O Mutter halte dein Kindlein warm von Clemens Brentano

O Mutter halte dein Kindlein warm,
Die Welt ist kalt und helle,
Und trag es fromm in deinem Arm
An deines Herzens Schwelle.
 
Leg' still es, wo dein Busen bebt,
Und leis herab gebücket
Harr' liebvoll, bis es die Äuglein hebt,
Zum Himmel selig blicket.
 
Und weck' ich dich mit Tränen nicht,
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So weck' ich dich mit Küssen,
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Aus deinem Aug' mein Tag anbricht,
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Sonn, Mond dir weichen müssen,
 
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O du unschuld'ger Himmel du!
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Du lachst aus Kindesblicken,
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O Engelsehen, o sel'ge Ruh',
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In dich mich zu entzücken.
 
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Ich schau' zu dir so Tag als Nacht,
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Muß ewig zu dir schauen,
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Und wenn mein Himmel träumend lacht,
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Wächst Hoffnung und Vertrauen.
 
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Komm her, komm her, trink meine Brust,
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Leben von meinem Leben,
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O könnt' ich alle fromme Lust
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Aus meiner Brust dir geben.
 
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Nur Lust, nur Lust, und gar kein Weh,
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Ach du trinkst auch die Schmerzen,
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So stärke Gott in Himmelshöh'
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Dich Herz aus meinem Herzen.
 
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Vater unser, der du im Himmel bist,
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Unser täglich Brot gieb uns heute,
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Getreuer Gott, Herr Jesus Christ,
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Tränk' uns aus deiner Seite.
 
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Du strahlender Augenhimmel du
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Du taust aus Mutteraugen,
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Ach Herzenspochen, ach Lust, ach Ruh',
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An deinen Brüsten saugen.
 
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Ich schau' zu dir so Tag als Nacht
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Muß ewig zu dir schauen,
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Du mußt mir, die mich zur Welt gebracht,
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Auch nun die Wiege bauen.
 
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Um meine Wiege laß Seide nicht,
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Laß deinen Arm sich schlingen,
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Und nur deiner milden Augen Licht
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Laß zu mir niederdringen.
 
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Und in deines keuschen Schoßes Hut
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Sollst du deine Kindlein schaukeln,
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Daß deine Kinder so lieb, so gut,
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Wie Träume mich umgaukeln.
 
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Da träumt mir, wie ich so ganz allein
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Gewohnt dir unterm Herzen,
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Da waren die Freuden, die Leiden dein
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Mir Freuden auch und Schmerzen.
 
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Und ward dir dein Herz ja allzu groß
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Und hattest nicht, wem klagen,
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Und weintest du still in deinen Schoß,
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Half ich dein Herz dir tragen.
 
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Da rief ich, komm, lieb' Mutter komm!
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Kühl' dich in Liebeswogen,
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Da fühltest du dich so still, so fromm
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In dich hinabgezogen.
 
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So mutterselig ganz allein
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In deiner Lust berauschet,
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Hab' ich die klare Seele dein
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Du reines Herz belauschet.
 
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Was heilig in dir zu aller Stund'
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Das bin ich all gewesen,
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Nun küß mich süßer Mund gesund,
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Weil du an mir genesen.
 
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O selig, selig ohne Schuld,
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Wie konnt' ich mit dir beten,
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O wunderbare Ungeduld,
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Ans scharfe Licht zu treten.
 
73 
O Mutter halte dein Kindlein warm,
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Die Welt ist kalt und helle,
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Und trag es fromm, bist du zu arm,
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Hin an des Grabes Schwelle.
 
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Leg' es in Linnen, die du gewebt,
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Zu Blumen, die du gepflücket,
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Stirb mit, daß wenn es die Äuglein hebt,
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Im Himmel es dich erblicket.
 
81 
So lallt zu dir ein frommes Herz,
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Und nimmer lernt es sprechen,
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Blickt ewig zu dir, blickt himmelwärts
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Und will in Freuden brechen.
 
85 
Bricht's nicht in Freud', bricht's doch in Leid,
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Bricht es uns allen beiden.
87 
Ach Wiedersehen geht fern und weit,
88 
Und nahe geht das Scheiden!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.8 KB)

Details zum Gedicht „O Mutter halte dein Kindlein warm“

Anzahl Strophen
22
Anzahl Verse
88
Anzahl Wörter
496
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „O Mutter halte dein Kindlein warm“ stammt von Clemens Brentano, der von 1778 bis 1842 lebte und zählt zur literarischen Epoche der Romantik. Beim ersten Lesen fallen die Wiederholungen und die detaillierte Beschreibung der mütterlichen Liebe und Fürsorge auf. Außerdem ist der Gebrauch religiöser Sprache und das Erwähnen von Gott deutlich bemerkbar.

Das lyrische Ich, das gleichzeitig ein Kind ist, appelliert an die Mutter, es vor der kalten und hellen Welt zu schützen. Es sieht die Mutter als Quelle von Wärme und Schutz. Es wird der Wunsch ausgedrückt, immer auf sie zu schauen, Gefühle von Hoffnung und Vertrauen von ihr zu erhalten und durch sie genährt zu werden. Es heißt, die Mutter trage sowohl die Freuden als auch die Schmerzen des Kindes und in ihren Augen strahlt ein himmlischer Glanz. Es endet mit dem Wunsch, immer ihrer Güte und Wärme zu erleben, und drückt zugleich die Angst vor dem Scheiden aus.

In Bezug auf die Form des Gedichts besteht es aus 22 Strophen mit je vier Versen, was eine äußerst strikte Form aufweist. Es verwendet eine einfache Sprache und enthält viele wiederkehrende Wörter und Motive, wie „Herz“, „Blick“, „Äuglein“, „Mutter“, „Himmel“ und „Tränen“. Brentano verwendet personifizierte Metaphern, um den emotionalen Zustand des lyrischen Ichs zu beschreiben und die innige Beziehung zwischen Mutter und Kind zu illustrieren. Zudem wird die Mutter oft mit himmlischen und göttlichen Eigenschaften gleichgestellt, was ihre bedingungslose, allumfassende Liebe zum Ausdruck bringt.

Sprachlich wird vor allem die mutterliche Fürsorge hervorgehoben. Dabei wird die Mutter fast gottgleich gesetzt, was sich nicht nur in der immer wieder aufgegriffenen Himmels-Metapher zeigt, sondern auch in der direkten Einbeziehung von religiöser Sprache und dem „Vaterunser„-Gebet. Es wird eine idyllische und fast paradiesische Atmosphäre geschaffen, in der die Mutter über allem steht und stets als Versorger und Schützerin agiert. Gleichzeitig wird aber auch die Vergänglichkeit und die Unvermeidlichkeit des Abschieds und des Todes thematisiert. Das lyrische Ich hängt so stark an der Liebe und Sorge der Mutter, dass es sogar sagt, sie solle mit ihm sterben, um dann gemeinsam in den Himmel aufzusteigen. Die Mutter-Kind-Beziehung wird hier mit einer Intensität dargestellt, die im Kontext der Romantik auch als Symbol für das Streben nach Unendlichkeit und Absolute gesehen werden kann.

Weitere Informationen

Das Gedicht „O Mutter halte dein Kindlein warm“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Clemens Brentano. Geboren wurde Brentano im Jahr 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz). Zwischen den Jahren 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Der Romantik vorausgegangen waren die Epochen der Weimarer Klassik und der Aufklärung. Die Literaturepoche der Romantik ist zeitlich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein einzuordnen. Besonders auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik hatte diese Epoche Auswirkungen. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führte die Industrialisierung. Die neue Maschinenwelt förderte Verstädterung und Landflucht. Die zuvor empfundene Geborgenheit war für die Lyriker der Romantik in Auflösung begriffen. In der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Übel und Missstände dieser Zeit bleiben unberücksichtigt und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Des Weiteren sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die grundsätzlichen Themen waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde ausgedrückt. Die äußere Form von romantischer Literatur ist dabei völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 88 Versen mit insgesamt 22 Strophen und umfasst dabei 496 Worte. Clemens Brentano ist auch der Autor für Gedichte wie „O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen“, „Was reif in diesen Zeilen steht“ und „Wenn der lahme Weber träumt, er webe“. Zum Autor des Gedichtes „O Mutter halte dein Kindlein warm“ haben wir auf abi-pur.de weitere 298 Gedichte veröffentlicht.

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