Chamounix beym Sonnenaufgange von Friederike Brun

Im Mai 1791

Aus tiefem Schatten des schweigenden Tannenhains
Erblick’ ich bebend dich, Scheitel der Ewigkeit,
Blendender Gipfel, von dessen Höhe
Ahndend mein Geist ins Unendliche schwebet!
 
Wer senkte den Pfeiler tief in der Erde Schooß,
Der, seit Jahrtausenden, fest deine Masse stützt?
Wer thürmte hoch in des Aethers Wölbung
Mächtig und kühn dein umstrahltes Antlitz?
 
Wer goß euch hoch aus des ewigen Winters Reich,
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O Zackenströme, mit Donnergetös’ herab?
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Und wer gebietet laut mit der Allmacht Stimme:
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“Hier sollen ruhen die starrenden Wogen!“
 
13 
Wer zeichnet dort dem Morgensterne die Bahn,
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Wer kränzt mit Blüthen des ewigen Frostes Saum?
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Wem tönt in schrecklichen Harmonieen,
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Wilder Arveiron, dein Wogengetümmel?
 
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Jehovah! Jehovah! kracht’s im berstenden Eis;
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Lavinendonner rollen’s die Kluft hinab;
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Jehovah! rauscht’s in den hellen Wipfeln,
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Flüstert’s an rieselnden Silberbächen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.7 KB)

Details zum Gedicht „Chamounix beym Sonnenaufgange“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
130
Entstehungsjahr
1791
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Chamounix beim Sonnenaufgang“ wurde von der Dänin Friederike Brun verfasst, welche vom 3. Juni 1765 bis zum 25. März 1835 lebte. Dies bedeutet, dass das Gedicht im Zeitrahmen der Romantik verfasst wurde, einer literarischen Epoche, die von 1795 bis 1848 andauerte.

In ihrem Werk betrachtet das lyrische Ich die majestätische Landschaft rund um den Mont Blanc (Chamounix ist der alte Name von Chamonix, einer Stadt am Fuße des Berges). Von einem dunklen Nadelwald aus erblickt die Sprecherin den blendenden Gipfel des Berges, der sie in Ehrfurcht erzittern lässt. Sie fragt, wer die Massen des Berges und die Zackenströme des ewigen Winters geschaffen hat. Dabei stellt sie eine Verbindung zwischen den natürlichen Phänomenen und einem göttlichen Schöpfer her. In der letzten Strophe werden ihre stummen Fragen durch die in der Natur widerhallende Antwort „Jehovah!“ beantwortet.

Hier sollen Harmonie und Erhabenheit der Natur als Zeichen der göttlichen Präsenz interpretiert werden. Die gewaltige, dynamische Szenerie wirkt auf das lyrische Ich sowohl erschütternd als auch inspirierend und es fühlt sich zur spirituellen Kontemplation angeregt.

Formal besteht das Gedicht aus fünf Vierzeilern, wobei jede der ersten vier Strophen eine Frage des lyrischen Ichs enthält und die letzte Strophe die Antwort liefert. Die Sprache des Gedichts ist formal und poetisch, mit einem Hang zur Hyperbel und verleiht damit der Landschaft ein Gefühl der Sublimität. Versmaß, Reimschema und sprachliche Mittel dienen der Verstärkung dieses Eindrucks. Die Wahl von „Jehovah“, dem hebräischen Namen Gottes, deutet auf einen monotheistischen Hintergrund der Autorin hin und hebt die Erhabenheit des Textes hervor.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bruns Werk ein typisches Beispiel für romantische Naturpoesie darstellt, in welcher die Betrachtung der Natur zu spirituellen Erkenntnissen führt. Ihre Darstellung des Mont Blanc als „Scheitel der Ewigkeit“ exemplifiziert die romantische Wertschätzung der unberührten Wildnis als Manifestation des Göttlichen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Chamounix beym Sonnenaufgange“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Friederike Brun. Geboren wurde Brun im Jahr 1765 in Gräfentonna. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1791 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Zürich. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her der Epoche Klassik zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 130 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 20 Versen. Die Dichterin Friederike Brun ist auch die Autorin für Gedichte wie „An eine Sängerin“, „An meine Freundinn Charlotte, Gräfin von Dernath, geborne Bernstorf“ und „An meinen Brun“. Zur Autorin des Gedichtes „Chamounix beym Sonnenaufgange“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 58 Gedichte vor.

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