Die Tänzerin in der Gemme von Georg Heym

Lange verschlossen, tief im runden Steine
Mit einem Trauerbaum und wenig Zweigen,
Noch dreht sie um den Hals den sanften Schleier
Und geht in leisem Tanz in stiller Feier.
Immer noch fort, wo schon die Götter starben
Über den Inseln, und draußen gezogen
Ist das Meer unter schläfrigen Wolken,
Unter den Ufern murrte die Woge.
 
Orpheus ging einst. Und sie sann seiner Schritte
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Durch die Schluchten herunter zur stillen Ebene
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Da sie lag im Schilf mit den wolligen Herden.
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Aber ferne ging die Flöte des Gottes
 
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Über der grünen Ruhe der toten Fluren,
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Die so einsam sang ihre Traurigkeit,
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Grauen Gewölben, über den Weiden weit,
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Wo die Tiere lagen mit tiefem Horne.
 
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Spitzköpfig kommt er über die Dächer hoch
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Und schleppt seine gelben Haare nach,
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Der Zauberer, der still in die Himmelszimmer steigt
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In vieler Gestirne gewundenem Blumenpfad.
 
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Alle Tiere unten im Wald und Gestrüpp
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Liegen mit Häuptern sauber gekämmt,
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Singend den Mond-Choral. Aber die Kinder
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Knien in den Bettchen in weißem Hemd.
 
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Meiner Seele unendliche See
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Ebbet langsam in sanfter Flut.
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Ganz grün bin ich innen. Ich schwinde hinaus
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Wie ein gläserner Luftballon.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Die Tänzerin in der Gemme“

Autor
Georg Heym
Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
184
Entstehungsjahr
1887 - 1912
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Tänzerin in der Gemme“ stammt von Georg Heym, einem bedeutenden deutschen expressionistischen Dichter. Heym lebte von 1887 bis 1912, seine Werke sind also in die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts einzuordnen.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt die starke Symbolik und die ausdrucksstarke, fast bildhafte Sprache auf. Das Gedicht führt den Leser durch verschiedenste Szenarien und Stimmungen und lässt dabei viel Raum für Interpretationen.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um die Darstellung einer tanzenden Figur, die in einem Edelstein (einer „Gemme“) eingeschlossen ist. Diese Tänzerin vollzieht einen ewigen, leisen Tanz, auf den Trauer und Melancholie projiziert werden, aber auch Schönheit und das Immaterielle. Sie tanzt, gleichgültig gegenüber den verstorbenen Göttern und dem Meer, das sie umgibt. Es werden Assoziationen mit Orpheus, dem Gott der Dichtkunst und des Gesangs, geweckt, und es wird eine Szene geschildert, in der Tiere ihren Schlaf unter dem Sternenhimmel finden. Gegen Ende des Gedichtes nutzt dann das lyrische Ich ein starkes, innenperspektivisches Bild, um seine Gefühle auszudrücken: Es vergleicht seine Seele mit einem sich langsam entleerenden, „gläsernen Luftballon“.

Die Form des Gedichts ist in sechs Strophen unterteilt, wobei die erste Strophe acht Verse und die restlichen Strophen jeweils vier Verse umfassen. Dies könnte die Dreiteilung des klassischen Dramas widerspiegeln: Exposition, Konflikt und Lösung. Die ersten Versgruppen führen in die Situation ein, die mittleren Strophen verdichten den Konflikt und die letzte Strophe dient der Lösung.

Die Sprache des Gedichts ist komplex und reich an Metaphern und Symbolen. Die Tänzerin selbst und der Edelstein, in dem sie eingefangen ist, können als Symbole für eingeschlossene Schönheit und Perfektion interpretiert werden. Das wiederkehrende Wasserbild – Meer, Flut – könnte als ständiges Fließen der Zeit gedeutet werden, gegen das sich die eingeschlossene, ewige Schönheit der Tänzerin abzeichnet. Im Kontrast dazu steht der „gläserne Luftballon“, der seine Luft - ein Symbol für das Lebensfunkeln - verliert und damit die Endlichkeit des Lebens betont.

Abschließend handelt es sich bei „Die Tänzerin in der Gemme“ um ein intuitives, metaphernreiches Gedicht, das sowohl Schönheit, Einsamkeit als auch die Vergänglichkeit des Lebens thematisiert. Die spezifische Form und die bildhafte, symbolgeladene Sprache zeugen von Heyms expressionistischer Schreibweise und stellen den Leser vor ein Rätsel, dass es zu entschlüsseln gilt.

Weitere Informationen

Georg Heym ist der Autor des Gedichtes „Die Tänzerin in der Gemme“. Heym wurde im Jahr 1887 in Hirschberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1903 und 1912. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Heym handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 28 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 184 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Georg Heym sind „Der Blinde“, „Der Fliegende Holländer“ und „Der Gott der Stadt“. Zum Autor des Gedichtes „Die Tänzerin in der Gemme“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 79 Gedichte vor.

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