König Langohr I von Heinrich Heine
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Bei der Königswahl, wie sich versteht, |
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Hatten die Esel die Majorität, |
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Und es wurde ein Esel zum König gewählt. |
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Doch hört, was jetzt die Chronik erzählt: |
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Der gekrönte Esel bildete sich |
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Jetzt ein, daß er einem Löwen glich; |
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Er hing sich um eine Löwenhaut, |
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Und brüllte wie ein Löwe so laut. |
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Er pflegte Umgang nur mit Rossen |
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Das hat die alten Esel verdrossen. |
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Bulldoggen und Wölfe waren sein Heer, |
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Drob murrten die Esel noch viel mehr. |
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Doch als er den Ochsen zum Kanzler erhoben, |
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Vor Wut die Esel rasten und schnoben. |
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Sie drohten sogar mit Revolution! |
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Der König erfuhr es, und stülpte die Kron' |
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Sich schnell aufs Haupt und wickelte schnell |
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Sich in sein mutiges Löwenfell. |
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Dann ließ er vor seines Thrones Stufen |
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Die malkontenten Esel rufen, |
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Und hat die folgende Rede gehalten: |
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»Hochmögende Esel, ihr jungen und alten! |
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Ihr glaubt, daß ich ein Esel sei |
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Wie ihr, ihr irrt euch, ich bin ein Leu; |
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Das sagt mir jeder an meinem Hofe, |
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Von der Edeldame bis zur Zofe. |
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Mein Hofpoet hat ein Gedicht |
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Auf mich gemacht, worin er spricht: |
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?Wie angeboren dem Kamele |
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Der Buckel ist, ist deiner Seele |
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Die Großmut des Löwen angeboren |
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Es hat dein Herz keine langen Ohren!? |
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So singt er in seiner schönsten Strophe, |
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Die jeder bewundert an meinem Hofe. |
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Hier bin ich geliebt; die stolzesten Pfauen |
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Wetteifern, mein königlich Haupt zu krauen. |
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Die Künste beschütz ich; man muß gestehn, |
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Ich bin zugleich August und Mäzen. |
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Ich habe ein schönes Hoftheater; |
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Die Heldenrollen spielt mein Kater. |
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Die Mimin Mimi, die holde Puppe, |
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Und zwanzig Möpse bilden die Truppe. |
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Ich hab eine Malerakademie |
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Gestiftet für Affen von Genie. |
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Als ihren Direktor hab ich in petto, |
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Den Raffael des Hamburger Getto, |
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Lehmann vom Dreckwall, zu engagieren; |
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Er soll mich auch selber porträtieren. |
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Ich hab eine Oper, ich hab ein Ballett, |
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Wo halb entkleidet und ganz kokett |
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Gar allerliebste Vögel singen |
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Und höchst talentvolle Flöhe springen. |
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Kapellenmeister ist Meyer-Bär, |
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Der musikalische Millionär; |
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Jetzt schreibt der große Bären-Meyer |
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Ein Festspiel zu meiner Vermählungsfeier. |
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Ich selber übe die Tonkunst ein wenig, |
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Wie Friedrich der Große, der Preußenkönig. |
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Er blies die Flöte, ich schlage die Laute, |
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Und manches schöne Auge schaute |
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Sehnsüchtig mich an, wenn ich mit Gefühl |
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Geklimpert auf meinem Saitenspiel. |
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Mit Freude wird einst die Königin |
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Entdecken, wie musikalisch ich bin! |
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Sie selbst ist eine vollkommene Stute |
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Von hoher Geburt, vom reinsten Blute. |
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Sie ist eine nahe Anverwandte |
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Von Don Quixotes Rosinante; |
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Ihr Stammbaum bezeugt, daß sie nicht minder |
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Verwandt mit dem Bayard der Haimonskinder; |
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Sie zählt auch unter ihren Ahnen |
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Gar manchen Hengst, der unter den Fahnen |
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Gottfrieds von Bouillon gewiehert hat, |
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Als dieser erobert die Heilige Stadt. |
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Vor allem aber durch ihre Schöne Glänzt sie! |
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Wenn sie schüttelt die Mähne, |
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Und wenn sie schnaubt mit den rosigen Nüstern, |
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Jauchzt auf mein Herz, entzückt und lüstern |
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Sie ist die Blume und Krone der Mähren |
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Und wird mir einen Kronerben bescheren. |
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Ihr seht, verknüpft mit dieser Verbindung |
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Ist meiner Dynastie Begründung. |
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Mein Name wird nicht untergehn, |
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Wird ewig in Klios Annalen bestehn. |
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Die hohe Göttin wird von mir sagen, |
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Daß ich ein Löwenherz getragen |
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In meiner Brust, daß ich weise und klug |
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Regiert und auch die Laute schlug.« |
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Hier rülpste der König, doch unterbrach er |
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Nicht lange die Rede, und weiter sprach er: |
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»Hochmögende Esel, ihr jungen und alten! |
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Ich werd euch meine Gunst erhalten, |
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Solang ihr derselben würdig seid. |
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Zahlt eure Steuern zur rechten Zeit |
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Und wandelt stets der Tugend Bahn, |
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Wie weiland eure Väter getan, |
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Die alten Esel! Sie trugen zur Mühle |
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Geduldig die Säcke; denn ihre Gefühle, |
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Sie wurzelten tief in der Religion. |
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Sie wußten nichts von Revolution |
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Kein Murren entschlüpfte der dicken Lippe, |
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Und an der Gewohnheit frommen Krippe |
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Fraßen sie friedlich ihr tägliches Heu! |
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Die alte Zeit, sie ist vorbei. |
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Ihr neueren Esel seid Esel geblieben, |
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Doch ohne Bescheidenheit zu üben. |
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Ihr wedelt kümmerlich mit dem Schwanz, |
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Doch drunter lauert die Arroganz. |
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Ob eurer albernen Miene hält |
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Für ehrliche Esel euch die Welt; |
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Ihr seid unehrlich und boshaft dabei, |
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Trotz eurer demütigen Eselei. |
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Steckt man euch Pfeffer in den Steiß, |
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Sogleich erhebt ihr des Eselgeschreis |
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Entsetzliche Laute! Ihr möchtet zerfleischen |
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Die ganze Welt, und könnt nur kreischen. |
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Unsinniger Jähzorn, der alles vergißt! |
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Ohnmächtige Wut, die lächerlich ist! |
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Eu'r dummes Gebreie, es offenbart, |
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Wie viele Tücken jeder Art, |
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Wie ganz gemeine Schlechtigkeit |
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Und blöde Niederträchtigkeit |
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Und Gift und Galle und Arglist sogar |
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In der Eselshaut verborgen war.« |
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Hier rülpste der König, doch unterbrach er |
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Nicht lange die Rede, und weiter sprach er: |
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»Hochmögende Esel, ihr jungen und alten! |
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Ihr seht, ich kenne euch! Ungehalten, |
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Ganz allerhöchst ungehalten bin ich, |
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Daß ihr so schamlos widersinnig |
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Verunglimpft habt mein Regiment. |
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Auf eurem Eselsstandpunkt könnt |
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Ihr nicht die großen Löwenideen |
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Von meiner Politik verstehen. |
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Nehmt euch in acht! In meinem Reiche |
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Wächst manche Buche und manche Eiche, |
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Woraus man die schönsten Galgen zimmert, |
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Auch gute Stöcke. Ich rat euch, bekümmert |
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Euch nicht ob meinem Schalten und Walten! |
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Ich rat euch, ganz das Maul zu halten! |
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Die Räsoneure, die frechen Sünder, |
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Die laß ich öffentlich stäupen vom Schinder; |
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Sie sollen im Zuchthaus Wolle kratzen. |
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Wird einer gar von Aufruhr schwatzen |
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Und Straßen entpflastern zur Barrikade |
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Ich laß ihn henken ohne Gnade. |
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Das hab ich euch, Esel, einschärfen wollen! |
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Jetzt könnt ihr euch nach Hause trollen.« |
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Als diese Rede der König gehalten, |
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Da jauchzten die Esel, die jungen und alten; |
151 |
Sie riefen einstimmig: »I-A! I-A! |
152 |
Es lebe der König! Hurra! Hurra!« |
Details zum Gedicht „König Langohr I“
Heinrich Heine
9
152
900
1797 - 1856
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „König Langohr I“ stammt von dem deutschen Dichter Heinrich Heine, der von 1797 bis 1856 lebte und arbeitete. Es lässt sich daher zeitlich der Epoche des 19. Jahrhunderts zuordnen, einer Zeit, in der politische Poesie eine bedeutende Rolle spielte.
Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie eine humoristische, satirische Fabel über eine fiktive Königswahl, bei der ein Esel zum Herrscher gewählt wird und sich danach wie ein Löwe aufführt. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich jedoch um eine lebhafte, scharfzüngige Kritik am politischen System und am Herrschaftsanspruch bestimmter Individuen oder Klassen.
Im Gedicht wird ein Esel von anderen Eseln zum König gewählt, doch anstatt sich seinen Wählern verpflichtet zu fühlen und sie würdevoll zu repräsentieren, versucht er, sich ihnen gegenüber zu erheben und sie zu dominieren. Er umgibt sich mit andersartigen Tieren wie Bulldoggen, Wölfen und Ochsen und gibt vor, ein Löwe zu sein – ein eindeutiger Ausdruck von Größenwahn und Verachtung für seine eigene Herkunft.
Die Sprache des Gedichts ist lebhaft und anschaulich, mit vielen bildreichen Beschreibungen und direktem Dialog, was zur Wirkung von Heines Satire beiträgt. Er verwendet zudem eine Menge an humoristischen und ironischen Elementen, um seine Kritik zu unterstreichen.
Hinsichtlich der Form ist das Gedicht nicht in der sonst üblichen strengen Form der Lyrik gehalten, sondern besteht aus unterschiedlich langen Strophen, was dem Leser das Gefühl von Unvorhersehbarkeit und Chaos vermittelt – passend zum Inhalt.
Heine nutzt das Medium der Dichtung, um politische Zustände anzuprangern und gleichzeitig unser Bewusstsein für die Wichtigkeit von Verantwortung, Integrität und Demut in Führungspositionen zu stärken. Sein Werk ist daher trotz seiner satirischen Verpackung zutiefst ernst und bedeutend. Durch die Tiermetaphern und den humoristischen Tonfall kann er schwere Themen auf eine zugängliche und unterhaltsame Weise vermitteln, ohne dabei seine Botschaft zu verwässern.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „König Langohr I“ des Autors Heinrich Heine. Heine wurde im Jahr 1797 in Düsseldorf geboren. In der Zeit von 1813 bis 1856 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Der Schriftsteller Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 900 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 152 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Die Gedichte „Alte Rose“, „Altes Lied“ und „Am Golfe von Biskaya“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Heine. Zum Autor des Gedichtes „König Langohr I“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Heinrich Heine sind auf abi-pur.de 535 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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