An den Aether von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter und Menschen |
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Keiner, o Vater Aether! mich auf; noch ehe die Mutter |
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In die Arme mich nahm und ihre Brüste mich tränkten, |
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Faßtest du zärtlich mich an und gossest himmlischen Trank mir, |
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Mir den heiligen Othem zuerst in den keimenden Busen. |
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Nicht von irdischer Kost gedeihen einzig die Wesen, |
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Aber du nährst sie all mit deinem Nektar, o Vater! |
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Und es drängt sich und rinnt aus deiner ewigen Fülle |
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Die beseelende Luft durch alle Röhren des Lebens. |
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Darum lieben die Wesen dich auch und ringen und streben |
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Unaufhörlich hinauf nach dir in freudigem Wachstum. |
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Himmlischer! sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze, |
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Streckt nach dir die schüchternen Arme der niedrige Strauch nicht? |
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Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülse, |
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Daß er belebt von dir in deiner Welle sich bade, |
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Schüttelt der Wald den Schnee wie ein überlästig Gewand ab. |
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Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend |
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Über die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch diese |
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Aus der Wiege zu dir; auch den edeln Tieren der Erde |
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Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen, |
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Die geheime Liebe zu dir, sie ergreift, sie hinaufzieht. |
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Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener Stahl strebt |
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In die Höhe sein Hals, mit der Hufe berührt es den Sand kaum. |
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Wie zum Scherze, berührt der Fuß der Hirsche den Grashalm, |
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Hüpft, wie ein Zephyr, über den Bach, der reißend hinabschäumt, |
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Hin und wieder und schweift kaum sichtbar durch die Gebüsche. |
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Aber des Aethers Lieblinge, sie, die glücklichen Vögel, |
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Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters! |
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Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet, |
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Und es regen sich frei im Hause die Großen und Kleinen. |
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Über dem Haupte frohlocken sie mir und es sehnt sich auch mein Herz |
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Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat |
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Winkt es von oben herab und auf die Gipfel der Alpen |
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Möcht ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler, |
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Daß er, wie einst in die Arme des Zeus den seligen Knaben, |
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Aus der Gefangenschaft in des Aethers Halle mich trage. |
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Töricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe, |
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Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel sie aufwächst, |
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Breiten wir über dem Boden uns aus und suchen und wandern |
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Durch die Zonen der Erd, o Vater Aether! vergebens, |
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Denn es treibt uns die Lust, in deinen Gärten zu wohnen. |
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In die Meersflut werfen wir uns, in den freieren Ebnen |
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Uns zu sättigen, und es umspielt die unendliche Woge |
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Unsern Kiel, es freut sich das Herz an den Kräften des Meergotts. |
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Dennoch genügt ihm nicht; denn der tiefere Ozean reizt uns, |
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Wo die leichtere Welle sich regt - o wer dort an jene |
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Goldnen Küsten das wandernde Schiff zu treiben vermöchte! |
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Aber indes ich hinauf in die dämmernde Ferne mich sehne, |
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Wo du fremde Gestad umfängst mit der bläulichen Woge, |
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Kömmst du säuselnd herab von des Fruchtbaums blühenden Wipfeln, |
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Vater Aether! und sänftigest selbst das strebende Herz mir, |
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Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde. |
Details zum Gedicht „An den Aether“
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514
1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „An den Aether“ wurde von Friedrich Hölderlin geschrieben, einem deutschen Lyriker aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Er lebte von 1770 bis 1843, und dieses Gedicht stammt vermutlich aus der späteren Hälfte seiner kreativen Schaffenszeit.
Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht als Hymne an den Äther, das göttliche Prinzip des Raums und der Luft. Es zeigt eine tiefgreifende Naturverbundenheit und die Leidenschaft, das Himmlische, das Göttliche in der Natur zu suchen und zu finden.
Inhaltlich spricht das lyrische Ich im Gedicht seine innige und ehrfurchtsvolle Beziehung zum Äther, zum Himmel und zur Natur aus. Es beschreibt, wie der Äther alles Leben auf der Erde nährt und wie alle Lebewesen, von Pflanzen über Tiere bis hin zum Menschen, danach streben, sich ihm zu nähern und in seiner Macht und Fülle zu baden. Es wird auch das Gefühl des lyrischen Ichs ausgedrückt, sich zu den Vögeln hinaufzusehnen und über den Gipfeln der Alpen in den Äther getragen zu werden.
In der zweiten Strophe beschreibt das lyrische Ich dann das Gefühl der Sehnsucht und das Streben nach dem Äther, selbst wenn diese Bemühungen letztlich vergeblich sind. Es schildert, wie der Mensch in seiner Suche nach dem Göttlichen in die Weiten des Meeres und sogar in die Tiefen des Ozeans taucht, aber nie wirklich zufrieden ist, weil seine wahre Sehnsucht zum Äther, zum Himmel gerichtet ist.
Die Form des Gedichts ist gekennzeichnet durch einen geregelten Rhythmus und ein regelmäßiges Versmaß, was typisch für Hölderlins Werke ist. Es besteht aus ausgedehnten Hexametern und Pentametern, die eine fließende und doch kraftvolle Wirkung erzeugen.
Die Sprache des Gedichts ist reich an bildlicher Symbolik. Der Äther wird als göttlicher Vater charakterisiert, der den Menschen und alle Lebewesen auf der Erde nährt. Die Bilder der Natur, die in diesem Gedicht verwendet werden, wie z.B. das Bild der Pflanzen, die zur Sonne hinaufstreben, und die Tiere, die sich zu den Himmels Höhen erheben, vermitteln die Botschaft, dass alle Lebewesen ihrer Natur nach das Göttliche suchen.
Zusammenfassend ist „An den Aether“ ein Ausdruck der Ehrfurcht und der tiefen Verbundenheit Hölderlins mit der Natur und dem Himmlischen. Es zeigt seine Überzeugung, dass alle Lebensformen, auch der Mensch, einen natürlichen Drang verspüren, sich zum Göttlichen hinaufzuziehen und in seiner Präsenz und Fülle zu gedeihen.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An den Aether“ des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin. Geboren wurde Hölderlin im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 2 Strophen und umfasst dabei 514 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „Dem Genius der Kühnheit“, „Der Gott der Jugend“ und „Der Winkel von Hahrdt“. Zum Autor des Gedichtes „An den Aether“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.
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