Kobes I von Heinrich Heine

Im Jahre achtundvierzig hielt,
Zur Zeit der großen Erhitzung,
Das Parlament des deutschen Volks
Zu Frankfurt seine Sitzung.
 
Damals ließ auch auf dem Römer dort
Sich sehen die weiße Dame,
Das unheilkündende Gespenst;
Die Schaffnerin ist sein Name.
 
Man sagt, sie lasse sich jedesmal
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Des Nachts auf dem Römer sehen,
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Sooft einen großen Narrenstreich
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Die lieben Deutschen begehen.
 
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Dort sah ich sie selbst um jene Zeit
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Durchwandeln die nächtliche Stille
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Der öden Gemächer, wo aufgehäuft
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Des Mittelalters Gerülle.
 
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Die Lampe und ein Schlüsselbund
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Hielt sie in den bleichen Händen;
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Sie schloß die großen Truhen auf
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Und die Schränke an den Wänden.
 
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Da liegen die Kaiserinsignia,
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Da liegt die Goldne Bulle,
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Der Zepter, die Krone, der Apfel des Reichs
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Und manche ähnliche Schrulle.
 
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Da liegt das alte Kaiserornat,
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Verblichen purpurner Plunder,
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Die Garderobe des deutschen Reichs,
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Verrostet, vermodert jetzunder.
 
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Die Schaffnerin schüttelt wehmütig das Haupt
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Bei diesem Anblick, doch plötzlich
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Mit Widerwillen ruft sie aus:
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»Das alles stinkt entsetzlich!
 
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Das alles stinkt nach Mäusedreck,
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Das ist verfault und verschimmelt,
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Und in dem stolzen Lumpenkram
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Das Ungeziefer wimmelt.
 
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Wahrhaftig, auf diesem Hermelin,
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Dem Krönungsmantel, dem alten,
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Haben die Katzen des Römerquartiers
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Ihr Wochenbett gehalten.
 
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Da hilft kein Ausklopfen! Daß Gott sich erbarm'
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Des künftigen Kaisers! Mit Flöhen
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Wird ihn der Krönungsmantel gewiß
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Auf Lebenszeit versehen.
 
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Und wisset, wenn es den Kaiser juckt,
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So müssen die Völker sich kratzen
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O Deutsche! Ich fürchte, die fürstlichen Flöh',
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Die kosten euch manchen Batzen.
 
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Jedoch wozu noch Kaiser und Flöh'?
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Verrostet ist und vermodert
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Das alte Kostüm - Die neue Zeit
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Auch neue Röcke fodert.
 
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Mit Recht sprach auch der deutsche Poet
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Zum Rotbart im Kyffhäuser:
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?Betracht ich die Sache ganz genau,
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So brauchen wir gar keinen Kaiser!?
 
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Doch wollt ihr durchaus ein Kaisertum,
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Wollt ihr einen Kaiser küren,
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Ihr lieben Deutschen! laßt euch nicht
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Von Geist und Ruhm verführen.
 
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Erwählet kein Patrizierkind,
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Erwählet einen vom Plebse,
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Erwählt nicht den Fuchs und nicht den Leu,
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Erwählt den dümmsten der Schöpse.
 
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Erwählt den Sohn Colonias,
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Den dummen Kobes von Köllen;
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Der ist in der Dummheit fast ein Genie,
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Er wird sein Volk nicht prellen.
 
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Ein Klotz ist immer der beste Monarch,
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Das zeigt Äsop in der Fabel;
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Er frißt uns armen Frösche nicht,
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Wie der Storch mit dem langen Schnabel.
 
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Seid sicher, der Kobes wird kein Tyrann,
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Kein Nero, kein Holofernes;
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Er hat kein grausam antikes Herz,
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Er hat ein weiches, modernes.
 
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Der Krämerstolz verschmähte dies Herz,
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Doch an die Brust des Heloten
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Der Werkstatt warf der Gekränkte sich
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Und ward die Blume der Knoten.
 
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Die Brüder der Handwerksburschenschaft
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Erwählten zum Sprecher den Kobes;
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Er teilte mit ihnen ihr letztes Stück Brot,
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Sie waren voll seines Lobes.
 
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Sie rühmten, daß er nie studiert
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Auf Universitäten
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Und Bücher schrieb aus sich selbst heraus,
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Ganz ohne Fakultäten.
 
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Ja, seine ganze Ignoranz
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Hat er sich selbst erworben;
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Nicht fremde Bildung und Wissenschaft
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Hat je sein Gemüt verdorben.
 
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Gleichfalls sein Geist, sein Denken blieb
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Ganz frei vom Einfluß abstrakter
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Philosophie - Er blieb Er selbst!
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Der Kobes ist ein Charakter.
 
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In seinem schönen, Auge glänzt
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Die Träne, die stereotype;
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Und eine dicke Dummheit liegt
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Beständig auf seiner Lippe.
 
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Er schwätzt und flennt und flennt und schwätzt,
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Worte mit langen Ohren!
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Eine schwangere Frau, die ihn reden gehört,
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Hat einen Esel geboren.
 
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Mit Bücherschreiben und Stricken vertreibt
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Er seine müßigen Stunden;
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Es haben die Strümpfe, die er gestrickt,
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Sehr großen Beifall gefunden.
 
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Apoll und die Musen muntern ihn auf,
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Sich ganz zu widmen dem Stricken
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Sie erschrecken, sooft sie in seiner Hand
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Einen Gänsekiel erblicken.
 
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Das Stricken mahnt an die alte Zeit
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Der Funken. Auf ihren Wachtposten
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Standen sie strickend - die Helden von Köln,
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Sie ließen die Eisen nicht rosten.
 
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Wird Kobes Kaiser, so ruft er gewiß
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Die Funken wieder ins Leben.
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Die tapfere Schar wird seinen Thron
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Als Kaisergarde umgeben.
 
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Wohl möcht ihn gelüsten, an ihrer Spitz'
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In Frankreich einzudringen,
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Elsaß, Burgund und Lothringerland
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An Deutschland zurückzubringen.
 
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Doch fürchtet nichts, er bleibt zu Haus;
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Hier fesselt ihn friedliche Sendung,
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Die Ausführung einer hohen Idee,
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Des Kölner Doms Vollendung.
 
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Ist aber der Dom zu Ende gebaut,
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Dann wird sich der Kobes erbosen
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Und mit dem Schwerte in der Hand
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Zur Rechenschaft ziehn die Franzosen.
 
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Er nimmt ihnen Elsaß und Lothringen ab,
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Das sie dem Reiche entwendet,
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Er zieht auch siegreich nach Burgund
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Sobald der Dom vollendet.
 
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Ihr Deutsche! bleibt ihr bei eurem Sinn,
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Wollt ihr durchaus einen Kaiser,
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So sei es ein Karnevalskaiser von Köln,
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Und Kobes der Erste heißt er!
 
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Die Gecken des Kölner Faschingvereins,
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Mit klingelnden Schellenkappen,
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Die sollen seine Minister sein;
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Er trage den Strickstrumpf im Wappen.
 
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Der Drickes sei Kanzler, und nenne sich
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Graf Drickes von Drickeshausen;
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Die Staatsmätresse Marizzebill,
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Die soll den Kaiser lausen.
 
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In seiner guten, heil'gen Stadt Köln
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Wird Kobes residieren
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Und hören die Kölner die frohe Mär,
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Sie werden illuminieren.
 
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Die Glocken, die eisernen Hunde der Luft,
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Erheben ein Freudengebelle,
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Und die Heil'gen Drei Kön'ge aus Morgenland
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Erwachen in ihrer Kapelle.
 
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Sie treten hervor mit dem Klappergebein,
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Sie tänzeln vor Wonne und springen.
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Halleluja und Kyrie
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Eleison hör ich sie singen.«
 
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So sprach das weiße Nachtgespenst,
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Und lachte aus voller Kehle;
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Das Echo scholl so schauerlich
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Durch alle die hallenden Säle.

Details zum Gedicht „Kobes I“

Anzahl Strophen
41
Anzahl Verse
164
Anzahl Wörter
858
Entstehungsjahr
1797 - 1856
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Kobes I“ wurde vom deutschen Dichter Heinrich Heine (* 13. Dezember 1797, † 17. Februar 1856) geschrieben und gehört somit zur Epoche des Vormärz und der Romantik. Diese literarische Periode am Anfang des 19. Jahrhunderts ist geprägt durch Bestrebungen nach Freiheit, politischer Mitbestimmung und nationaler Einheit, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den sozialen Verhältnissen der Zeit.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht satirisch, gespickt mit Ironie und beißendem Spott, wobei Heine eine bildhafte und fesselnde Sprache verwendet. Dieser Eindruck wird sich beim tieferen Eintauchen in den Inhalt des Gedichts noch bewahrheiten.

In „Kobes I“ kritisiert Heine die Deutsche Revolution 1848 und die politische Absurdität dieser Zeit. In Heines Erscheinung einer weißen Dame, als Gespenst einer Hausmeisterin, wird die Groteske dieser politischen Situation sichtbar. Heine zieht dabei Parallelen zur mittelalterlichen Vergangenheit und dem Verfall des alten Kaiserreichs, welches symbolisiert wird durch verrottende Insignien und Relikte, sowie einem mit Ungeziefer verseuchten Hermelin, dem Krönungsmantel. Diese Symbole und Bilder der Verwesung und des Verfalls verwenden Heine, um seinen Spott über die Sehnsucht nach einer Wiederbelebung des Kaiserreichs auszudrücken.

Das lyrische Ich, in Verkörperung der weißen Dame, empfiehlt humoristisch, dass an Stelle eines gebildeten oder ruhmreichen Anführers, ein Dummer, nämlich Kobes von Köln, als Kaiser gewählt werden sollte. Heine spielt hier auf die politische Unfähigkeit und Willkür der zeitgenössischen Machthaber an und betont dabei, dass deren Entscheidungen auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden.

Auch formal und sprachlich besticht das Gedicht „Kobes I“. Jede der 41 Strophen besteht aus vier Versen, was eine straffe Struktur erzeugt. In Bezug auf den Versfuß hält Heinrich Heine sich nicht strikt an eine metrische Form, aber es findet sich überwiegend das jambische Metrum. Heine nutzt auch Reime geschickt, um die Melodie seines Gedichtes zu unterstützen und so seine sozialpolitische Satire zu verstärken. Die verwendete Sprache ist klar, deutlich und mit spöttischen Bildern und Metaphern durchsetzt, die den kritischen Impetus des Gedichts unterstreichen. Ein Beispiel dafür ist die Metapher der „fürstlichen Flöhe“, die teuer zu stehen kommen werden.

Zusammenfassend lässt sich „Kobes I“ als eine satirische Abrechnung mit der politischen Absurdität der Deutschen Revolution von 1848 interpretieren, wobei Heine scharfzüngig, humorvoll und gleichzeitig kritisch die Sehnsucht nach Nationalstolz und alter kaiserlicher Grandeur bloßlegt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Kobes I“ des Autors Heinrich Heine. Geboren wurde Heine im Jahr 1797 in Düsseldorf. Zwischen den Jahren 1813 und 1856 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Der Schriftsteller Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 164 Versen mit insgesamt 41 Strophen und umfasst dabei 858 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Almansor“, „Als ich, auf der Reise, zufällig“ und „Alte Rose“. Zum Autor des Gedichtes „Kobes I“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 535 Gedichte vor.

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