Das Hohelied von Heinrich Heine

Des Weibes Leib ist ein Gedicht,
Das Gott der Herr geschrieben
Ins große Stammbuch der Natur,
Als ihn der Geist getrieben.
 
Ja, günstig war die Stunde ihm,
Der Gott war hochbegeistert;
Er hat den spröden, rebellischen Stoff
Ganz künstlerisch bemeistert.
 
Fürwahr, der Leib des Weibes ist
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Das Hohelied der Lieder;
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Gar wunderbare Strophen sind
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Die schlanken, weißen Glieder.
 
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O welche göttliche Idee
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Ist dieser Hals, der blanke,
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Worauf sich wiegt der kleine Kopf,
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Der lockige Hauptgedanke!
 
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Der Brüstchen Rosenknospen sind
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Epigrammatisch gefeilet;
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Unsäglich entzückend ist die Zäsur,
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Die streng den Busen teilet.
 
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Den plastischen Schöpfer offenbart
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Der Hüften Parallele;
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Der Zwischensatz mit dem Feigenblatt
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Ist auch eine schöne Stelle.
 
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Das ist kein abstraktes Begriffspoem!
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Das Lied hat Fleisch und Rippen,
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Hat Hand und Fuß; es lacht und küßt
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Mit schöngereimten Lippen.
 
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Hier atmet wahre Poesie!
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Anmut in jeder Wendung!
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Und auf der Stirne trägt das Lied
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Den Stempel der Vollendung.
 
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Lobsingen will ich dir, o Herr,
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Und dich im Staub anbeten!
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Wir sind nur Stümper gegen dich,
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Den himmlischen Poeten.
 
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Versenken will ich mich, o Herr,
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In deines Liedes Prächten;
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Ich widme seinem Studium
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Den Tag mitsamt den Nächten.
 
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Ja, Tag und Nacht studier ich dran,
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Will keine Zeit verlieren;
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Die Beine werden mir so dünn
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Das kommt vom vielen Studieren.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Das Hohelied“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
211
Entstehungsjahr
1797 - 1856
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist das „Hohelied“ von Heinrich Heine, einem deutschen Dichter, Journalisten und Literaturkritiker aus dem 19. Jahrhundert. Als Lyriker der Romantik ist er bekannt für seine ironischen und sarkastischen Werke. Das „Hohelied“ nimmt Bezug auf das Hohelied Salomos aus der Bibel, welches die Liebe und erotische Anziehung zwischen Mann und Frau feiert.

Auf den ersten Blick erscheint das Gedicht als eine Ode an die Schönheit und Vollkommenheit des weiblichen Körpers. Das lyrische Ich betrachtet den Körper der Frau als ein Kunstwerk, das von Gott geschaffen wurde. Es bezeichnet diesen Körper als ein „Hohelied der Lieder“ und „göttliche Idee“, ausgedrückt durch die Gestalt und Beschaffenheit des Körpers. Diverse Elemente des weiblichen Körpers (Brüste, Hals, Lippen usw.) werden metaphorisch als Teile oder Aspekte eines Gedichts dargestellt.

Durch die humorvolle und zugleich provozierende Darstellung der menschlichen Sexualität distanziert sich Heine von der üblichen sakralen Interpretation des biblischen Hoheliedes. Er spielt mit klassischen Versformen und lyrischen Begrifflichkeiten, wie Strophen, Epigramme und Zäsuren, um sie auf den Körper der Frau zu projizieren, wodurch er die physische Präsenz und Lebendigkeit des Körpers hervorhebt.

Das lyrische Ich ist demütig, anerkennend und zugleich selbstironisch. Es preist die Arbeit des „himmlischen Poeten“ und stuft sich selbst als „Stümper“ ein. Gleichzeitig betont es seine beinahe obsessive Hingabe an das „Studium“ des weiblichen Körpers.

Die Form des Gedichts ist durchgängig: Jede der elf Strophen besteht aus vier Versen. Der einfache und klare Rhythmus hilft, die eingängige und humorvolle Tonalität des Gedichts zu unterstreichen. Die Sprache ist bildhaft und metaphorisch, spielt spielerisch mit poetischen Terminologien und erzeugt damit eine leichte, ironische Stimmung.

Einerseits könnte man sagen, dass Heine den weiblichen Körper objektiviert. Andererseits aber bricht er mit dem traditionellen patriarchalischen Diskurs, indem er den Körper der Frau nicht nur als Objekt der Begierde, sondern als Ausdruck göttlicher Poesie würdigt. Insgesamt ist das „Hohelied“ eine humorvolle, ironische und zugleich tief ehrfürchtige Betrachtung der körperlichen Schönheit und Weiblichkeit.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Hohelied“ des Autors Heinrich Heine. 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. In der Zeit von 1813 bis 1856 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Der Schriftsteller Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 211 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“, „Ahnung“ und „Allnächtlich im Traume seh’ ich dich“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Hohelied“ weitere 535 Gedichte vor.

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