Die Wahlverlobten von Heinrich Heine

Du weinst und siehst mich an, und meinst,
Daß du ob meinem Elend weinst
Du weißt nicht, Weib! dir selber gilt
Die Trän', die deinem Aug' entquillt.
 
Oh, sage mir, ob nicht vielleicht
Zuweilen dein Gemüt beschleicht
Die Ahnung, die dir offenbart,
Daß Schicksalswille uns gepaart?
Vereinigt, war uns Glück hienieden,
10 
Getrennt, nur Untergang beschieden.
 
11 
Im großen Buche stand geschrieben,
12 
Wir sollten uns einander lieben.
13 
Dein Platz, er sollt an meiner Brust sein,
14 
Hier wär erwacht dein Selbstbewußtsein;
15 
Ich hätt dich aus dem Pflanzentume
16 
Erlöst, emporgeküßt, o Blume,
17 
Empor zu mir, zum höchsten Leben
18 
Ich hätt dir eine Seel' gegeben.
 
19 
Jetzt, wo gelöst die Rätsel sind,
20 
Der Sand im Stundenglas verrinnt
21 
O weine nicht, es mußte sein
22 
Ich scheide, und du welkst allein;
23 
Du welkst, bevor du noch geblüht,
24 
Erlöschest, eh' du noch geglüht;
25 
Du stirbst, dich hat der Tod erfaßt,
26 
Bevor du noch gelebet hast.
 
27 
Ich weiß es jetzt. Bei Gott! du bist es,
28 
Die ich geliebt. Wie bitter ist es,
29 
Wenn im Momente des Erkennens
30 
Die Stunde schlägt des ew'gen Trennens!
31 
Der Willkomm ist zu gleicher Zeit
32 
Ein Lebewohl! Wir scheiden heut
33 
Auf immerdar. Kein Wiedersehn
34 
Gibt es für uns in Himmelshöhn.
35 
Die Schönheit ist dem Staub verfallen,
36 
Du wirst zerstieben, wirst verhallen.
37 
Viel anders ist es mit Poeten;
38 
Die kann der Tod nicht gänzlich töten.
39 
Uns trifft nicht weltliche Vernichtung,
40 
Wir leben fort im Land der Dichtung,
41 
In Avalun, dem Feenreiche
42 
Leb wohl auf ewig, schöne Leiche!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Die Wahlverlobten“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
240
Entstehungsjahr
1797 - 1856
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Wahlverlobten“ wurde von Heinrich Heine geschrieben, einem der bedeutendsten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Eine zeitliche Einordnung ist hier durch den Lebenszeitraum des Autors (1797-1856) möglich, wobei Heines Schaffensphase hauptsächlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lag.

Betrachtet man das Gedicht insgesamt, so fällt auf, dass es von Melancholie und Verlustschmerz geprägt ist. Es geht offenbar um eine innige, vermutlich aber unglückliche Liebe.

Inhaltlich adressiert dieses Gedicht eine geliebte Frau, die zu weinen scheint und das lyrische Ich mit Mitleid betrachtet. Dieses jedoch dreht mit eleganter Rhetorik die Wahrnehmung um: Es sind nicht seine Qualen, die sie belasten, sondern ihr eigenes, noch nicht realisiertes Leid. Die folgenden Strophen unterstreichen, dass sie durch Schicksal verbunden waren, ihre Trennung gleichbedeutend mit ihrem Untergang ist, und es war ihre Bestimmung, von ihm „erweckt und erhoben“ zu werden.

In den weiteren Versen artikuliert das lyrische Ich, dass die Zeit der Trennung naht und die Geliebte in Einsamkeit zurückbleibt. Es schildert eine tragische Vorstellung von ihrer Existenz als etwas, das nicht vollständig gelebt, geblüht oder geglüht hat, bevor es stirbt. Die größte Ironie enthüllt das Ich in der endgültigen Erkenntnis ihrer Identität als die Geliebte im Moment der ewigen Trennung.

Formal betrachtet, weist das Gedicht keine strikte Strophen- oder Versform auf, was für Heines Werke typisch ist. Die melancholische Stimmung wird durch die lyrische Sprache und die emotionale Tiefe der Aussagen verstärkt.

In der Analyse der Sprache fällt auf, dass Heine Metaphern und Symbolik nutzt, um den emotionalen Zustand der Figuren darzustellen. Beispielsweise stehen üppige Pflanzen für Lebensfreude und Vitalität, Welken und Vergehen andererseits für Tod und Vergänglichkeit. Diese bildreiche, eindringliche Sprache ist ein Merkmal von Heines Lyrik.

Heine schließt das Gedicht mit einer überraschenden Wendung ab, indem er sich selbst als Dichter bezeichnet, der in seinem Werk weiterlebt und sie als schöne Leiche zurücklässt, was eine Art Unsterblichkeit nur für den Dichter suggeriert. Dies kann als Lob auf die Kunst und somit auf den Dichter selbst gelesen werden, aber auch als Kommentar zur Vergänglichkeit aller irdischen Liebe.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Die Wahlverlobten“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Heine. Der Autor Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1813 bis 1856 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 240 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Heinrich Heine ist auch der Autor für Gedichte wie „Ahnung“, „Allnächtlich im Traume seh’ ich dich“ und „Almansor“. Zum Autor des Gedichtes „Die Wahlverlobten“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 535 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Heinrich Heine

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Heinrich Heine und seinem Gedicht „Die Wahlverlobten“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Heine (Infos zum Autor)

Zum Autor Heinrich Heine sind auf abi-pur.de 535 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.