Der Archipelagus von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Kehren die Kraniche wieder zu dir, und suchen zu
deinen
Ufern wieder die Schiffe den Lauf? umatmen
erwünschte
Lüfte dir die beruhigte Flut, und sonnet der Delphin,
Aus der Tiefe gelockt, am neuen Lichte den Rücken?
Blüht Ionien? ists die Zeit? denn immer im Frühling,
Wenn den Lebenden sich das Herz erneut und die
erste
10 
Liebe den Menschen erwacht und goldner Zeiten
11 
Erinnrung,
12 
Komm ich zu dir und grüß in deiner Stille dich, Alter!
 
13 
Immer, Gewaltiger! lebst du noch und ruhest im
14 
Schatten
15 
Deiner Berge, wie sonst; mit Jünglingsarmen
16 
umfängst du
17 
Noch dein liebliches Land, und deiner Töchter, o
18 
Vater!
19 
Deiner Inseln ist noch, der blühenden, keine verloren.
20 
Kreta steht und Salamis grünt, umdämmert von
21 
Lorbeern,
22 
Rings von Strahlen umblüht, erhebt zur Stunde des
23 
Aufgangs
24 
Delos ihr begeistertes Haupt, und Tenos und Chios
25 
Haben der purpurnen Früchte genug, von trunkenen
26 
Hügeln
27 
Quillt der Cypriertrank, und von Kalauria fallen
28 
Silberne Bäche, wie einst, in die alten Wasser des
29 
Vaters.
30 
Alle leben sie noch, die Heroenmütter, die Inseln,
31 
Blühend von Jahr zu Jahr, und wenn zu Zeiten, vom
32 
Abgrund
33 
Losgelassen, die Flamme der Nacht, das untre
34 
Gewitter,
35 
Eine der holden ergriff, und die Sterbende dir in den
36 
Schoß sank,
37 
Göttlicher! du, du dauertest aus, denn über den
38 
dunkeln
39 
Tiefen ist manches schon dir auf und untergegangen.
 
40 
Auch die Himmlischen, sie, die Kräfte der Höhe, die
41 
stillen,
42 
Die den heiteren Tag und süßen Schlummer und
43 
Ahnung
44 
Fernher bringen über das Haupt der fühlenden
45 
Menschen
46 
Aus der Fülle der Macht, auch sie, die alten
47 
Gespielen,
48 
Wohnen, wie einst, mit dir, und oft am dämmernden
49 
Abend,
50 
Wenn von Asiens Bergen herein das heilige
51 
Mondlicht
52 
Kömmt und die Sterne sich in deiner Woge begegnen,
53 
Leuchtest du von himmlischem Glanz, und so, wie sie
54 
wandeln,
55 
Wechseln die Wasser dir, es tönt die Weise der
56 
Brüder
57 
Droben, ihr Nachtgesang, im liebenden Busen dir
58 
wieder.
59 
Wenn die allverklärende dann, die Sonne des Tages,
60 
Sie, des Orients Kind, die Wundertätige, da ist,
61 
Dann die Lebenden all im goldenen Traume beginnen,
62 
Den die Dichtende stets des Morgens ihnen bereitet,
63 
Dir, dem trauernden Gott, dir sendet sie froheren
64 
Zauber,
65 
Und ihr eigen freundliches Licht ist selber so schön
66 
nicht
67 
Denn das Liebeszeichen, der Kranz, den immer, wie
68 
vormals,
69 
Deiner gedenk, doch sie um die graue Locke dir
70 
windet.
71 
Und umfängt der Aether dich nicht, und kehren die
72 
Wolken,
73 
Deine Boten, von ihm mit dem Göttergeschenke, dem
74 
Strahle
75 
Aus der Höhe dir nicht? dann sendest du über das
76 
Land sie,
77 
Daß am heißen Gestad die gewittertrunkenen Wälder
78 
Rauschen und wogen mit dir, daß bald, dem
79 
wandernden Sohn gleich,
80 
Wenn der Vater ihn ruft, mit den tausend Bächen
81 
Mäander
82 
Seinen Irren enteilt und aus der Ebne Kayster
83 
Dir entgegenfrohlockt, und der Erstgeborne, der Alte,
84 
Der zu lange sich barg, dein majestätischer Nil itzt
85 
Hochherschreitend aus fernem Gebirg, wie im Klange
86 
der Waffen,
87 
Siegreich kömmt, und die offenen Arme der sehnende
88 
reichet.
 
89 
Dennoch einsam dünkest du dir; in schweigender
90 
Nacht hört
91 
Deine Weheklage der Fels, und öfters entflieht dir
92 
Zürnend von Sterblichen weg die geflügelte Woge
93 
zum Himmel.
94 
Denn es leben mit dir die edlen Lieblinge nimmer,
95 
Die dich geehrt, die einst mit den schönen Tempeln
96 
und Städten
97 
Deine Gestade bekränzt, und immer suchen und
98 
missen,
99 
Immer bedürfen ja, wie Heroen den Kranz, die
100 
geweihten
101 
Elemente zum Ruhme das Herz der fühlenden
102 
Menschen.
103 
Sage, wo ist Athen? ist über den Urnen der Meister
104 
Deine Stadt, die geliebteste dir, an den heiligen Ufern,
105 
Trauernder Gott! dir ganz in Asche
106 
zusammengesunken,
107 
Oder ist noch ein Zeichen von ihr, daß etwa der
108 
Schiffer,
109 
Wenn er vorüberkommt, sie nenn und ihrer gedenke?
110 
Stiegen dort die Säulen empor und leuchteten dort
111 
nicht
112 
Sonst vom Dache der Burg herab die Göttergestalten?
113 
Rauschte dort die Stimme des Volks, die
114 
stürmischbewegte,
115 
Aus der Agora nicht her, und eilten aus freudigen
116 
Pforten
117 
Dort die Gassen dir nicht zu gesegnetem Hafen
118 
herunter?
119 
Siehe! da löste sein Schiff der fernhinsinnende
120 
Kaufmann,
121 
Froh, denn es wehet' auch ihm die beflügelnde Luft
122 
und die Götter
123 
Liebten so, wie den Dichter, auch ihn, dieweil er die
124 
guten
125 
Gaben der Erd ausglich und Fernes Nahem vereinte.
126 
Fern nach Cypros ziehet er hin und ferne nach Tyros,
127 
Strebt nach Kolchis hinauf und hinab zum alten
128 
Aegyptos,
129 
Daß er Purpur und Wein und Korn und Vließe
130 
gewinne
131 
Für die eigene Stadt, und öfters über des kühnen
132 
Herkules Säulen hinaus, zu neuen seligen Inseln
133 
Tragen die Hoffnungen ihn und des Schiffes Flügel,
134 
indessen
135 
Anders bewegt, am Gestade der Stadt ein einsamer
136 
Jüngling
137 
Weilt und die Woge belauscht, und Großes ahndet der
138 
Ernste,
139 
Wenn er zu Füßen so des erderschütternden Meisters
140 
Lauschet und sitzt, und nicht umsonst erzog ihn der
141 
Meergott.
 
142 
Denn des Genius Feind, der vielgebietende Perse,
143 
Jahrlang zählt' er sie schon, der Waffen Menge, der
144 
Knechte,
145 
Spottend des griechischen Lands und seiner wenigen
146 
Inseln,
147 
Und sie deuchten dem Herrscher ein Spiel, und noch,
148 
wie ein Traum, war
149 
Ihm das innige Volk, vom Göttergeiste gerüstet.
150 
Leicht aus spricht er das Wort und schnell, wie der
151 
flammende Bergquell,
152 
Wenn er, furchtbar umher vom gärenden Aetna
153 
gegossen,
154 
Städte begräbt in der purpurnen Flut und blühende
155 
Gärten,
156 
Bis der brennende Strom im heiligen Meere sich
157 
kühlet,
158 
So mit dem Könige nun, versengend,
159 
städteverwüstend,
160 
Stürzt von Ekbatana daher sein prächtig Getümmel;
161 
Weh! und Athene, die herrliche, fallt; wohl schauen
162 
und ringen
163 
Vom Gebirg, wo das Wild ihr Geschrei hört,
164 
fliehende Greise
165 
Nach den Wohnungen dort zurück und den
166 
rauchenden Tempeln;
167 
Aber es weckt der Söhne Gebet die heilige Asche
168 
Nun nicht mehr, im Tal ist der Tod, und die Wolke
169 
des Brandes
170 
Schwindet am Himmel dahin, und weiter im Lande zu
171 
ernten,
172 
Zieht, vom Frevel erhitzt, mit der Beute der Perse
173 
vorüber.
 
174 
Aber an Salamis Ufern, o Tag an Salamis Ufern!
175 
Harrend des Endes stehn die Athenerinnen, die
176 
Jungfraun,
177 
Stehn die Mütter, wiegend im Arm das gerettete
178 
Söhnlein,
179 
Aber den Horchenden schallt von Tiefen die Stimme
180 
des Meergotts
181 
Heilweissagend herauf, es schauen die Götter des
182 
Himmels
183 
Wägend und richtend herab, denn dort an den
184 
bebenden Ufern
185 
Wankt seit Tagesbeginn, wie langsamwandelnd
186 
Gewitter,
187 
Dort auf schäumenden Wassern die Schlacht, und es
188 
glühet der Mittag,
189 
Unbemerket im Zorn, schon über dem Haupte den
190 
Kämpfern.
191 
Aber die Männer des Volks, die Heroenenkel, sie
192 
walten
193 
Helleren Auges jetzt, die Götterlieblinge denken
194 
Des beschiedenen Glücks, es zahmen die Kinder
195 
Athenes
196 
Ihren Genius, ihn, den todverachtenden, jetzt nicht.
197 
Denn wie aus rauchendem Blut das Wild der Wüste
198 
noch einmal
199 
Sich zuletzt verwandelt erhebt, der edleren Kraft
200 
gleich,
201 
Und den Jäger erschröckt, kehrt jetzt im Glanze der
202 
Waffen,
203 
Bei der Herrscher Gebot, furchtbargesammelt den
204 
Wilden,
205 
Mitten im Untergang, die ermattete Seele noch
206 
einmal.
207 
Und entbrannter beginnts; wie Paare ringender
208 
Männer
209 
Fassen die Schiffe sich an, in die Woge taumelt das
210 
Steuer,
211 
Unter den Streitern bricht der Boden, und Schiffer und
212 
Schiff sinkt.
 
213 
Aber in schwindelnden Traum vom Liede des Tages
214 
gesungen,
215 
Rollt der König den Blick; irrlächelnd über den
216 
Ausgang
217 
Droht er, und fleht, und frohlockt, und sendet, wie
218 
Blitze, die Boten.
219 
Doch er sendet umsonst, es kehret keiner ihm wieder.
220 
Blutige Boten, Erschlagne des Heers, und berstende
221 
Schiffe,
222 
Wirft die Rächerin ihm zahllos, die donnernde Woge,
223 
Vor den Thron, wo er sitzt am bebenden Ufer, der
224 
Arme,
225 
Schauend die Flucht, und fort in die fliehende Menge
226 
gerissen,
227 
Eilt er, ihn treibt der Gott, es treibt sein irrend
228 
Geschwader
229 
Über die Fluten der Gott, der spottend sein eitel
230 
Geschmeid ihm
231 
Endlich zerschlug und den Schwachen erreicht' in der
232 
drohenden Rüstung.
 
233 
Aber liebend zurück zum einsamharrenden Strome
234 
Kommt der Athener Volk und von den Bergen der
235 
Heimat
236 
Wogen, freudig gemischt, die glänzenden Scharen
237 
herunter
238 
Ins verlassene Tal, ach! gleich der gealterten Mutter,
239 
Wenn nach Jahren das Kind, das verlorengeachtete,
240 
wieder
241 
Lebend ihr an die Brüste kehrt, ein erwachsener
242 
Jüngling,
243 
Aber im Gram ist ihr die Seele gewelkt und die
244 
Freude
245 
Kommt der hoffnungsmüden zu spät und mühsam
246 
vernimmt sie,
247 
Was der liebende Sohn in seinem Danke geredet:
248 
So erscheint den Kommenden dort der Boden der
249 
Heimat.
250 
Denn es fragen umsonst nach ihren Hainen die
251 
Frommen,
252 
Und die Sieger empfängt die freundliche Pforte nicht
253 
wieder,
254 
Wie den Wanderer sonst sie empfing, wenn er froh
255 
von den Inseln
256 
Wiederkehrt' und die selige Burg der Mutter Athene
257 
Über sehnendem Haupt ihm fernherglänzend
258 
heraufging.
259 
Aber wohl sind ihnen bekannt die verödeten Gassen
260 
Und die trauernden Gärten umher und auf der Agora,
261 
Wo des Portikus Säulen gestürzt und die göttlichen
262 
Bilder
263 
Liegen, da reicht in der Seele bewegt, und der Treue
264 
sich freuend,
265 
Jetzt das liebende Volk zum Bunde die Hände sich
266 
wieder.
267 
Bald auch suchet und sieht den Ort des eigenen
268 
Hauses
269 
Unter dem Schutt der Mann; ihm weint am Halse, der
270 
trauten
271 
Schlummerstätte gedenk, sein Weib, es fragen die
272 
Kindlein
273 
Nach dem Tische, wo sonst in lieblicher Reihe sie
274 
saßen,
275 
Von den Vätern gesehn, den lächelnden Göttern des
276 
Hauses.
277 
Aber Gezelte bauet das Volk, es schließen die alten
278 
Nachbarn wieder sich an, und nach des Herzens
279 
Gewohnheit
280 
Ordnen die luftigen Wohnungen sich umher an den
281 
Hügeln.
282 
So indessen wohnen sie nun, wie die Freien, die
283 
Alten,
284 
Die, der Stärke gewiß und dem kommenden Tage
285 
vertrauend,
286 
Wandernden Vögeln gleich, mit Gesange von Berge
287 
zu Berg einst
288 
Zogen, die Fürsten des Forsts und des weitumirrenden
289 
Stromes.
290 
Doch umfangt noch, wie sonst, die Muttererde, die
291 
treue,
292 
Wieder ihr edel Volk, und unter heiligem Himmel
293 
Ruhen sie sanft, wenn milde, wie sonst, die Lüfte der
294 
Jugend
295 
Um die Schlafenden wehn, und aus Platanen Ilissus
296 
Ihnen herüberrauscht, und neue Tage verkündend,
297 
Lockend zu neuen Taten, bei Nacht die Woge des
298 
Meergotts
299 
Fernher tönt und fröhliche Träume den Lieblingen
300 
sendet.
301 
Schon auch sprossen und blühn die Blumen mählich,
302 
die goldnen,
303 
Auf zertretenem Feld, von frommen Händen gewartet,
304 
Grünet der Ölbaum auf, und auf Kolonos Gefilden
305 
Nähren friedlich, wie sonst, die Athenischen Rosse
306 
sich wieder.
 
307 
Aber der Muttererd und dem Gott der Woge zu Ehren
308 
Blühet die Stadt itzt auf, ein herrlich Gebild, dem
309 
Gestirn gleich
310 
Sichergegründet, des Genius Werk, denn Fesseln der
311 
Liebe
312 
Schafft er gerne sich so, so hält in großen Gestalten,
313 
Die er selbst sich erbaut, der immerrege sich
314 
bleibend.
315 
Sieh! und dem Schaffenden dienet der Wald, ihm
316 
reicht mit den andern
317 
Bergen nahe zur Hand der Pentele Marmor und Erze,
318 
Aber lebend, wie er, und froh und herrlich entquillt es
319 
Seinen Händen, und leicht, wie der Sonne, gedeiht das
320 
Geschäft ihm.
321 
Brunnen steigen empor und über die Hügel in reinen
322 
Bahnen gelenkt, ereilt der Quell das glänzende
323 
Becken;
324 
Und umher an ihnen erglänzt, gleich festlichen Helden
325 
Am gemeinsamen Kelch, die Reihe der Wohnungen,
326 
hoch ragt
327 
Der Prytanen Gemach, es stehn Gymnasien offen,
328 
Göttertempel entstehn, ein heiligkühner Gedanke
329 
Steigt, Unsterblichen nah, das Olympion auf in den
330 
Aether
331 
Aus dem seligen Hain; noch manche der himmlischen
332 
Hallen!
333 
Mutter Athene, dir auch, dir wuchs dein herrlicher
334 
Hügel
335 
Stolzer aus der Trauer empor und blühte noch lange,
336 
Gott der Wogen und dir, und deine Lieblinge sangen
337 
Frohversammelt noch oft am Vorgebirge den Dank
338 
dir.
 
339 
O die Kinder des Glücks, die frommen! wandeln sie
340 
fern nun
341 
Bei den Vätern daheim, und der Schicksalstage
342 
vergessen,
343 
Drüben am Lethestrom, und bringt kein Sehnen sie
344 
wieder?
345 
Sieht mein Auge sie nie? ach! findet über den tausend
346 
Pfaden der grünenden Erd, ihr göttergleichen
347 
Gestalten!
348 
Euch das Suchende nie, und vernahm ich darum die
349 
Sprache,
350 
Darum die Sage von euch, daß immertrauernd die
351 
Seele
352 
Vor der Zeit mir hinab zu euern Schatten entfliehe?
353 
Aber näher zu euch, wo eure Haine noch wachsen,
354 
Wo sein einsames Haupt in Wolken der heilige Berg
355 
hüllt,
356 
Zum Parnassos will ich, und wenn im Dunkel der
357 
Eiche
358 
Schimmernd, mir Irrenden dort Kastalias Quelle
359 
begegnet,
360 
Will ich, mit Tränen gemischt, aus blütenumdufteter
361 
Schale
362 
Dort, auf keimendes Grün, das Wasser gießen, damit
363 
doch,
364 
O ihr Schlafenden all! ein Totenopfer euch werde.
365 
Dort im schweigenden Tal, an Tempes hangenden
366 
Felsen,
367 
Will ich wohnen mit euch, dort oft, ihr herrlichen
368 
Namen!
369 
Her euch rufen bei Nacht, und wenn ihr zürnend
370 
erscheinet,
371 
Weil der Pflug die Gräber entweiht, mit der Stimme
372 
des Herzens
373 
Will ich, mit frommem Gesang euch sühnen, heilige
374 
Schatten!
375 
Bis zu leben mit euch, sich ganz die Seele gewöhnet.
376 
Fragen wird der Geweihtere dann euch manches, ihr
377 
Toten!
378 
Euch, ihr Lebenden auch, ihr hohen Kräfte des
379 
Himmels,
380 
Wenn ihr über dem Schutt mit euren Jahren
381 
vorbeigeht,
382 
Ihr in der sicheren Bahn! denn oft ergreifet das Irrsal
383 
Unter den Sternen mir, wie schaurige Lüfte, den
384 
Busen,
385 
Daß ich spähe nach Rat, und lang schon reden sie
386 
nimmer
387 
Trost den Bedürftigen zu, die prophetischen Haine
388 
Dodonas,
389 
Stumm ist der delphische Gott, und einsam liegen und
390 
öde
391 
Längst die Pfade, wo einst, von Hoffnungen leise
392 
geleitet,
393 
Fragend der Mann zur Stadt des redlichen Sehers
394 
heraufstieg.
395 
Aber droben das Licht, es spricht noch heute zu
396 
Menschen,
397 
Schöner Deutungen voll und des großen Donnerers
398 
Stimme
399 
Ruft es: Denket ihr mein? und die trauernde Woge des
400 
Meergotts
401 
Hallt es wider: Gedenkt ihr nimmer meiner, wie
402 
vormals?
403 
Denn es ruhn die Himmlischen gern am fühlenden
404 
Herzen;
405 
Immer, wie sonst, geleiten sie noch, die begeisternden
406 
Kräfte,
407 
Gerne den strebenden Mann und über Bergen der
408 
Heimat
409 
Ruht und waltet und lebt allgegenwärtig der Aether,
410 
Daß ein liebendes Volk in des Vaters Armen
411 
gesammelt,
412 
Menschlich freudig, wie sonst, und Ein Geist allen
413 
gemein sei.
414 
Aber weh! es wandelt in Nacht, es wohnt, wie im
415 
Orkus,
416 
Ohne Göttliches unser Geschlecht. Ans eigene
417 
Treiben
418 
Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden
419 
Werkstatt
420 
Höret jeglicher nur und viel arbeiten die Wilden
421 
Mit gewaltigem Arm, rastlos, doch immer und immer
422 
Unfruchtbar, wie die Furien, bleibt die Mühe der
423 
Armen.
424 
Bis, erwacht vom ängstigen Traum, die Seele den
425 
Menschen
426 
Aufgeht, jugendlich froh, und der Liebe segnender
427 
Othem
428 
Wieder, wie vormals oft, bei Hellas blühenden
429 
Kindern,
430 
Wehet in neuer Zeit und über freierer Stirne
431 
Uns der Geist der Natur, der fernherwandelnde,
432 
wieder
433 
Stilleweilend der Gott in goldnen Wolken erscheinet.
434 
Ach! und säumest du noch? und jene, die
435 
Göttlichgebornen,
436 
Wohnen immer, o Tag! noch als in Tiefen der Erde
437 
Einsam unten, indes ein immerlebender Frühling
438 
Unbesungen über dem Haupt den Schlafenden
439 
dämmert?
440 
Aber länger nicht mehr! schon hör ich ferne des
441 
Festtags
442 
Chorgesang auf grünem Gebirg und das Echo der
443 
Haine,
444 
Wo der Jünglinge Brust sich hebt, wo die Seele des
445 
Volks sich
446 
Stillvereint im freieren Lied, zur Ehre des Gottes,
447 
Dem die Höhe gebührt, doch auch die Tale sind
448 
heilig;
449 
Denn, wo fröhlich der Strom in wachsender Jugend
450 
hinauseilt,
451 
Unter Blumen des Lands, und wo auf sonnigen Ebnen
452 
Edles Korn und der Obstwald reift, da kränzen am
453 
Feste
454 
Gerne die Frommen sich auch, und auf dem Hügel der
455 
Stadt glänzt,
456 
Menschlicher Wohnung gleich, die himmlische Halle
457 
der Freude.
458 
Denn voll göttlichen Sinns ist alles Leben geworden,
459 
Und vollendend, wie sonst, erscheinst du wieder den
460 
Kindern
461 
Überall, o Natur! und, wie vom Quellengebirg, rinnt
462 
Segen von da und dort in die keimende Seele dem
463 
Volke.
464 
Dann, dann, o ihr Freuden Athens! ihr Taten in
465 
Sparta!
466 
Köstliche Frühlingszeit im Griechenlande! wenn
467 
unser
468 
Herbst kömmt, wenn ihr gereift, ihr Geister alle der
469 
Vorwelt!
470 
Wiederkehret und siehe! des Jahrs Vollendung ist
471 
nahe!
472 
Dann erhalte das Fest auch euch, vergangene Tage!
473 
Hin nach Hellas schaue das Volk, und weinend und
474 
dankend
475 
Sänftige sich in Erinnerungen der stolze Triumphtag!
 
476 
Aber blühet indes, bis unsre Früchte beginnen,
477 
Blüht, ihr Gärten Ioniens! nur, und die an Athens
478 
Schutt
479 
Grünen, ihr Holden! verbergt dem schauenden Tage
480 
die Trauer!
481 
Kränzt mit ewigem Laub, ihr Lorbeerwälder! die
482 
Hügel
483 
Eurer Toten umher, bei Marathon dort, wo die
484 
Knaben
485 
Siegend starben, ach! dort auf Chäroneas Gefilden,
486 
Wo mit den Waffen ins Blut die letzten Athener
487 
enteilten,
488 
Fliehend vor dem Tage der Schmach, dort, dort von
489 
den Bergen
490 
Klagt ins Schlachttal täglich herab, dort singet von
491 
Oetas
492 
Gipfeln das Schicksalslied, ihr wandelnden Wasser,
493 
herunter!
494 
Aber du, unsterblich, wenn auch der Griechengesang
495 
schon
496 
Dich nicht feiert, wie sonst, aus deinen Wogen, o
497 
Meergott!
498 
Töne mir in die Seele noch oft, daß über den Wassern
499 
Furchtlosrege der Geist, dem Schwimmer gleich, in
500 
der Starken
501 
Frischem Glücke sich üb, und die Göttersprache, das
502 
Wechseln
503 
Und das Werden versteh, und wenn die reißende Zeit
504 
mir
505 
Zu gewaltig das Haupt ergreift und die Not und das
506 
Irrsal
507 
Unter Sterblichen mir mein sterblich Leben
508 
erschüttert,
509 
Laß der Stille mich dann in deiner Tiefe gedenken.

Details zum Gedicht „Der Archipelagus“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
509
Anzahl Wörter
2672
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Archipelagus“ des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin. Geboren wurde Hölderlin im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar. Zwischen den Jahren 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 509 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 2672 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An die Parzen“, „An die jungen Dichter“ und „An unsre Dichter“. Zum Autor des Gedichtes „Der Archipelagus“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.

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