Wenn der Sturm das Meer umschlinget von Clemens Brentano

Wenn der Sturm das Meer umschlinget,
Schwarze Locken ihn umhüllen,
Beut sich kämpfend seinem Willen
Die allmächt'ge Braut und ringet,
Küsset ihn mit wilden Wellen,
Blitze blicken seine Augen,
Donner seine Seufzer hauchen,
Und das Schifflein muß zerschellen.
 
Wenn die Liebe aus den Sternen
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Niederblicket auf die Erde,
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Und dein Liebstes Lieb begehrte,
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Muß dein Liebstes sich entfernen.
 
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Denn der Tod kömmt still gegangen,
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Küsset sie mit Geisterküssen,
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Ihre Augen dir sich schließen,
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Sind im Himmel aufgegangen.
 
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Rufe, daß die Felsen beben,
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Weine tausend bittre Zähren,
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Ach, sie wird dich nie erhören,
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Nimmermehr dir Antwort geben.
 
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Frühling darf nur leise hauchen,
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Stille Tränen niedertauen,
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Komme, willst dein Lieb du schauen,
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Blumen öffnen dir die Augen.
 
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In des Baumes dichten Rinden,
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In der Blumen Kelch versunken,
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Schlummern helle Lebensfunken,
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Werden bald den Wald entzünden.
 
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In uns selbst sind wir verloren,
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Bange Fesseln uns beengen,
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Schloß und Riegel muß zersprengen,
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Nur im Tode wird geboren.
 
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In der Nächte Finsternissen
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Muß der junge Tag ertrinken,
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Abend muß herniedersinken,
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Soll der Morgen dich begrüßen.
 
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Wer rufet in die stumme Nacht ?
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Wer kann mit Geistern sprechen?
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Wer steiget in den dunkeln Schacht,
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Des Lichtes Blum' zu brechen?
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Kein Licht scheint aus der tiefen Gruft,
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Kein Ton aus stillen Nächten ruft.
 
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An Ufers Ferne wallt ein Licht,
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Du möchtest jenseits landen;
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Doch fasse Mut, verzage nicht,
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Du mußt erst diesseits stranden.
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Schau still hinab, in Todes Schoß
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Blüht jedes Ziel, fällt dir dein Los.
 
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So breche dann, du tote Wand,
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Hinab mit allen Binden;
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Ein Zweig erblühe meiner Hand,
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Den Frieden zu verkünden.
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Ich will kein Einzelner mehr sein,
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Ich bin der Welt, die Welt ist mein.
 
55 
Vergangen sei vergangen,
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Und Zukunft ewig fern;
57 
In Gegenwart gefangen
58 
Verweilt die Liebe gern,
 
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Und reicht nach allen Seiten
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Die ew'gen Arme hin,
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Mein Dasein zu erweiten,
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Bis ich unendlich bin.
 
63 
So tausendfach gestaltet,
64 
Erblüh' ich überall,
65 
Und meine Tugend waltet
66 
Auf Berges Höh', im Tal.
 
67 
Mein Wort hallt von den Klippen,
68 
Mein Lied vom Himmel weht;
69 
Es flüstern tausend Lippen
70 
Im Haine mein Gebet.
 
71 
Ich habe allem Leben
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Mit jedem Abendrot
73 
Den Abschiedskuß gegeben,
74 
Und jeder Schlaf ist Tod.
 
75 
Es sinkt der Morgen nieder,
76 
Mit Fittichen so lind,
77 
Weckt mich die Liebe wieder,
78 
Ein neugeboren Kind.
 
79 
Und wenn ich einsam weine,
80 
Und wenn das Herz mir bricht,
81 
So sieh im Sonnenscheine
82 
Mein lächelnd Angesicht.
 
83 
Muß ich am Stabe wanken,
84 
Schwebt Winter um mein Haupt,
85 
Wird nie doch dem Gedanken
86 
Die Glut und Eil geraubt.
 
87 
Ich sinke ewig unter,
88 
Und steige ewig auf,
89 
Und blühe stets gesunder
90 
Aus Liebes-Schoß herauf.
 
91 
Das Leben nie verschwindet,
92 
Mit Liebesflamm' und Licht
93 
Hat Gott sich selbst entzündet
94 
In der Natur Gedicht.
 
95 
Das Licht hat mich durchdrungen,
96 
Und reißet mich hervor;
97 
Mit tausend Flammenzungen
98 
Glüh' ich zur Glut empor.
 
99 
So kann ich nimmer sterben,
100 
Kann nimmer mir entgehn;
101 
Denn um mich zu verderben,
102 
Müßt' Gott selbst untergehn.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.5 KB)

Details zum Gedicht „Wenn der Sturm das Meer umschlinget“

Anzahl Strophen
23
Anzahl Verse
102
Anzahl Wörter
473
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Wenn der Sturm das Meer umschlinget“ wurde von Clemens Brentano verfasst, einem bedeutenden Vertreter der deutschen Romantik, der von 1778 bis 1842 lebte. Die romantische Epoche in der deutschen Literatur erstreckt sich ungefähr von 1795 bis 1835 und ist gekennzeichnet durch eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Gefühlswelten, Natur, Kunst und dem Individuum.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht lebendig und dynamisch, getragen von starken Bildern und Emotionen. Es wechselt zwischen bedrohlichen, traurigen und hoffnungsvollen Stimmungen.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich verschiedene Aspekte des Daseins und der menschlichen Erfahrung. Zunächst schildert es einen Sturm auf See, ein Schiff, das bei dem Wetter zerschellt und offenbart damit die Macht und Gewalt der Natur. Der Vergleich des Sturmes mit einer Braut, die ringt und kämpft, lässt eine romantische Idealisierung der Naturgewalt erkennen.

Die zweite Strophe spricht von der Liebe, die von den Sternen auf die Erde blickt, und noch bevor sie erreicht werden kann, muss das Geliebte sich entfernen. Hier scheint der Tod als inevitable Wahrheit einzugreifen und bezeichnet das Sterben als Aufgang in den Himmel.

In den darauf folgenden Strophen wird durch die wechselnden Bilder klar, dass das lyrische Ich das Wesen des Lebens und den Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt thematisiert. Dabei deuten viele Metaphern und Vergleiche auf den pantheistischen Glauben des Dichters an eine göttliche Präsenz in der Natur hin.

Formal gesehen besteht das Gedicht aus 23 Strophen mit einer variierenden Anzahl von Versen, meist jedoch vier. Jede Strophe hat ihr eigenes Reimschema und behandelt ein eigenes Thema, doch alle Strophen sind durch den gemeinsamen Fokus auf Natur, Leben, Tod und Wiedergeburt miteinander verbunden.

In Bezug auf die Sprache ist das Gedicht geprägt von einer bildreichen und emotionalen Ausdrucksweise. Es besteht aus einer Mischung von festlichen, erhabenen und stark emotionalen Versen, die oft durch Naturmetaphern und -symbole verdeutlicht werden. Hierdurch schafft Brentano eine Atmosphäre von Erhabenheit und Ehrfurcht vor dem Leben und der Natur.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Brentano in diesem Gedicht die Kernthemen der Romantik wie Natur, Gefühle und die Idee der Transzendenz aufgreift und sich gleichzeitig mit existenziellen Fragen des Lebens, des Todes und des Seins auseinandersetzt. Dabei vertritt er einen pantheistischen Standpunkt und hebt die untrennbare Verbindung des Individuums mit der Welt und Gott hervor.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Wenn der Sturm das Meer umschlinget“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Clemens Brentano. Der Autor Clemens Brentano wurde 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1794 bis 1842 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von bedeutenden Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Wissenschaft und Technik, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. In der Romantik finden sich verschiedene charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind wichtige Motive. Auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unbeachtet. Die Stilepoche kennzeichnet sich vor allem durch offene Formen in Gedichten und Texten. Phantasie ist für die Schriftsteller der Romantik das Maß aller Dinge. Die Trennung zwischen Wissenschaft und Poesie, zwischen Wirklichkeit und Traum soll durchbrochen werden. Die Schriftsteller der Romantik streben eine Verschmelzung von Kunst und Literatur an. Ihr Ziel ist es letztlich, alle Lebensbereiche zu poetisieren.

Das 473 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 102 Versen mit insgesamt 23 Strophen. Clemens Brentano ist auch der Autor für Gedichte wie „Brautgesang“, „Abschied vom Rhein“ und „O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen“. Zum Autor des Gedichtes „Wenn der Sturm das Meer umschlinget“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 298 Gedichte vor.

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