Das menschliche Leben von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Menschen, Menschen! was ist euer Leben,
Eure Welt, die tränenvolle Welt,
Dieser Schauplatz, kann er Freuden geben,
Wo sich Trauern nicht dazu gesellt?
O! die Schatten, welche euch umschweben,
Die sind euer Freudenleben.
 
Tränen, fließt! o fließet, Mitleidstränen,
Taumel, Reue, Tugend, Spott der Welt,
Wiederkehr zu ihr, ein neues Sehnen,
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Banges Seufzen, das die Leiden zählt,
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Sind der armen Sterblichen Begleiter,
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O, nur allzu wenig heiter!
 
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Banger Schauer faßt die trübe Seele,
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Wenn sie jene Torenfreuden sieht,
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Welt, Verführung, manches Guten Hölle,
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Flieht von mir, auf ewig immer flieht!
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Ja gewiß, schon manche gute Seele hat, betrogen,
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Euer tötend Gift gesogen.
 
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Wann der Sünde dann ihr Urteil tönet,
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Des Gewissens Schreckensreu sie lehrt,
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Wie die Lasterbahn ihr Ende krönet,
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Schmerz, der ihr Gebein versehrt!
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Dann sieht das verirrte Herz zurücke;
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Reue schluchzen seine Blicke.
 
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Und die Tugend bietet ihre Freuden
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Gerne Mitleid lächelnd an,
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Doch die Welt - bald streut sie ihre Leiden
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Auch auf die zufrieden heitre Bahn:
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Weil sie dem, der Tugendfreuden kennet,
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Sein zufrieden Herz nicht gönnet.
 
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Tausend mißgunstvolle Lästerungen
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Sucht sie dann, daß ihr die Tugend gleicht;
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Beißend spotten dann des Neides Zungen,
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Bis die arme Unschuld ihnen weicht;
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Kaum verflossen etlich Freudentage,
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Sieh, so sinkt der Tugend Waage.
 
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Etlich Kämpfe - Tugend und Gewissen
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Nur noch schwach bewegen sie das Herz,
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Wieder umgefallen! - und es fließen
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Neue Tränen, neuer Schmerz!
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O du Sünde, Dolch der edlen Seelen,
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Muß denn jede dich erwählen?
 
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Schwachheit, nur noch etlich Augenblicke,
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So entfliehst du, und dann göttlich schön
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Wird der Geist verklärt, ein beßres Glücke
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Wird dann glänzender mein Auge sehn;
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Bald umgibt dich, unvollkommne Hülle,
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Dunkle Nacht, des Grabes Stille.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.3 KB)

Details zum Gedicht „Das menschliche Leben“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
273
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das menschliche Leben“ wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin geschrieben, einem deutschen Dichter der Romantik, der von 1770 bis 1843 lebte.

Beim ersten Lesen vermittelt das Gedicht einen melancholischen und nachdenklich stimmenden Eindruck, es befasst sich mit schweren Themen wie Schmerz, Sünde, Tod und das menschliche Dasein.

Thematisch geht es im Gedicht um das menschliche Leben in all seinen Facetten. Hölderlin zeigt dabei eine eher pessimistische Sicht auf die Welt und das Dasein an sich. Der Schmerz und das Leid des Lebens werden in verschiedenen Facetten dargestellt. In den ersten beiden Strophen stellt das lyrische Ich Fragen und stellt das Leid und die Trauer des Lebens dar. In den folgenden Strophen zeigt Hölderlin die Verführungen der Sündhaftigkeit und die daraus resultierenden Konsequenzen auf, bevor er in den letzten Strophen eine hoffnungsvolle Perspektive für das Leben nach dem Tod andeutet.

In Bezug auf Form und Sprache des Gedichts, es besteht aus acht gleich strukturierten Strophen mit jeweils sechs Versen. Hölderlin verwendet eine symbolhafte, metaphernreiche Sprache und setzt zahlreiche Rhetorische Figuren ein. Gleichzeitig hat die Sprache einen klagen- und anklagenden Ton, der die melancholische Stimmung des Gedichts noch verstärkt.

Schließlich zeigt dieses Gedicht Hölderlins Fähigkeit, tiefe emotionale und philosophische Themen auf künstlerische Weise zu vermitteln. Es ist eine einfühlsame und tiefgründige Untersuchung des menschlichen Zustands, mit einer Mischung aus Schmerz, Resignation und einem Hauch von Hoffnung am Ende.

Weitere Informationen

Johann Christian Friedrich Hölderlin ist der Autor des Gedichtes „Das menschliche Leben“. Geboren wurde Hölderlin im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar. Zwischen den Jahren 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zu. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 273 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 48 Versen. Die Gedichte „Abendphantasie“, „An Ihren Genius“ und „An die Deutschen“ sind weitere Werke des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das menschliche Leben“ weitere 181 Gedichte vor.

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