Schwärmerei von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Freunde! Freunde! wenn er heute käme, |
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Heute mich aus unserm Bunde nähme, |
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Jener letzte große Augenblick |
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Wann der frohe Puls so plötzlich stünde |
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Und verworren Freundesstimme tönte |
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Und, ein Nebel, mich umschwebte Erdenglück. |
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Ha! so plötzlich Lebewohl zu sagen |
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All den lieben schöndurchlebten Tagen |
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Doch - ich glaube - nein! ich bebte nicht! |
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»Freunde! spräch ich, dort auf jenen Höhen |
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Werden wir uns alle wiedersehen, |
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Freunde! wo ein schönrer Tag die Wolken bricht. |
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Aber Stella! fern ist deine Hütte, |
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Nahe rauschen schon des Würgers Tritte |
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Stella! meine Stella! weine nicht! |
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Nur noch einmal möcht ich sie umarmen, |
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Sterben dann in meiner Stella Armen, |
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Eile, Stella! eile, eh das Auge bricht. |
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Aber ferne, ferne deine Hütte, |
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Nahe rauschen schon des Würgers Tritte |
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Freunde! bringet meine Lieder ihr. |
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Lieber Gott! ein großer Mann zu werden, |
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War so oft mein Wunsch, mein Traum auf Erden, |
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Aber - Brüder - größre Rollen winken mir. |
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Traurt ihr, Brüder! daß so weggeschwunden |
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All der Zukunft schöngeträumte Stunden, |
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Alle, alle meine Hoffnungen! |
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Daß die Erde meinen Leichnam decket, |
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Eh ich mir ein Denkmal aufgestecket, |
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Und der Enkel nimmer denkt des Schlummernden. |
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Daß er kalt an meinem Leichensteine |
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Stehet, und des Modernden Gebeine |
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Keines Jünglings stiller Segen grüßt, |
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Daß auf meines Grabes Rosenhecken |
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Auf den Lilien, die den Moder decken, |
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Keines Mädchens herzergoßne Träne fließt. |
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Daß von Männern, die vorüberwallen, |
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Nicht die Worte in die Gruft erschallen: |
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Jüngling! du entschlummertest zu früh |
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Daß den Kleinen keine Silbergreise |
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Sagen an dem Ziel der Lebensreise: |
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Kinder! mein und jenes Grab vergesset nie! |
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Daß sie mir so grausam weggeschwunden, |
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All der Zukunft langersehnte Stunden, |
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All der frohen Hoffnung Seligkeit, |
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Daß die schönste Träume dieser Erden |
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Hin sind, ewig niemals wahr zu werden, |
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Hin die Träume von Unsterblichkeit. |
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Aber weg! in diesem toten Herzen |
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Bluten meiner armen Stella Schmerzen, |
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Folge! folge mir, Verlassene! |
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Wie du starr an meinem Grabe stehest |
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Und um Tod, um Tod zum Himmel flehest! |
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Stella! komm! es harret dein der Schlummernde. |
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O an deiner Seite! o so ende, |
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Jammerstand! vielleicht, daß unsre Hände |
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Die Verwesung ineinander legt! |
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Da wo keine schwarze Neider spähen, |
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Da wo keine Splitterrichter schmähen, |
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Träumen wir vielleicht, bis die Posaun uns weckt. |
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Sprechen wird an unserm Leichensteine |
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Dann der Jüngling: Schlummernde Gebeine! |
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Liebe Tote! schön war euer Los! |
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Hand in Hand entfloht ihr eurem Kummer, |
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Heilig ist der Langverfolgten Schlummer |
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In der kühlen Erde mütterlichem Schoß. |
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Und mit Lilien und mit Rosenhecken |
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Wird das Mädchen unsern Hügel decken, |
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Ahndungsvoll an unsern Gräbern stehn, |
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Zu den Schlummernden hinab sich denken, |
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Mit gefaltnen Händen niedersinken, |
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Und um dieser Toten Los zum Himmel flehn. |
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Und von Vätern, die vorüberwallen, |
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Wird der Segen über uns erschallen: |
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Ruhet wohl! ihr seid der Ruhe wert! |
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Gott! wie mags im Tod den Vätern bangen, |
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Die ein Kind in Quälerhände zwangen, |
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Ruhet wohl! ihr habt uns Zärtlichkeit gelehrt.« |
Details zum Gedicht „Schwärmerei“
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466
1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Schwärmerei“ wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin verfasst, einem der bedeutendsten Dichter der deutschen Romantik, der von 1770 bis 1843 lebte.
Beim ersten Lesen des Gedichts entsteht ein Melancholischer, etwas hoffnungsvoller und zugleich trauriger Eindruck. Der Leser wird in eine gedankliche Welt des Abschieds, des Todes aber auch der Hoffnung auf Wiedersehen nach dem Tod entführt.
Inhaltlich geht es im Gedicht um das lyrische Ich, das sich gedanklich mit seinem eigenen Tod auseinandersetzt. Es wendet sich direkt an seine „Freunde“, stellt sich den Moment seines Todes vor und zeigt dabei eine überraschende Gelassenheit und Trost in der Vorstellung eines Wiedersehens nach dem Tod. Außerdem wird das lyrische Ich durch die Figur der „Stella“ als Liebender dargestellt, der sich den Tod in ihren Armen ersehnt. Gleichzeitig beschäftigt es sich mit der Zeit danach und malt sich aus, wie die Welt ohne es weiterleben wird, beispielsweise wie sein Grab besucht und verehrt wird.
Formal ist das Gedicht in 12 Strophen eingeteilt, jede bestehend aus sechs Versen. Es folgt kein strikten Reimschema, weist jedoch einige Endreime und Binnenreime auf. Durch den häufigen Gebrauch von Ausrufezeichen wird eine emotionale, leidenschaftliche Stimmung erzeugt.
Die Sprache des Gedichts ist typisch für Hölderlin und seine Zeit: geprägt von hochgestochenen, sentimentalen Ausdrücken und bildhafter, symbolischer Sprache. Die Figuren „Stella“ und „Freunde“ sowie metaphorische Ausdrücke wie „der Würger“, „der Schlummernde“ oder „meines Grabes Rosenhecken“ verleihen dem Gedicht eine poetische, fast geheimnisvolle Atmosphäre.
Insgesamt ist das Gedicht „Schwärmerei“ durch das intensiv emotionale Spiel mit Tod, Abschied und der Hoffnung auf Wiedergesehen gekennzeichnet, aber auch durch seine aufrichtige Durchdringung des bürgerlichen Daseins. Es legt das Innenleben des lyrischen Ichs offen und zeigt in seinem Umgang mit dem Tod eine überraschende Gelassenheit und Trost, das fördert eine gewisse Vertrautheit und Verbindung zwischen dem lyrischen Ich und dem Leser. Es spricht tiefe menschliche Gefühle, Ängste und Hoffnungen an und regt zum Nachdenken über die eigenen Glaubensvorstellungen und den Blick auf das Leben und den Tod an. Dabei verliert es aber nie seine Distanz und Würde und zeichnet sich durch seine eindrucksvolle, poetische Sprache und seinen sorgfältig konstruierten Aufbau aus.
Weitere Informationen
Johann Christian Friedrich Hölderlin ist der Autor des Gedichtes „Schwärmerei“. Hölderlin wurde im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar geboren. In der Zeit von 1786 bis 1843 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 466 Wörter. Es baut sich aus 12 Strophen auf und besteht aus 78 Versen. Der Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin ist auch der Autor für Gedichte wie „Abendphantasie“, „An Ihren Genius“ und „An die Deutschen“. Zum Autor des Gedichtes „Schwärmerei“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.
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- Das Unverzeihliche
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Zum Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin sind auf abi-pur.de 181 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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