Der junge Dichter von Eduard Mörike

Wenn der Schönheit sonst, der Anmut
Immer flüchtige Erscheinung,
Wie ein heller Glanz der Sonne,
Mir zu staunendem Entzücken
Wieder vor die Sinne trat;
Wenn Natur mir oft und alles
Erdenlebens liebe Fülle
Fast zu schwer am Busen wurde,
Daß nur kaum ein trunknes Jauchzen
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Noch der Ausdruck lautern Dankes
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Für solch süßes Dasein war:
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O wie drang es da mich armen,
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Mich unmündgen Sohn Apollens,
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Dieses alles, schön gestaltet
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Unter goldnen Leierklängen,
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Fest, auf ewig festzuhalten!
 
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Doch, wenn mir das tief Empfundne
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Nicht alsbald so rein und völlig,
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Wie es in der Seele lebte,
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In des Dichters zweite Seele,
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Den Gesang, hinüberspielte,
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Wenn ich nur mit stumpfem Finger
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Ungelenk die Saiten rührte
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Ach, wie oft wollt ich verzweifeln,
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Daß ich stets ein Schüler bleibe!
 
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Aber, Liebchen, sieh, bei dir
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Bin ich plötzlich wie verwandelt:
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Im erwärmten Winterstübchen,
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Bei dem Schimmer dieser Lampe,
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Wo ich deinen Worten lausche,
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Hold bescheidnen Liebesworten!
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Wie du dann geruhig deine
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Braunen Lockenhaare schlichtest,
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Also legt sich mir geglättet
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All dies wirre Bilderwesen,
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All des Herzens eitle Sorge,
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Viel-zerteiltes Tun und Denken.
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Froh begeistert, leicht gefiedert,
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Flieg ich aus der Dichtung engen
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Rosenbanden, daß ich nur
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Noch in ihrem reinen Dufte,
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Als im Elemente, lebe.
 
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O du Liebliche, du lächelst,
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Schüttelst, küssend mich, das Köpfchen,
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Und begreifst nicht, was ich meine.
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Möcht ich selber es nicht wissen,
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Wissen nur, daß du mich liebest,
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Daß ich in dem Flug der Zeit
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Deine kleinen Hände halte!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Der junge Dichter“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
49
Anzahl Wörter
239
Entstehungsjahr
1804 - 1875
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der junge Dichter“ wurde von Eduard Mörike geschrieben, der vom 8. September 1804 bis zum 4. Juni 1875 lebte. Dies ordnet das Gedicht zeitlich in die Epoche des Biedermeiers und des Realismus ein.

Auf den ersten Blick fällt die hohe Emotionalität des Gedichtes auf. Das lyrische Ich scheint intensiv mit seinem inneren Erleben und seinen Gefühlen zu ringen.

Inhaltlich geht es in diesem Gedicht um das Streben eines jungen Dichters, die Schönheit und Fülle des Lebens in Worte zu fassen und festzuhalten. Er beschreibt, wie das Erleben der Schönheit ihn zum Staunen und zur Dankbarkeit anregt. Gleichzeitig ist das Dichtersein für ihn mit Frust verbunden, da er die Tiefe seiner Empfindungen nicht immer adäquat in Worte fassen kann. Diese Gefühle der Unzulänglichkeit lösen in ihm den Wunsch aus, immer ein Schüler zu bleiben, um ständig zu lernen und sein Handwerk zu verbessern. Im weiteren Verlauf des Gedichtes tritt eine Frau in sein Leben, deren Anwesenheit ihm Frieden und Inspiration bringt. Er findet Ruhe und Klarheit in ihrer Gegenwart und sie ermöglicht es ihm, sich von den Fesseln der Dichtung zu befreien und diese als reines Element zu erleben. Schließlich gesteht er seine Liebe zu ihr und schließt das Gedicht mit dem Wunsch, ihre Hände in der Flugbahn der Zeit zu halten.

Die Form und Sprache des Gedichts sind stark von der poetischen Tradition seiner Zeit geprägt. Die dichterische Sprache ist reich an bildhaften Vergleichen und Metaphern, was typisch für die Lyrik des 19. Jahrhunderts ist. Die Strophen sind unterschiedlich lang und folgen keinem festen Reimschema. Dadurch entsteht ein dynamischer Rhythmus, der die emotionalen Höhen und Tiefen des lyrischen Ichs widerspiegelt. Die Sprache ist pathetisch und emotional aufgeladen, was die Intensität der Gefühle des Dichters unterstreicht.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der junge Dichter“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Eduard Mörike. Der Autor Eduard Mörike wurde 1804 in Ludwigsburg geboren. In der Zeit von 1820 bis 1875 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Biedermeier zugeordnet werden. Mörike ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 49 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 239 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Eduard Mörike sind „Auf eine Christblume“, „Hülfe in der Not“ und „Pastoralerfahrung“. Zum Autor des Gedichtes „Der junge Dichter“ haben wir auf abi-pur.de weitere 171 Gedichte veröffentlicht.

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