Chevy-Chase von Theodor Fontane
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Gott schütz’ den König, unsren Herrn, |
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Und unser Aller Leben; – – |
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Im Chevy-Walde hat sich einst |
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Wehvolle Jagd begeben. – |
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Graf Percy von Northumberland, |
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Vor Thaue noch und Tage |
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Zog aus er heut, mit Hund und Horn, |
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Daß er den Hirsch erjage. |
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Er schwur es jüngst an heilger Stätt’ |
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– Sorglos um Groll und Knirschen, – |
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Er woll drei Sommertage lang |
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Auf schottschem Boden pirschen. |
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Er woll, was lebt im Chevy-Forst, |
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Mit Speer und Pfeil erlegen; |
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„Lord Douglas schütze, wenn er kann, |
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Den Hirsch in den Gehegen!“ |
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Lord Douglas, der in Schottland lag, |
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Als er das Wort vernommen, |
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Dem Percy Grafen schwört er da |
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Ein blutiges Willkommen; |
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D e r aber ist im Walde schon |
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Mit fünfzehn hundert Mannen, |
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Wohlausgesucht und wohlgeprobt |
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Den Bogen straff zu spannen. |
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Schon, von der Meute aufgeschreckt, |
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Flieht, was die Schlucht geborgen; |
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Ein Montag war’s, – noch halbe Nacht, – |
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Es graute just im Morgen. |
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Und eh’ der Mittag kam, da lag |
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Haufweis das Wild erschlagen; |
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Doch rastlos, nach gethanem Schmaus, |
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Begann ein neues Jagen. |
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Auf’s neu durch Schlucht und Dickicht hin |
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Stob Huf und Hund nach Beute, |
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Und neuer Angstschrei mischte sich |
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Dem Lustgeheul der Meute. |
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Graf Percy nur war satt des Spiels |
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Mit Hirschen und mit Hinden, |
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Er sprach: „Lord Douglas gab sein Wort, |
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Hier soll ich heut ihn finden. |
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„Bei Gott, nicht länger harrt’ ich sein, |
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Dächt’ ich, er könn’ es brechen“; |
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Da thät alsbald ein Ritter jung |
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Also zum Grafen sprechen: |
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„Schau Herr, dort blitzt es durch den Wald, |
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Das ist er mit den Seinen; |
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Schau, wie im Mittagssonnenglühn |
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Die blanken Speere scheinen. |
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„Zweitausend sind’s vom Lauf des Tweed, |
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Aus Thälern und aus Glennen, |
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Und der vorauf ist Douglas selbst |
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An Roß und Helm zu kennen.“ |
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„Nun denn, wohlan!“ rief Percy da, |
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„Dies Feld sei unsre Schranke, |
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Noch schlüpfte keiner mir hindurch, |
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Sei’s Schotte oder Franke. |
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„Das ist der Hirsch, den ich gesucht, |
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Nun lohnt es sich zu jagen, |
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Es brennt mein Herz Mann gegen Mann |
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Mit ihm die Schlacht zu schlagen.“ |
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Lord Douglas auf milchweißem Roß, |
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Hält hoch vor den Genossen, |
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Hell glänzt die Eisenrüstung, wie |
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Von Golde übergossen; |
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Er ruft: „wer seid ihr, die ihr’s wagt |
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Mir Hirsch und Reh zu tödten, |
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Und meines Wortes bar und blos |
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Den Forst mit Blut zu röthen!“ |
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Drauf Percy schnell: „ein andermal |
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Auf weß Geheiß wir jagen, |
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Heut denken wir noch manchen Hirsch |
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Trotz Deiner zu erschlagen.“ |
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Lord Douglas hört’s, er ruft in Wuth: |
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„Da soll mich Gott verderben! |
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So wahr ein Lord ich bin, wie Du, |
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Du oder ich muß sterben.“ |
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„Doch hör’ mich Percy, Schande wär’s |
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Und Schimpf an unsrem Leben, |
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So vieler Mannen schuldlos Blut |
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Mit in den Kauf zu geben; |
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„Es sei all unser Streit gelegt |
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In unsre beiden Speere!“ |
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„Verdammt sei der – rief Percy da – |
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„Der andren Sinnes wäre.“ |
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Da trat ein Rittersmann herfür, |
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With’rington hieß der Degen, |
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Der sprach: „hier müßig zuzuschaun, |
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Dran ist uns nicht gelegen. |
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„Wir wollen nicht, dieweil ihr kämpft, |
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Hier Psalm und Lieder singen, |
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Und unsrem König Heinrich dann |
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So saubre Botschaft bringen. |
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„Wohl seid ihr Lords und edle Herrn, |
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Und wir nur Knapp und Ritter, |
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Doch dächt’ ich traun, auch unser Schwert |
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Macht Wunden wohl und Splitter!“ |
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Da thät alsbald all englisch Volk |
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Den Eschenbogen biegen, |
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Und achtzig Schotten sanken hin |
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Von ihrer Pfeile Fliegen. |
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Lord Douglas aber, unbewegt, |
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Sitzt fest im Eisenbügel |
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Und kehrt zu seinen Mannen jetzt, |
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Hoch auf des Waldes Hügel. |
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Schon stehn sie da, nach Kriegesart, |
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Getheilt zu dreien Rotten, |
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Und nieder wie ein Hagel jetzt |
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Fährt Douglas mit den Schotten. |
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Das gab ein Stechen und ein Haun, |
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Manch’ breite Wunde klaffte; |
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Längst unser englisch Bogenvolk |
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Nicht mehr die Senne straffte. |
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Sie warfen Pfeil und Esche fort, |
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Und griffen nach dem Eisen, |
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Das spielte jetzt auf Helm und Schild |
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Takthämmernd seine Weisen. |
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O Christ, es war für Herz und Sinn |
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Ein Leid nicht auszusagen, |
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Wie stöhnend da, in Sand und Blut |
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Die Menschenknäule lagen. |
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Und immer schwankte noch die Schlacht; – |
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Da endlich, – mit Gestampfe, – |
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Ansprangen, wie zwei Löwen, jetzt |
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Die Führer selbst zum Kampfe. |
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Sie kämpften bis vernehmbar fast |
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Ihr Herz im Busen klopfte, |
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Bis Blut und Schweiß, von Brust und Stirn |
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Wie Regen niedertropfte; |
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„Ergieb Dich Percy!“ Douglas rief’s – |
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„Ganz Schottland soll Dich preisen, |
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Und König Jakob Ehr’ und Ruhm |
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Am Throne Dir erweisen.“ |
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Doch Percy stolz: „Da wollt’ ich eh’ |
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Wie Kraut am Sumpf verrotten; |
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Mein Wort ist „nein“, und doppelt „nein“ |
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Genüber jedem Schotten. |
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Da kam ein Pfeil, aus unsren Reihn, |
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Verräthrisch durch die Lüfte, |
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Und bohrte tief in Douglas Herz |
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Durch Rippe sich und Hüfte. |
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Er sank vom Roß, ein stiller Mann, |
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Graf Percy sah ihn enden, |
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Und fasste dann des Todten Hand |
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Mit seinen beiden Händen. |
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„O Douglas“, rief er, – „solchen Siegs |
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Des hat mein Herz nicht Labe, |
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Hin gäb’ ich für dein Leben jetzt |
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Mein Land und meine Habe.“ |
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Er sprach es kaum, da kam’s wie Sturm, |
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Durch Freund und Feind gestoben, |
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Den Leib zum Stoß weit vorgebeugt, |
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Und hoch den Schild gehoben: – |
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Wer ist’s? Sir Ralph Montgommeri! |
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Er sah den Douglas sinken; |
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Da schwur er still, Graf Percy’s Blut |
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Mit seinem Speer zu trinken. |
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Und schleudernd jetzt den wuchtgen Schaft |
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Mit Hasses Kraft und Schnelle, |
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Durchfuhr die Lanze Percy’s Leib |
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Um eine Weber-Elle. |
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Hin sank der ritterlichste Held |
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Auf hufgestampfte Tenne; |
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Schon aber griff ein braver Schütz |
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Nach Köcher und nach Senne. |
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Er spannte straff des Bogens Seil, |
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So straff wie nie er’s spannte, |
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Und drückte seinen längsten Pfeil |
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Scharf an die Eschenkante. |
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Lang zielt’ er so, daß sichren Flugs |
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Der Pfeil zum Herzen dringe, |
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Und feucht vom Blut des Schotten jetzt |
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Bebt in der Brust die Schwinge. |
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So fiel Sir Ralph Montgommeri, |
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Und mit ihm sind gefallen |
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Auf beiden Seiten männiglich |
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Die Ritter und Vasallen. |
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Von zwanzig hundert schottschen Volks |
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Die Schild und Speer genommen, |
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Kaum fünf und funfzig, weh und wund |
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Sind in ihr Land entkommen. |
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Und unser Volk, nicht siegesfroh |
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Trug es den Sieg von dannen, |
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Nur drei und funfzig kehrten heim |
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Von funfzehn hundert Mannen. |
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Die andern schliefen fest im Wald |
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Nach heißem Kampfgewühle; |
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Und Nachtwind nur und Mondenlicht |
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Glitt über ihre Pfühle. |
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Das war die Jagd von Chevy-Chase, |
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Wo Herr und Hirsch gefallen; – |
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Gott schütz’ den König unsren Herrn |
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Und sei uns gnädig allen. |
Details zum Gedicht „Chevy-Chase“
Theodor Fontane
48
192
1037
1851
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Chevy-Chase“ wurde von Theodor Fontane verfasst, einem der bedeutendsten deutschen Lyriker und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Der Text lässt sich in die literarische Epoche des Realismus einordnen, die von circa 1850 bis 1890 andauerte.
Bei der ersten Durchsicht des Gedichts sticht der epische, erzählerische Charakter des Textes hervor. In 48 Strophen werden die Ereignisse und Charaktere um einen bewaffneten Konflikt, scheinbar im Rahmen einer mittelalterlichen Jagd, detailliert dargestellt.
Im Gedicht erzählt das lyrische Ich von einem tragischen Jagdunfall im Chevy-Wald. Graf Percy von Northumberland führte diese Jagd an und versprach, nur auf schottischem Boden zu jagen. Lord Douglas aus Schottland erfuhr hiervon und schwor, den Grafen zu bekämpfen. Es kam zu einem blutigen Kampf zwischen Engländern und Schotten, in dem Lord Douglas fallen gelassen wird. Trotz des Siegs fühlen sich die englischen Sieger nicht siegesfroh, da sie viele ihrer Männer verloren haben.
Inhaltlich geht es dabei um Macht, Ehre, Kampfgeist und Konflikt. Auch der Tod / Sterben und die damit verbundene Vergänglichkeit sind zentrale Motive. Die tragische Endlichkeit des Lebens wird gegenüber den menschlichen Eitelkeiten und Konflikten gestellt.
Formal besteht das Gedicht aus 48 gleich aufgebauten, vierzeiligen Strophen, in denen ein Reimschema aus Paarreimen (aabb) vorherrscht. Jede Strophe behandelt dabei einen Teil der Handlung oder einen Aspekt der Charaktere. Die einfache, direkte Sprache und die ausgeschmückten Beschreibungen tragen zum epischen Charakter des Gedichts bei. Trotz der Dramatik der Geschehnisse bleibt die Sprache nüchtern und analytisch. An vielen Stellen wird eine deutliche Distanzierung von der Gewalt und dem Blutvergießen erkennbar.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Theodor Fontanes „Chevy-Chase“ ein eindrucksvolles Zeugnis des poetischen Realismus darstellt. Es zeigt die Konflikte und Tragödien des menschlichen Daseins auf und hinterfragt dabei die Werte von Ehre, Mut und Macht.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Chevy-Chase“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Theodor Fontane. Geboren wurde Fontane im Jahr 1819 in Neuruppin. Im Jahr 1851 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 192 Versen mit insgesamt 48 Strophen und umfasst dabei 1037 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Theodor Fontane sind „Alles still!“, „Am Jahrestag“ und „An Bettina“. Zum Autor des Gedichtes „Chevy-Chase“ haben wir auf abi-pur.de weitere 214 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Theodor Fontane sind auf abi-pur.de 214 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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