Burg Tübingen von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Still und öde steht der Väter Feste, |
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Schwarz und moosbewachsen Pfort und Turm, |
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Durch der Felsenwände trübe Reste |
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Saust um Mitternacht der Wintersturm, |
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Dieser schaurigen Gemache Trümmer, |
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Heischen sich umsonst ein Siegesmal, |
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Und des Schlachtgerätes Heiligtümer |
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Schlummern Todesschlaf im Waffensaal. |
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Hier ertönen keine Festgesänge, |
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Lobzupreisen Manas Heldenland, |
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Keine Fahne weht im Siegsgepränge |
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Hochgehoben in des Kriegers Hand, |
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Keine Rosse wiehern in den Toren, |
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Bis die Edeln zum Turniere nahn, |
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Keine Doggen, treu, und auserkoren, |
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Schmiegen sich den blanken Panzer an. |
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Bei des Hiefhorns schallendem Getöne |
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Zieht kein Fräulein in der Hirsche Tal, |
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Siegesdürstend gürten keine Söhne |
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Um die Lenden ihrer Väter Stahl, |
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Keine Mütter jauchzen von der Zinne |
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Ob der Knaben stolzer Wiederkehr, |
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Und den ersten Kuß verschämter Minne |
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Weihn der Narbe keine Bräute mehr. |
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Aber schaurige Begeisterungen |
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Weckt die Riesin in des Enkels Brust, |
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Sänge, die der Väter Mund gesungen, |
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Zeugt der Wehmut zauberische Lust, |
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Ferne von dem törigen Gewühle, |
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Von dem Stolze der Gefallenen, |
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Dämmern niegeahndete Gefühle |
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In der Seele des Begeisterten. |
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Hier im Schatten grauer Felsenwände, |
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Von des Städters Blicken unentweiht, |
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Knüpfe Freundschaft deutsche Biederhände, |
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Schwöre Liebe für die Ewigkeit, |
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Hier, wo Heldenschatten niederrauschen, |
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Traufe Vatersegen auf den Sohn, |
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Wo den Lieblingen die Geister lauschen, |
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Spreche Freiheit den Tyrannen Hohn! |
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Hier verweine die verschloßne Zähre, |
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Wer umsonst nach Menschenfreude ringt, |
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Wen die Krone nicht der Bardenehre, |
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Nicht des Liebchens Schwanenarm umschlingt, |
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Wer von Zweifeln ohne Rast gequälet, |
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Von des Irrtums peinigendem Los, |
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Schlummerlose Mitternächte zählet, |
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Komme zu genesen in der Ruhe Schoß. |
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Aber wer des Bruders Fehle rüget |
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Mit der Schlangenzunge losem Spott, |
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Wem für Adeltaten Gold genüget, |
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Sei er Sklave oder Erdengott, |
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Er entweihe nicht die heilge Reste, |
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Die der Väter stolzer Fuß betrat, |
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Oder walle zitternd zu der Feste, |
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Abzuschwören da der Schande Pfad. |
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Denn der Heldenkinder Herz zu stählen, |
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Atmet Freiheit hier und Männermut, |
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In der Halle weilen Väterseelen, |
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Sich zu freuen ob Thuiskons Blut, |
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Aber ha! den Spöttern und Tyrannen |
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Weht Entsetzen ihr Verdammerspruch, |
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Rache dräuend jagt er sie von dannen, |
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Des Gewissens fürchterlicher Fluch. |
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Wohl mir! daß ich süßen Ernstes scheide, |
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Daß die Harfe schreckenlos ertönt, |
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Daß ein Herz mir schlägt für Menschenfreude, |
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Daß die Lippe nicht der Einfalt höhnt. |
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Süßen Ernstes will ich wiederkehren, |
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Einzutrinken freien Männermut, |
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Bis umschimmert von den Geisterheeren |
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In Walhallas Schoß die Seele ruht. |
Details zum Gedicht „Burg Tübingen“
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377
1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das gegebene Gedicht heißt „Burg Tübingen“ und wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin verfasst, der von 1770 bis 1843 lebte. Ergo stammt das Gedicht aus der Zeit der Romantik.
Auf den ersten Blick wird das Bild einer alten, verlassenen Burg mit düsteren, schaurigen Aspekten wie dem Wind, der nachts durch die Ruinen weht, zum Leser gebracht. Doch dies weicht einem Gefühl tiefer Verehrung und Nostalgie, wenn das Gedicht das frühere Leben in der Burg und die heldenhaften Traditionen, die dort einst herrschten, in Erinnerung ruft.
Inhaltlich geht das lyrische Ich auf die Vergangenheit der Burg ein, beschreibt deren gegenwärtigen Zustand und wie sie einst ein Ort des Ruhmes war. In den ersten vier Strophen wird die Stille und Leere der Burg detailreich beschreiben, die in scharfem Kontrast zu der glorreichen Vergangenheit steht. Anschließend führt er uns durch eine Reihe von emotionalen und patriotischen Aufrufen, in denen er die Burg als einen Ort beschreibt, wo wahre Freunde sich versammeln und schwören, ihrer Liebe und ihrem Land treu zu bleiben.
Formal besteht das Gedicht aus neun Strophen, jede mit acht Versen. Die Sprache und Wortwahl sind malerisch und bildhaft, gespickt mit antiken und ritterlichen Bezügen, die eine Atmosphäre von Ritterschaft und Heldentum heraufbeschwören. Die Poesie bedient sich dabei einer eher formellen, altertümlichen Sprache, die zum historischen und ernsten Ton des Gedichts beiträgt.
Insgesamt wirkt das Gedicht „Burg Tübingen“ von Hölderlin als eine Ode an die vergangene Größe und Kultur, die nun in den Ruinen der Burg sichtbar wird. Zugleich ist es eine Ermahnung an die nachkommenden Generationen, die Tugenden der Vergangenheit zu bewahren und sich an den Heldentaten ihrer Ahnen zu erinnern. Dabei spielen Themen wie Pflicht, Ehre, Treue und Patriotismus eine zentrale Rolle.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Burg Tübingen“ ist Johann Christian Friedrich Hölderlin. Geboren wurde Hölderlin im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar. Zwischen den Jahren 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 377 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 72 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An unsre Dichter“, „Das Schicksal“ und „Das Unverzeihliche“. Zum Autor des Gedichtes „Burg Tübingen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 181 Gedichte vor.
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Zum Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin sind auf abi-pur.de 181 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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