Der Zauberleuchtturm von Eduard Mörike
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Des Zauberers sein Mägdlein saß |
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In ihrem Saale rund von Glas; |
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Sie spann beim hellen Kerzenschein, |
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Und sang so glockenhell darein. |
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Der Saal, als eine Kugel klar, |
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In Lüften aufgehangen war |
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An einem Turm auf Felsenhöh, |
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Bei Nacht hoch ob der wilden See, |
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Und hing in Sturm und Wettergraus |
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An einem langen Arm hinaus. |
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Wenn nun ein Schiff in Nächten schwer |
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Sah weder Rat noch Rettung mehr, |
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Der Lotse zog die Achsel schief, |
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Der Hauptmann alle Teufel rief, |
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Auch der Matrose wollt verzagen: |
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»O weh mir armen Schwartenmagen!« |
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Auf einmal scheint ein Licht von fern |
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Als wie ein heller Morgenstern; |
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Die Mannschaft jauchzet überlaut: |
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»Heida! jetzt gilt es trockne Haut!« |
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Aus allen Kräften steuert man |
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Jetzt nach dem teuren Licht hinan, |
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Das wächst und wächst und leuchtet fast |
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Wie einer Zaubersonne Glast, |
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Darin ein Mägdlein sitzt und spinnt, |
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Sich beuget ihr Gesang im Wind; |
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Die Männer stehen wie verzückt, |
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Ein jeder nach dem Wunder blickt |
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Und horcht und staunet unverwandt, |
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Dem Steuermann entsinkt die Hand, |
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Hat keiner acht mehr auf das Schiff; |
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Das kracht mit eins am Felsenriff, |
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Die Luft zerreißt ein Jammerschrei: |
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»Herr Gott im Himmel, steh uns bei!« |
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Da löscht die Zauberin ihr Licht; |
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Noch einmal aus der Tiefe bricht |
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Verhallend Weh aus einem Mund; |
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Da zuckt das Schiff und sinkt zu Grund. |
Details zum Gedicht „Der Zauberleuchtturm“
Eduard Mörike
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1804 - 1875
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Zauberleuchtturm“ stammt von dem deutschen Dichter Eduard Mörike, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts lebte.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine märchenhafte Geschichte in einer fantastischen Landschaft zu erzählen. Allerdings wird schnell deutlich, dass es sich um eine tragische Geschichte handelt, bei der die verwirrten Seemänner tragischerweise ihr Leben verlieren.
Das lyrische Ich erzählt von einem magischen Dienstmädchen, das in der obersten Etage eines hängenden Turms lebt und arbeitet, und von ihrer trügerischen Beziehung zu den verlorenen Seefahrern, die von ihrem leuchtenden Turm angezogen werden. Sie ist wie eine Sirene, die mit dem Licht ihres Turms die hilflosen Seeleute verführt und sie zu ihrem Untergang führt. Mörike verwendet hier die Metapher des Lichts und der Dunkelheit, des Guten und des Bösen, der Hoffnung und der Verzweiflung, um so das tragische Schicksal der Figuren darzustellen.
Formal handelt es sich um ein balladenähnliches Gedicht mit einer klaren Struktur und einem regelmäßigen Reimschema. Die Sprache ist einfach und klar, typisch für Mörikes Schreibstil, und die lyrischen Bilder sind deutlich und fantastisch. Die Geschichte wird in einer chronologischen Reihenfolge erzählt, und der veränderte Rhythmus und das Tempo des Gedichts spiegeln die sich verschärfende Krise der Seefahrer wider.
Die Geschichte wird durch die Verwendung von direkter Rede lebendig, und die Verwendung von Ausrufen und Zitaten verschafft einen dramatischen Eindruck von den Ereignissen. Die Ironie des Schicksals, dass das Licht, das normalerweise Sicherheit und Schutz symbolisiert, hier zur Ursache des Todes wird, ist ebenso spürbar.
Das Gedicht stellt auch die menschliche Gier und das unwiderstehliche Verlangen nach Rettung und Überleben dar, die oft zu unbedachtem Handeln und schließlich zur Katastrophe führen. Das Schicksal der Seemänner spiegelt so den menschlichen Hang zu Überschwänglichkeit und Übertreibung wider, der letztendlich zu ihrem Untergang führt.
Insgesamt ist das Gedicht ein grausames Märchen über menschliches Verlangen, Fehleinschätzung und letztendlich Verzweiflung und Tod. Aber zugleich ist es auch eine tiefgreifende Konstruktion der menschlichen Natur und eine eindrucksvolle Darstellung von Mörikes poetischen Wahrnehmungen und Ausdruckskraft.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Zauberleuchtturm“ des Autors Eduard Mörike. Der Autor Eduard Mörike wurde 1804 in Ludwigsburg geboren. Im Zeitraum zwischen 1820 und 1875 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Biedermeier zuordnen. Bei dem Schriftsteller Mörike handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 38 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 215 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Eduard Mörike sind „Septembermorgen“, „Nimmersatte Liebe“ und „Lose Ware“. Zum Autor des Gedichtes „Der Zauberleuchtturm“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 171 Gedichte vor.
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