Der Frieden von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Wie wenn die alten Wasser, die
in andern Zorn,
In schröcklichern verwandelt wieder
Kämen, zu reinigen, da es not war,
 
So gählt' und wuchs und wogte von Jahr zu Jahr
Rastlos und überschwemmte das bange Land
Die unerhörte Schlacht, daß weit hüllt
Dunkel und Blässe das Haupt der Menschen.
 
Die Heldenkräfte flogen, wie Wellen, auf
10 
Und schwanden weg, du kürztest, o Rächerin!
11 
Den Dienern oft die Arbeit schnell und
12 
Brachtest in Ruhe sie heim, die Streiter.
 
13 
O du, die unerbittlich und unbesiegt
14 
Den Feigern und den Übergewaltgen trifft,
15 
Daß bis ins letzte Glied hinab vom
16 
Schlage sein armes Geschlecht erzittert,
 
17 
Die du geheim den Stachel und Zügel hältst,
18 
Zu hemmen und zu fördern, o Nemesis,
19 
Strafst du die Toten noch, es schliefen
20 
Unter Italiens Lorbeergärten
21 
Sonst ungestört die alten Eroberer.
22 
Und schonst du auch des müßigen Hirten nicht,
23 
Und haben endlich wohl genug den
24 
Üppigen Schlummer gebüßt die Völker?
 
25 
Wer hub es an? wer brachte den Fluch? von heut
26 
Ists nicht und nicht von gestern, und die zuerst
27 
Das Maß verloren, unsre Väter
28 
Wußten es nicht, und es trieb ihr Geist sie.
 
29 
Zu lang, zu lang schon treten die Sterblichen
30 
Sich gern aufs Haupt, und zanken um Herrschaft
31 
sich,
32 
Den Nachbar fürchtend, und es hat auf
33 
Eigenem Boden der Mann nicht Segen.
 
34 
Und unstät wehn und irren, dem Chaos gleich,
35 
Dem gärenden Geschlechte die Wünsche noch
36 
Umher und wild ist und verzagt und kalt von
37 
Sorgen das Leben der Armen immer.
 
38 
Du aber wandelst ruhig die sichre Bahn,
39 
O Mutter Erd, im Lichte. Dein Frühling blüht,
40 
Melodischwechselnd gehn dir hin die
41 
Wachsenden Zeiten, du Lebensreiche!
 
42 
Komm du nun, du der heiligen Musen all,
43 
Und der Gestirne Liebling, verjüngender
44 
Ersehnter Friede, komm und gib ein
45 
Bleiben im Leben, ein Herz uns wieder.
 
46 
Unschuldiger! sind klüger die Kinder doch
47 
Beinahe, denn wir Alten; es irrt der Zwist
48 
Den Guten nicht den Sinn, und klar und
49 
Freudig ist ihnen ihr Auge blieben.
 
50 
Und wie mit andern Schauenden lächelnd ernst
51 
Der Richter auf der Jünglinge Rennbahn sieht,
52 
Wo glühender die Kämpfenden die
53 
Wagen in stäubende Wolken treiben,
 
54 
So steht und lächelt Helios über uns
55 
Und einsam ist der Göttliche, Frohe nie,
56 
Denn ewig wohnen sie, des Aethers
57 
Blühende Sterne, die Heiligfreien.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30 KB)

Details zum Gedicht „Der Frieden“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
57
Anzahl Wörter
367
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Der Frieden“ stammt von dem deutschen Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin, der von 1770 bis 1843 lebte. Zeitlich ist sein Schaffen in die Epoche der Weimarer Klassik und der Romantik einzuordnen, die von etwa 1770 bis 1830 andauerte. Beherrschende Themen dieser Zeit waren Natur, Gefühle und das Streben nach Harmonie.

Schon beim ersten Lesen entsteht der Eindruck, dass Frieden und Krieg, Zerstörung und Ruhe zentrale Themen des Gedichts sind. Es wirkt nachdenklich und besonnen, aber auch eindringlich und mahnend.

Inhaltlich geht das lyrische Ich auf das unfassbare Ausmaß von Kriegen ein, die ein Land und seine Menschen verwüsten können (Strophe 1 und 2) und die Helden in den Krieg ziehen lässt, um Unruhe zu stiften (Strophe 3 und 4). In der fünften Strophe wird die altgriechische Göttin Nemesis angesprochen, die als Vollstreckerin des Schicksals gesehen wird. Es erscheint, als würde das lyrische Ich hier die göttliche Strafe und das unvermeidliche Schicksal thematisieren. Die sechste und siebte Strophe reflektieren die Ursachen von Konflikten und Unruhen.

Die Unstetigkeit und das Chaos des menschlichen Lebens stehen dann in den nächsten Strophen dem geordneten und friedlichen Zyklus der Natur gegenüber (Strophe 8 bis 10). Der Verlauf der Zeit und der Wechsel der Jahreszeiten treten in Harmonie und Ordnung ein, im Gegensatz zu der scheinbar ständigen Restlosigkeit des menschlichen Daseins. Mit einem Aufruf zum Frieden (Strophe 11) und einer Betrachtung der Unschuld und Klarheit der Kinder im Vergleich zu den älteren Generationen (Strophe 12) endet das Gedicht optimistisch und hoffnungsvoll.

Die Form des Gedichts ist geprägt durch eine regelmäßige vierzeilige Strophengliederung mit Ausnahme der fünften und siebten Strophe, die acht bzw. fünf Verse umfassen. Dies könnte als Hinweis auf besondere Betonungen oder inhaltliche Schwerpunkte interpretiert werden, etwa die spezielle Rolle von Nemesis oder das Nachdenken über die Ursachen von Konflikten.

In Bezug auf die Sprache fällt die archaische und formelle Ausdrucksweise auf. Hölderlin wendet viele Metaphern an, zum Beispiel wenn er den Krieg als „unerhörte Schlacht“ oder die Kämpfer als „Heldenkräfte“ bezeichnet. Diese Bildsprache unterstreicht die Dramatik des Geschehens. Im Kontrast dazu stehen die harmonischen und friedlichen Naturbilder.

Insgesamt interpretiere ich „Der Frieden“ als ein Werk, das die Schrecken des Krieges und der Unruhe aufzeigt, dabei aber auch die Beharrlichkeit der Natur und die Unschuld der Jugend als Hoffnungsträger ins Zentrum stellt. Es handelt sich um eine Mahnung, die schädlichen Konflikte zu beenden und wieder zu einem harmonischen Zusammenleben zurückzufinden.

Weitere Informationen

Johann Christian Friedrich Hölderlin ist der Autor des Gedichtes „Der Frieden“. Im Jahr 1770 wurde Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1786 bis 1843 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 57 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 367 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An die jungen Dichter“, „An unsre Dichter“ und „Das Schicksal“. Zum Autor des Gedichtes „Der Frieden“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 181 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Johann Christian Friedrich Hölderlin und seinem Gedicht „Der Frieden“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin (Infos zum Autor)

Zum Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin sind auf abi-pur.de 181 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.