An denselben von Eduard Mörike

als er sich leidenschaftlich mit Verfertigung von
Sonnenuhren beschäftigte
 
Mai 1840
 
Hör Er nur einmal, Herr Vetter,
Was mir diese Nacht geträumet!
Sonntag war es, nach Mittage,
Und ich sah vom Fenster Seines
Alten gelben Gartenhäuschens,
Wie die Bürgersleute ruhig
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Vor der Stadt spazierengingen.
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Und ich wandte mich und sah Ihn,
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Der im Anfang nicht zugegen,
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Ernsthaft vor dem Spiegel stehen,
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In der Stellung eines Mannes,
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Der sich zu balbieren trachtet.
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Doch indem ich näher trete
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Muß ich voll Erstaunen sehen,
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Wie Er sich mit schwarzer Farbe
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Auf Sein rundes Vollmondantlitz
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Einen saubern Halbkreis malte;
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Von der linken Schläfe abwärts,
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Zwischen Mund und Kinn hindurch, und
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So hinauf die rechte Backe.
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Jetzo mit geübtem Pinsel
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Zeichnet' Er entlang dem Zirkel
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Schöngeformte römsche Ziffern,
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Kunstgerecht, von eins bis zwölfe.
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Und ich dachte: ach, mein lieber
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Vetter ist ein Narr geworden!
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Denn Er sah mich an mit Augen,
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Die mich nicht zu kennen schienen.
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Überdem stellt' Er sich förmlich
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An das Fenster in die Sonne,
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Und der Schatten Seiner Nase
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Sollte nun die Stunde weisen.
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Ach, die Leute auf der Straße
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Wollten fast sich Kröpfe lachen!
 
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Was nun dieser Traum bedeute?
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Ich will Ihn just nicht erschrecken:
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Aber laß Er Sein verdammtes
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Sonnenuhrenmachen bleiben!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „An denselben“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
41
Anzahl Wörter
201
Entstehungsjahr
1804 - 1875
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An denselben“ stammt von Eduard Mörike, einem deutschen Dichter und Schriftsteller der Romantik, der von 1804 bis 1875 lebte.

Beim ersten Lesen des Gedichts wird deutlich, dass das lyrische Ich eine humorvolle und zugleich sorgenvolle Anekdote teilt, die sich auf eine Person bezieht, welche sich mit großer Leidenschaft mit der Herstellung von Sonnenuhren befasst. Der Titel „An denselben“ lässt darauf schließen, dass das Gedicht an eine bestimmte Person gerichtet ist.

Im Inhalt des Gedichts berichtet das lyrische Ich von einem Traum, in dem es die von ihm angesprochene Person dabei beobachtet, wie sie ihr Gesicht in eine Sonnenuhr verwandelt, indem sie mit schwarzer Farbe einen Halbkreis und römische Ziffern auf ihre Gesicht malt und sich in die Sonne stellt, so dass der Schatten ihrer Nase die Stunde anzeigt. Das lyrische Ich ist besorgt, dass diese Person verrückt geworden ist, da sie es nicht zu erkennen scheint und ihr Verhalten für viele Menschen lächerlich wirken könnte.

Durch diese bizarre und humorvolle Darstellung kritisiert das lyrische Ich wohl indirekt die obsessionale Beschäftigung der Person mit Sonnenuhren und warnt sie davor, sich lächerlich zu machen und die Realität aus den Augen zu verlieren. Diese Interpretation wird besonders in den letzten Versen des Gedichts deutlich, in denen das lyrische Ich der Person rät, ihr „verdammtes Sonnenuhrenmachen“ zu lassen.

Formell besteht das Gedicht aus vier Strophen mit sehr unterschiedlicher Länge, die insgesamt 41 Verse umfassen. Die Sprache des Gedichts ist einfach und klar, und die verwendeten Bilder sind anschaulich und humorvoll. Besonders die Beschreibung der Person als lebende Sonnenuhr trägt zur humorvollen und zugleich kritischen Atmosphäre des Gedichts bei. Eduard Mörike verwendet zudem eine archaische Form der Anrede („Herr Vetter“, „Er“), was vermuten lässt, dass das Gedicht ein Brief oder eine direkte Ansprache ist.

Weitere Informationen

Das Gedicht „An denselben“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Eduard Mörike. Mörike wurde im Jahr 1804 in Ludwigsburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1820 und 1875. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Biedermeier zugeordnet werden. Bei Mörike handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 201 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 41 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Der Dichter Eduard Mörike ist auch der Autor für Gedichte wie „Septembermorgen“, „Nimmersatte Liebe“ und „Lose Ware“. Zum Autor des Gedichtes „An denselben“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 171 Gedichte vor.

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