Die Demut von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Hört, größre, edlere der Schwabensöhne!
Die ihr vor keinem Dominiksgesicht
Euch krümmet, welchen keine Dirnenträne
Das winzige, geschwächte Herzchen bricht.
 
Hört, größre, edlere der Schwabensöhne!
In welchen noch das Kleinod Freiheit pocht,
Die ihr euch keines reichen Ahnherrn Miene,
Und keiner Fürstenlaune unterjocht.
 
Geschlecht von oben! Vaterlandeskronen!
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Nur euch bewahre Gott vor Übermut!
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O! Brüder! der Gedanke soll uns lohnen,
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In Hermann brauste kein Despotenblut.
 
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Beweinenswürdig ist des Stolzen Ende,
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Wann er die Grube seiner Größe gräbt,
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Doch fürchterlich sind seine Henkershände,
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Wann er sich glücklich über andre hebt.
 
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Viel sind und schön des stillen Mannes Freuden,
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Und stürmten auch auf ihn der Leiden viel,
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Er blickt gen Himmel unter seinen Leiden,
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Beneidet nie des Lachers Possenspiel.
 
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Sein feurigster, sein erster Wunsch auf Erden
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Ist, allen, allen Menschen nützlich sein,
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Und wann sie froh durch seine Taten werden,
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Dann will der edle ihres Danks sich freun.
 
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O! Demut, Demut! laß uns all dich lieben,
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Du bists, die uns zu einem Bund vereint,
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In welchem gute Herzen nie sich trüben,
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In welchem nie bedrängte Unschuld weint.
 
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Drum größre, edlere der Schwabensöhne!
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Laßt Demut, Demut euer erstes sein,
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Wie sehr das Herz nach Außenglanz sich sehne,
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Laßt Demut, Demut euer erstes sein.
 
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Vor allen, welchen Gott ein Herz gegeben,
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Das groß und königlich, und feurig ist,
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Die in Gefahren nur vor Freude beben,
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Für Tugend selbst auf einem Blutgerüst,
 
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Vor allen, allen, solche Schwabensöhne,
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O solche, Demut, solche führe du
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Aus jeder bäurischstolzer Narrenbühne
40 
Den stillen Reihen jenes Bundes zu.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.8 KB)

Details zum Gedicht „Die Demut“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
248
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin verfasst, einem deutschen Lyriker und Dramatiker. Hölderlin gehörte zur Zeit der Romantik an und lebte vom 20. März 1770 bis zum 7. Juni 1843.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht wie eine Aufforderung zur Demut und Tugendhaftigkeit. Es richtet sich an die „größeren, edleren der Schwabensöhne“, was auf die Menschen in seiner Heimat Baden-Württemberg - insbesondere an diejenigen mit Macht und Reichtum - hinweisen könnte.

Inhaltlich appelliert das lyrische Ich an die Adressaten, sich nicht durch ihren Stolz, ihre Macht oder ihren Reichtum dazu hinreißen zu lassen, über andere zu herrschen oder sie zu unterdrücken. Stattdessen sollen sie Demut und Bescheidenheit bewahren und danach streben, anderen zu helfen und für das Allgemeinwohl zu arbeiten. Das lyrische Ich hebt die Tugend der Demut hervor und sieht sie als das Band, das „gute Herzen“ zusammenhält und verhindert, dass „bedrängte Unschuld weint“.

Die Form des Gedichts ist klassisch und formal, mit jeweils vier Versen in jeder der zehn Strophen. Die Sprache ist etwas altmodisch, aber dennoch verständlich. Es gibt eine konsequente Endreimstruktur, die dem Gedicht einen rhythmischen, fast liedähnlichen Fluss verleiht. Der Duktus ist pathetisch und feierlich, geprägt durch den häufigen Apostroph und Anapher, wie z.B. „Hört, größre, edlere der Schwabensöhne!“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hölderlins Gedicht „Die Demut“ ein eindringlicher Appell an die Mitmenschlichkeit, an Tugend und Bescheidenheit ist. Es stellt eine Kritik an der Arroganz der Mächtigen dar und fordert die Menschen auf, sich nicht durch Macht und Reichtum korrumpieren zu lassen, sondern stattdessen Demut und Mitgefühl zu zeigen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Die Demut“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Der Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zu. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 248 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An unsre Dichter“, „Das Schicksal“ und „Das Unverzeihliche“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Demut“ weitere 181 Gedichte vor.

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