
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so schön – des Urbilds Seele schwebt
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um Auge, Stirne, Mund und Kinn –
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der Künstler dieses Bildniß hin.
 
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Das ist im unwirthbaren Hayn,
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dem Wandrer irrend und allein
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der erste Lichtstral, der erscheint,
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was mir der liebe stumme Freund!
 
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Mir schaft der Phantasien Spiel
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beym Blick auf ihn der Freuden viel,
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in dämmernder Vergangenheit,
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glänzt sanft verblühte Seligkeit.
 
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Es weyht die graue Dämmerung
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beym Schimmer der Erinnerung
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– so sinkt, bestralt von Lunas Blick,
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von Blumenau’n die Nacht zurück.
 
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So manches trübe, bange Leid,
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Einbildung bald, bald Wirklichkeit,
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schwand, wenn noch oft von Thränen naß,
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mein Blick in diesen Zügen laß.
 
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Verschwiegen wie im Schattenreich,
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stets liebevoll, sich immer gleich,
47 
voll Reitz, der keinem Winter weicht
48 
– wer ist, der diesem Freunde gleicht?
 
49 
Dem. S......t.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „Das Bildniß“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
49
Anzahl Wörter
265
Entstehungsjahr
1792
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Zunächst ist festzuhalten, dass der Autor des vorliegenden Gedichts Sophie Friederike Mereau ist, eine deutsche Schriftstellerin der Weimarer Klassik und frühen Romantik, die von 1770 bis 1806 lebte.

Der Titel „Das Bildniß“ und das lyrische Ich im Gedicht lassen vermuten, dass es um die Darstellung und Wahrnehmung eines Porträts geht, die starke Emotionen im lyrischen Ich auslöst. Die Autorin verwendet das Bildnis als Metapher, um tiefe Gefühle von Zuneigung, Hochachtung und Dankbarkeit auszudrücken.

Das lyrische Ich thematisiert die Fähigkeit des „Bildnisses“ Erinnerungen und Gefühle der Freude sowie die Überwindung von Kummer und Leid hervorzurufen. Das Bild verkörpert möglicherweise einen geliebten Menschen oder eine geliebte Persönlichkeit, deren Geist und Seele im Kunstwerk eingefangen sind. Darüber hinaus spielt das Bildnis eine wichtige Rolle als Inspirationsquelle für das lyrische Ich.

Die Gedichtsform besteht aus 13 Strophen zu je vier Versen (außer die letzte Strophe mit nur einem Vers), wobei jeder Vers im Allgemeinen zehn Silben aufweist. Die Verwendung solch strukturierten Versmaßes legt nahe, dass Mereau bemüht war, klare Bilder und Ideen zu formen und dennoch die emotionalen Belange nicht zu vernachlässigen.

Die Sprache des Gedichts ist geprägt von hohem stilistischem Niveau und Metaphern sowie poetischen Bildern, die auf die Romantik verweisen, wie etwa „sanfter Tageslichtschein“, „des Lebens düstre Wüsteneyn“ oder „Zauberton“.

Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass „Das Bildniß“ ein poetischer Ausdruck der tiefen Empfindungen und Betrachtungen des lyrischen Ichs ist. Das Kunstwerk – das Bildnis, dient als Inspirationsquelle, Trostspender und Freund und bietet eine Möglichkeit, Erinnerungen und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, bei gleichzeitiger Überwindung von Kummer und Leid. Darüber hinaus würdigt das lyrische Ich durch das Gedicht die Kraft und Einfluss dieser Kunst auf die menschliche Erfahrung und Emotion.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Das Bildniß“ ist Sophie Friederike Mereau. 1770 wurde Mereau in Altenburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1792 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Klassik zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 265 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 49 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Die Gedichte „Frühling“, „Schwärmerei der Liebe“ und „Vergangenheit“ sind weitere Werke der Autorin Sophie Friederike Mereau. Zur Autorin des Gedichtes „Das Bildniß“ haben wir auf abi-pur.de weitere 31 Gedichte veröffentlicht.

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