Begegnung von Heinrich Heine

Wohl unter der Linde erklingt die Musik,
Da tanzen die Burschen und Mädel,
Da tanzen zwei, die niemand kennt,
Sie schaun so schlank und edel.
 
Sie schweben auf, sie schweben ab,
In seltsam fremder Weise;
Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
Das Fräulein flüstert leise:
 
»Mein schöner Junker, auf Eurem Hut
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Schwankt eine Neckenlilie,
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Die wächst nur tief in Meeresgrund
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Ihr stammt nicht aus Adams Familie.
 
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Ihr seid der Wassermann, Ihr wollt
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Verlocken des Dorfes Schönen.
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Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,
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An Euren fischgrätigen Zähnen.«
 
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Sie schweben auf, sie schweben ab,
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In seltsam fremder Weise,
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Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
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Der Junker flüstert leise:
 
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»Mein schönes Fräulein, sagt mir, warum
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So eiskalt Eure Hand ist?
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Sagt mir, warum so naß der Saum
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An Eurem weißen Gewand ist?
 
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Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,
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An Eurem spöttischen Knickse
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Du bist kein irdisches Menschenkind,
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Du bist mein Mühmchen, die Nixe.«
 
29 
Die Geigen verstummen, der Tanz ist aus
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Es trennen sich höflich die beiden.
31 
Sie kennen sich leider viel zu gut,
32 
Suchen sich jetzt zu vermeiden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Begegnung“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
181
Entstehungsjahr
1797 - 1856
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht wurde von Heinrich Heine verfasst, einem bedeutenden Dichter der Romantik und des Vormärz im 19. Jahrhundert.

Das Gedicht trägt den Titel „Begegnung“ und schafft durch lebhafte Bilder und Ereignisse einen unerwarteten, bedeutsamen Austausch zwischen zwei Wesen, die aus unterschiedlichen Welten stammen. Bei der ersten Lektüre bezaubert das Gedicht durch seine lebhafte Darstellung einer Tanzszene, im weiteren Verlauf offenbart sich jedoch eine tiefere, metaphorische Bedeutung.

Die „Begegnung“ findet bei einer Tanzveranstaltung unter einer Linde statt, wo ein ungewöhnliches Paar auftritt, das niemand zu kennen scheint. Sie werden als schlank und edel beschrieben, tanzen auf eine eigenartige Weise und scheinen eingeweihte Geheimnisse zu teilen. Sie entpuppen sich als übernatürliche Wesen: der Mann als Wassermann, die Frau als Nixe. Erkenntlich werden sie anhand spezifischer Merkmale wie den „fischgrätigen Zähnen“ des Wassermanns und der „eiskalten Hand“ und dem nassen Saum des Kleides der Nixe. Nach der Enthüllung vermeiden sie sich, wobei das Gedicht mit der Zeile „Sie kennen sich leider viel zu gut, suchen sich jetzt zu vermeiden“ endet.

Die Worte des lyrischen Ichs vermitteln den Eindruck einer ungewöhnlichen und zugleich tragischen Begegnung, in der zwei unterschiedliche Welten aufeinandertreffen. Die beiden Wesen scheinen sich zu kennen und zu verstehen, trotz oder gerade wegen ihrer Unterschiede. Doch eben diese Unterschiedlichkeit führt dazu, dass sie sich letztlich voneinander distanzieren.

Formal besteht das Gedicht aus acht vierzeiligen Strophen, wobei im jeder Strophe in der Regel ein Reimpaar (aabb) vorliegt. Heines Sprache ist klar und einfach, dennoch wird ein komplexes Zusammenspiel zwischen den beiden Protagonisten dargestellt.

Insgesamt kann Heines „Begegnung“ als Allegorie auf das Zusammentreffen von verschiedenen Welten und Lebensformen gelesen werden. Dabei wird deutlich, dass trotz Vorhandensein von Verständnis und Respekt, die Unvereinbarkeit der Lebenswelten zur Distanzierung führt. Auf diese Weise mag das Gedicht auf zwischenmenschliche Begegnungen verweisen, in denen Anerkennung und Differenz simultan existieren.

Weitere Informationen

Heinrich Heine ist der Autor des Gedichtes „Begegnung“. 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. In der Zeit von 1813 bis 1856 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 181 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Als ich, auf der Reise, zufällig“, „Alte Rose“ und „Altes Lied“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Begegnung“ weitere 535 Gedichte vor.

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