Mein Eigentum von Johann Christian Friedrich Hölderlin

In seiner Fülle ruhet der Herbsttag nun,
Geläutert ist die Traub und der Hain ist rot
Vom Obst, wenn schon der holden Blüten
Manche der Erde zum Danke fielen.
 
Und rings im Felde, wo ich den Pfad hinaus,
Den stillen, wandle, ist den Zufriedenen
Ihr Gut gereift und viel der frohen
Mühe gewähret der Reichtum ihnen.
 
Vom Himmel blicket zu den Geschäftigen
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Durch ihre Bäume milde das Licht herab,
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Die Freude teilend, denn es wuchs durch
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Hände der Menschen allein die Frucht nicht.
 
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Und leuchtest du, o Goldnes, auch mir, und wehst
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Auch du mir wieder, Lüftchen, als segnetest
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Du eine Freude mir, wie einst, und
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Irrst, wie um Glückliche, mir am Busen?
 
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Einst war ichs, doch wie Rosen, vergänglich war
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Das fromme Leben, ach! und es mahnen noch,
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Die blühend mir geblieben sind, die
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Holden Gestirne zu oft mich dessen.
 
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Beglückt, wer, ruhig liebend ein frommes Weib,
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Am eignen Herd in rühmlicher Heimat lebt,
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Es leuchtet über festem Boden
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Schöner dem sicheren Mann sein Himmel.
 
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Denn, wie die Pflanze, wurzelt auf eignem Grund
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Sie nicht, verglüht die Seele des Sterblichen,
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Der mit dem Tageslichte nur, ein
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Armer, auf heiliger Erde wandelt.
 
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Zu mächtig, ach! ihr himmlischen Höhen, zieht
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Ihr mich empor, bei Stürmen, am heitern Tag
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Fühl ich verzehrend euch im Busen
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Wechseln, ihr wandelnden Götterkräfte.
 
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Doch heute laß mich stille den trauten Pfad
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Zum Haine gehn, dem golden die Wipfel schmückt
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Sein sterbend Laub, und kränzt auch mir die
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Stirne, ihr holden Erinnerungen!
 
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Und daß mir auch, zu retten mein sterblich Herz,
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Wie andern eine bleibende Stätte sei,
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Und heimatlos die Seele mir nicht
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Über das Leben hinweg sich sehne,
 
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Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl! sei du,
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Beglückender! mit sorgender Liebe mir
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Gepflegt, der Garten, wo ich, wandelnd
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Unter den Blüten, den immerjungen,
 
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In sichrer Einfalt wohne, wenn draußen mir
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Mit ihren Wellen allen die mächtge Zeit,
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Die Wandelbare, fern rauscht und die
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Stillere Sonne mein Wirken fördert.
 
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Ihr segnet gütig über den Sterblichen,
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Ihr Himmelskräfte! jedem sein Eigentum,
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O segnet meines auch, und daß zu
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Frühe die Parze den Traum nicht ende.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Mein Eigentum“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
346
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Mein Eigentum“ wurde vom deutschen Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin verfasst, der von 1770 bis 1843 lebte. Zur zeitlichen Einordnung zählt Hölderlin zur Epoche der Romantik, wobei er zugleich als Wegbereiter der deutschen Klassik gilt.

Das Gedicht hinterlässt auf den ersten Eindruck einen nachdenklichen und melancholischen Ton. Die Herbstzeit und ihre Naturphänomene werden hier als Stillleben, als Moment der Ruhe und Vergänglichkeit dargestellt. Deutlich wird der Wechsel der Jahreszeiten als Metapher genutzt, um die Vergänglichkeit des Lebens zu thematisieren.

Das Hauptthema des Gedichts ist der Prozess des Älterwerdens und das eigene Bewusstsein für die Vergänglichkeit allen Seins. Das lyrische Ich reflektiert über seine früheren Tage und benennt Poezie, den „Gesang“, als einen stabilen Ankerpunkt und „freundliches Asyl“ in seinem Leben. Die Worte des lyrischen Ichs vermitteln den Eindruck, dass es einen verlorenen Zustand des Glücks und der Zufriedenheit hinter sich gelassen hat und nun in der Gegenwart nach einer neuen Form der Zufriedenheit sucht. Mit den „himmlischen Höhen“ sind vermutlich geistige oder intellektuelle Ambitionen gemeint, die ihn einerseits hervorheben, andererseits jedoch auch vereinsamen lassen.

Das Gedicht ist in einem strengen Formschema gehalten: Jede der dreizehn Strophen besteht aus vier Versen, somit weist es eine beeindruckende Formtreue und ein hohes Maß an Kunstfertigkeit auf. Sprachlich wird das gesamte Gedicht von einer melancholisch-rythmischen Sprache beherrscht, welche durch die präzise Wortwahl und die reiche Symbolik des lyrischen Ichs eine tiefe emotionale Resonanz erzeugt. Die wiederholte Anrufung der „himmlischen Höhen“ und die Bitte um deren Segen deuten auf religiöse oder metaphysische Bezüge hin.

Insgesamt interpretiert das Gedicht die Kluft zwischen dem Vergangenen und der Gegenwart. Während es Sehnsucht und Nostalgie nach der Vergangenheit ausdrückt, betont es gleichzeitig die Wichtigkeit, einen stabilen Anker im Hier und Jetzt zu finden - in diesem Fall durch die Kraft der Poesie.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Mein Eigentum“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. 1770 wurde Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zu. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 346 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An Ihren Genius“, „An die Deutschen“ und „An die Parzen“. Zum Autor des Gedichtes „Mein Eigentum“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.

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