Das Bilderbuch von Paul Haller

Über Bechsteintasten fiebert
Spiel aus bläulichweißen Händen.
Schwermutaugen, glanzlos, tasten
Aus den grabverhangnen Wänden
Nach des Lichtes reichem Trost.
 
Hier ist Gold, sind Luxusdecken
Über hingeträumten Tischen,
In den Nischen
Formgewordne Wundersteine,
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Aus den Büchern, aus den Bildern
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Schütteln tausend feingelockte
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Kinderköpfchen die Gesichter,
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Kinder aller hundert Musen.
 
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Doch die Schwermut blättert stürmisch
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In den Bildern, in den Schätzen.
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Fieber kühlt sich im Entsetzen.
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Denn von Blatt zu Blatt gerissen
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Drohn Gespenster
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Und das furchtbar kalte Wissen:
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Auf dem letzten grinst der Tod.
 
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Aber Glockentöne, tiefe,
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Fernentsandte sind dem Menschen
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Trost und Führung. Nahen freundlich,
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Aug und Ohr dem blinden Wandrer;
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Führen still durch laute Gassen
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Über Treppen, Winkelsteige
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Mensch zu Mensch, und wecken Liebe.
 
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Hier ist Kot und kalkige Tünche,
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Stickgestank und Löcherdielen,
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An den Händen Schwar und Schwielen;
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Und die Augen stechen tückisch,
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Die verhärmten, oft getäuschten,
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Nach der niegefühlten, matten
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Haut der Hände,
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Die sie schwesterlich beschatten.
 
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Diese Feine, Überzarte
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Tröstet hier die Rauhe, Harte.
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Sieh, an kalten Weißelmauern
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Regt sich’s wie von Goldgestalten,
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Stummer Linien weiches Fließen,
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Heller Farben jauchzend Grüßen,
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Treuer Nächte großes Walten.
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Und die Liebe blättert stürmisch,
44 
Und von Blatt zu Blatt gerissen
45 
Grüßen Freunde,
46 
Stammelnd Ahnen, zitternd Wissen:
47 
Auf der letzten: Seligkeit.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27 KB)

Details zum Gedicht „Das Bilderbuch“

Autor
Paul Haller
Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
47
Anzahl Wörter
201
Entstehungsjahr
nach 1898
Epoche
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Bilderbuch“ wurde von Paul Haller verfasst, einem österreichischen Dichter und Schriftsteller, der von 1882 bis 1920 lebte. Haller gilt als Vertreter des literarischen Symbolismus, einer Ausdrucksform, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts populär war und sich durch die Verwendung von Symbolen und Metaphern auszeichnet, um Emotionen und Ideen zu vermitteln.

Bei erster Betrachtung zeichnet sich das Gedicht durch seine lebendige und bildhafte Sprache aus, wobei Haller eine Reihe von starken und eindringlichen Bildern nutzt, um eine komplexe emotionale Landschaft zu zeichnen. Es hat einen melancholischen, nachdenklichen Ton und scheint eine Art spirituelle oder emotionale Reise zu thematisieren.

Im ersten Teil des Gedichts beschreibt das lyrische Ich eine Szene von Musik und Kunst, möglicherweise in einem opulenten und luxuriösen Rahmen. Allerdings spürt es keine Freude oder Erhebung daraus, stattdessen scheint es von einer Schwermut und Melancholie überwältigt zu sein, die sich nicht lindern lassen. Das lyrische Ich kommt zur Einsicht, dass trotz aller Schönheit und Pracht der Tod unausweichlich ist.

Der zweite Teil des Gedichts scheint eine Wendung zu nehmen: Hier tauchen die Themen Hoffnung und Liebe auf. Das lyrische Ich besinnt sich auf das Wesentliche und findet Trost und Führung in der Menschlichkeit, Liebe und Gemeinschaft. Auch wenn die Umgebung einfacher und sogar armselig erscheint, wird sie durch diese menschlichen Verbindungen veredelt und gewinnt an Bedeutung.

Die Sprache des Gedichts ist präzise und dennoch intensiv emotional, voller metaphorischer Bilder und lebhafter Beschreibungen. Die Form ist relativ frei, wobei die Länge der Strophen variiert. Allerdings sind die Versendungen in den meisten Fällen gereimt, was dem Gedicht einen musikalischen, fast liedhaften Charakter verleiht.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass „Das Bilderbuch“ ein Gedicht ist, das Fragen über die Bedeutung des Lebens, die Rolle der Kunst und den Wert menschlicher Beziehungen aufwirft. Trotz seiner dunklen Stimmung am Anfang, endet es auf einer hoffnungsvollen und positiven Note. Seine Botschaft scheint zu sein, dass wahre Freude und Erfüllung in der Liebe und der Menschlichkeit gefunden werden können, auch inmitten der einfachsten oder schwierigsten Umstände.

Weitere Informationen

Paul Haller ist der Autor des Gedichtes „Das Bilderbuch“. Geboren wurde Haller im Jahr 1882 in Rein bei Brugg. In der Zeit von 1898 bis 1920 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Aarau. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Naturalismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Haller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 47 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 201 Worte. Paul Haller ist auch der Autor für Gedichte wie „An die strahlende Sonne“, „An eine Sängerin“ und „Augen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Bilderbuch“ weitere 65 Gedichte vor.

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