Ich träumte hinab in das dunkle Tal von Clemens Brentano

Ich träumte hinab in das dunkle Tal
Auf engen Felsenstufen
Und hab' mein Liebchen ohne Zahl
Bald hier, bald da gerufen.
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
Mein lieber Hirt nun sage mir,
Hast du Treulieb gesehen,
Sie wollte zu den Lämmern hier,
Und dann zum Brunnen gehen,
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Treulieb in meinem Schoße saß
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Dort oben an den Klippen
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Und weil die Wangen ihr so blaß,
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So küßt' ich ihre Lippen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Ich blies die Flöte, ich flocht den Kranz
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Ich gieng ihr Blumen zu pflücken,
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Ich wollte sie zum Abendtanz,
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Als meine Buhle schmücken.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Da hört sie ein schallendes Jägerhorn
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Da tät sie die Öhrlein stellen
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Und schwang sich hinüber durch Distel und Dorn
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Und folgte dem Waldgesellen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Ich träumte hinab in den dunklen Wald
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Auf engen Felsenstufen
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Und habe mein Liebchen, daß es schallt
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Bald hier, bald da gerufen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Mein lieber Jäger nun sage mir
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Hast du mein Lieb gesehen,
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Sie wollte in das Waldrevier
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Zu Hirsch und Rehen gehen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Treulieb lag heut in meinem Arm
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Im Schatten kühler Eichen
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Wir herzten uns, es ward ihr warm,
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Sie gieng ins Bad zu steigen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Der Mühlbursch hell ein Liedlein pfiff
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Da tauchte Treulieb unter,
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Und tauchte auf, sprang in sein Schiff,
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Ohn' Hemd doch frisch und munter.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Ich träume hin an Mühlbachs Rand
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Auf engen Felsenstufen
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Und habe in schallender Klippenwand
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Mein Liebchen oft gerufen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Nun lieber Müller nun sage mir
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Hase du mein Lieb gesehen
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Ich gab ihr Korn sie wollte hier
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Bei dir zur Mühle gehen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Treulieb ist heut auf weichem Pfühl
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In meinem Arm entschlafen,
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Es klang die Schelle es klappte die Mühl',
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Das Auffüllen hab' ich verschlafen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Und als mich morgens die Reuter geweckt
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Die hier vorbei gezogen
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Hat sie der Trompeter in Mantel gesteckt
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Und mich um sie betrogen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Ich träumte hin auf der Reuter Zug
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In Staub erkannt' ich die Hufen
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Und wo das Herz mir lauter schlug
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Hab' Treulieb ich gerufen. Treulieb,
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Treulieb ist verloren!
 
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Mein lieber Reuter willst du mir
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Wo Liebchen ist wohl sagen,
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Ich weiß sie hat geholfen dir
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Dein Zeltlein aufzuschlagen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Treulieb bei mir im Zelte lag,
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Das Pulfer hat sie gerochen
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Die ganze Nacht, doch früh am Tag
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Da ist sie aufgebrochen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Es zog der Bettelstudent vorbei
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Und spielte auf der Leier
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Sie guckt hinaus, was es wohl sei
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Und folgt dem neuen Freier.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Ich träumte, ich folg' der Leier Klang
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Hinab viel Felsenstufen
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Und habe auf dem bittren Gang,
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Mein Liebchen noch oft gerufen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Mein lieber Schüler sage mir
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Hast du Treulieb gesehen
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Sie wollt', ich weis es wohl, bei dir
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Zur Singeschule gehen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Treulieb fraß mit mir auf einmal
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Wohl Bettelbrot zwei Pfunde
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Den Wein den sie dem Reuter stahl
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Trank ich aus ihrem Munde.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Doch als ich an der Schmiede stand
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Ums Abendbrot zu singen
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Viel größre Freude sie empfand
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An kräft'gem Hammerschwingen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Mein lieber Meister wohlgestalt
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Sprach sie zum ruß'gen Mohren
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Beschlag mich lieber warm als kalt
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Viel Eisen hab' ich verloren.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Ich träumt' zur Schmiede den schwarzen Gang
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Hinab so viele Stufen
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Und lauter als der Hammer klang
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Hab' ich Treulieb gerufen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Der Meister sprach sie hat der Knecht
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Der Knecht, sie hat der Bube
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Der Bube wies mich dann zurecht,
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Zu Todengräbers Stube.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
121 
Ich träumt' hinab ins Totental
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Wohl tausend dunkle Stufen
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Und hab' mein Lieb wohl tausendmal
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Mit bittrer Angst gerufen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
126 
Mein Todengräber nun sage mir
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Hast du mein Lieb gesehen
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Auf ihrer Mutter Grab allhier
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Wollt' sie die Blumen säen.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Treulieb lag bei mir manche Nacht
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Und sang mir freche Lieder
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Und wenn ich ein Fräulein zu Grab gebracht
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Da stahl sie ihr den Mieder.
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Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
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Sie stiehlt der Braut den Jungfernkanz
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Die schwarzen Todenschuhe
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Die zieht sie an und gieng zum Tanz,
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Und nimmt den Leichen die Ruhe.
140 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
141 
Und als sie nach goldnen Ringen sucht
142 
Und in den Sarg tät langen,
143 
Der tote Jude der tief verflucht
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Hat zärtlich sie umfangen.
145 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
146 
Wo ist des toten Juden Grab,
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Wo ruht der böse Bube
148 
Der Totengräber zur Antwort gab
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Geh nach der Schindergrube.
150 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
151 
Ich träumte zum dunklen Galgen hin
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Hinauf viel tausend Stufen
153 
Und hab' mein Lieb mit wildem Sinn
154 
Wie Raben und Geier gerufen.
155 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
156 
Nun toder Jude sage mir
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Hast du Treulieb gesehen,
158 
Sie wollte ganz allein zu dir
159 
Um dich zu taufen gehen.
160 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
161 
Sie lag bei mir zur zwölften Stund,
162 
Und hat mir's nicht gedanket
163 
Es heulte zum Mond des Schinders Hund
164 
Der Gehenkte im Galgen schwanket.
165 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
166 
Da läßt sie die edle vertrauliche Gruft
167 
Und stiehlt mir meine Geschmeider
168 
Und steigt herauf zu dem luftigen Schuft,
169 
Auf der dünnen Galgenleiter.
170 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
171 
Ich träumte hinauf ins leere Schloß
172 
Wohl auf der Leiter Stufen
173 
Und habe auf jeder Galgenspross'
174 
Nach meinem Lieb gerufen.
175 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
176 
Nun sag' mir mein gehenkter Schuft
177 
Hast du Treulieb gesehen,
178 
Sie schöpfte hier wohl frische Luft
179 
Und wollte um sich sehen.
180 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
181 
Sie hat mit mir im Mondenschein
182 
Ein Stündchen sich geschaukelt,
183 
Da hob sich Lärm und wildes Schrein
184 
Da kam es heran gegaukelt.
185 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
186 
Zuerst der Hexen Troß voran
187 
Auf Gabeln und auf Besen,
188 
Und dann der Meister Urian
189 
Der hat sie sich erlesen.
190 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
191 
Er faßt die Jungfer sich aufs Korn
192 
Mit angenehmen Sitten
193 
Sie faßt den Teufel bei dem Horn
194 
Zum Blocksberg sie dann ritten.
195 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
196 
Ich träumte hinauf die steile Höh'
197 
Auf engen Felsenstufen,
198 
Und hab' mit Ach und hab' mit Weh
199 
Nach meinem Liebchen gerufen.
200 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
201 
Nun lieber Teufel sage mir
202 
Hast du Treulieb gesehen
203 
Sie kam allein herauf zu dir,
204 
Dich kämpfend zu bestehen.
205 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
206 
Treulieb sie küßte mich unterm Schwanz,
207 
Ich war ihr wohlgewogen,
208 
Doch hat sie mir beim wilden Tanz
209 
Ein Ohr schier abgelogen.
210 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
211 
Geh nimm sie wieder da sitzet sie,
212 
Auf einem Katzendrecke,
213 
Bist du Treulieb ich laut aufschrie,
214 
Als ich das Luder entdecke.
215 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
216 
Mein lieb Treulieb, nun sage mir
217 
Hast du Treulieb gesehen
218 
Sie soll nun mir in dir allhier
219 
Wahrhaftiglich bestehen.
220 
Treulieb, Treulieb ist verloren!
 
221 
Treulieb, Treulieb sie sitzt allhie
222 
Auf mir dem falschen Schwure.
223 
Treulieb ist Dichterphantasie
224 
Und ich bin deine Hure.
225 
Treulieb, Treulieb ist verloren!

Details zum Gedicht „Ich träumte hinab in das dunkle Tal“

Anzahl Strophen
45
Anzahl Verse
225
Anzahl Wörter
1143
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Clemens Brentano, ein deutscher Schriftsteller der Romantik, geboren am 9. September 1778 und gestorben am 28. Juli 1842.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht melancholisch und traurig, im Verlauf wird das lyrische Ich aber immer wütender und verzweifelter. Das Hauptthema ist die Suche des lyrischen Ichs nach seinem verlorenen Lieb, Treulieb. Im Verlauf des Gedichts sieht sich das lyrische Ich einer Reihe von Männern gegenüber, darunter ein Hirte, ein Jäger, ein Müller, ein Reiter, ein Bettler, ein Schüler, ein Schmied, ein Totengräber, ein Jude, ein Henker, ein Teufel und zuletzt das verlorene Lieb selbst. Bei jedem fragt er verzweifelt nach Treulieb, aber keiner kann ihm Auskunft geben, und je länger die Suche dauert, desto ferner scheint er von Treulieb entfernt zu sein.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichts, besteht es aus 45 Strophen mit je fünf Versen. Der Reim ist durchgehend einfach, und oft ist der letzte Satz jeder Strophe gleich: „Treulieb, Treulieb ist verloren!“ Dies wiederholt und betont die hoffnungslose Suche des lyrischen Ichs. Die Sprache des Gedichts ist relativ einfach und direkte, was die Verzweiflung des lyrischen Ichs unterstreicht. Dabei variiert der Ort der Suche zwischen verschiedenen natürlichen und mystischen Orten, beginnend in einem dunklen Tal und endend auf einem Berg, wo das lyrische Ich schließlich sein Lieb wiederfindet, jedoch nur um von ihr zurückgewiesen zu werden. Insgesamt ist das Gedicht eine Darstellung der ziellosen und endlosen Suche des lyrischen Ichs nach seinem verlorenen Lieb, eingebettet in die Rahmenbedingungen der romantischen Poesie Brentanos.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Ich träumte hinab in das dunkle Tal“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Clemens Brentano. Der Autor Clemens Brentano wurde 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Zwischen den Jahren 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis tief in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte verschiedenste Auswirkungen auf Literatur, Musik, Philosophie und Kunst jener Zeit. Die Romantik kann in drei Phasen unterteilt werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Epoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Technologischer Fortschritt und Industrialisierung sind prägend für diese Zeit. Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Verklärung des Mittelalters (damalige Kunst und Architektur wurde nun wieder geschätzt), Rückzug in Fantasie- und Traumwelten, Betonung des Individuums und romantische Ironie sind typische Merkmale der Romantik. Die Themen der Romantik zeigen sich in verschiedenen Motiven und Symbolen. So gilt beispielsweise die Blaue Blume als das zentrale Motiv der romantischen Literatur. Sie symbolisiert Liebe und Sehnsucht und verbindet Natur, Mensch und Geist. Die Nacht hat ebenfalls eine besondere Bedeutung in der Literatur der Romantik. Sie ist der Schauplatz für viele weitere Motive dieser Epoche: Tod, Vergänglichkeit und nicht alltägliche, obskure Phänomene. Im ebenfalls in dieser Epoche zu findenden Spiegelmotiv zeigt sich die Hinwendung der Romantik zum Unheimlichen. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über die Form als auch über den Inhalt des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die festen Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken fällt auf.

Das 1143 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 225 Versen mit insgesamt 45 Strophen. Die Gedichte „Was reif in diesen Zeilen steht“, „Wenn der lahme Weber träumt, er webe“ und „Im Wetter auf der Heimfahrt“ sind weitere Werke des Autors Clemens Brentano. Zum Autor des Gedichtes „Ich träumte hinab in das dunkle Tal“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 298 Gedichte vor.

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