Die Gottesmauer von Clemens Brentano
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Draus vor Schleswig an der Pforte |
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Wohnen armer Leute viel. |
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Ach! des Feindes wilder Horde |
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Werden sie das erste Ziel. |
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Waffenstillstand ist gekündet; |
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Dänen ziehen aus zur Nacht; |
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Russen, Schweden sind verbündet, |
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Brechen ein mit wilder Macht. |
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Draus vor Schleswig, weit vor allen |
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Liegt ein Hüttlein ausgesetzt. |
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Draus vor Schleswig in der Hütte |
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Singt ein frommes Mütterlein: |
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»Herr, in deinen Schoß ich schütte |
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Alle meine Sorg' und Pein!« |
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Doch ihr Enkel, ohn' Vertrauen, |
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Zwanzigjährig, neuster Zeit, |
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Hat, den Bräutigam zu schauen, |
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Seine Lampe nicht bereit. |
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Draus vor Schleswig in der Hütte |
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Singt das fromme Mütterlein. |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Singt das fromme Mütterlein: |
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»Daß dem Feinde vor uns graue, |
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Nimm in deine Burg uns ein!« |
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»Mutter«, spricht der Weltgesinnte, |
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»Eine Mauer uns ums Haus |
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Kriegt fürwahr nicht so geschwinde |
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Euer lieber Gott heraus!« |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Singt das fromme Mütterlein. |
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»Enkel, fest ist mein Vertrauen, |
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Wenn's dem lieben Gott gefällt, |
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Kann Er uns die Mauer bauen, |
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Was Er will, ist wohl bestellt.« |
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Trommeln rumdidum rings prasseln; |
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Die Trompeten schmettern drein; |
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Rosse wiehern, Wagen rasseln; |
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Ach, nun bricht der Feind herein! |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Singt das fromme Mütterlein. |
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Rings in alle Hütten brechen |
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Schwed' und Russe mit Geschrei, |
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Fluchen, lärmen, toben, zechen, |
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Doch dies Haus gehn sie vorbei. |
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Und der Enkel spricht in Sorgen: |
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»Mutter, uns verrät das Lied!« |
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Aber sieh! das Heer von Morgen |
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Bis zur Nacht vorüberzieht. |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Singt das fromme Mütterlein. |
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Und am Abend tobt der Winter, |
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Um die Fenster stürmt der Nord. |
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»Schließt die Laden, liebe Kinder!« |
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Spricht die Alte, und singt fort. |
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Aber mit den Flocken fliegen |
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Nur Kosakenpulke 'ran; |
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Rings in allen Hütten liegen |
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Sechszig, auch wohl achtzig Mann. |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Singt das fromme Mütterlein. |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Singt sie fort die ganze Nacht. |
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Morgens wird es still: »O schaue, |
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Enkel, was der Nachbar macht!« |
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Auf nach innen geht die Türe; |
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Nimmer käm' er sonst heraus: |
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Daß er Gottes Allmacht spüre, |
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Liegt der Schnee wohl haushoch draus. |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Sang das fromme Mütterlein. |
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»Ja! der Herr kann Mauern bauen! |
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Liebe, gute Mutter, komm, |
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Gottes Wunder anzuschauen!« |
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Spricht der Enkel und ward fromm. |
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Achtzehnhundertvierzehn war es, |
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Als der Herr die Mauer baut'; |
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In der fünften Nacht des Jahres |
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Hat's dem Feind davor gegraut. |
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»Eine Mauer um uns baue!« |
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Sang das fromme Mütterlein. |
Details zum Gedicht „Die Gottesmauer“
Clemens Brentano
15
80
393
1778 - 1842
Romantik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Gottesmauer“ wurde von Clemens Brentano (* 9. September 1778, † 28. Juli 1842) geschrieben, einem deutschen Schriftsteller und Lyriker, der der romantischen Bewegung des 19. Jahrhunderts angehörte. In seiner Zeit war Brentano für seine religiös geprägten Gedichte bekannt, und dieses Gedicht scheint keine Ausnahme zu sein.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine Reihe von Bildern zu malen, die eine Geschichte von Verzweiflung und Hoffnung erzählen. Das lyrische Ich scheint Teil einer Gemeinschaft von armen Menschen zu sein, die in einer unruhigen Zeit leben, bedroht von Völkern verschiedener Nationen. Unter diesen Umständen betet das lyrische Ich, dargestellt durch eine fromme Mutter, inständig zu Gott um Schutz, während ihr Enkel an ihrem Glauben zweifelt.
Zusammenfassend könnte man sagen, dass das Gedicht eine Geschichte von Glauben und Unglauben, Bedrohung und Erlösung erzählt. In schweren Zeiten wendet sich die Mutter voller Vertrauen an Gott und bittet ihn, sie vor den Bedrohungen der Welt zu schützen. Trotz des Spotts und der Skepsis ihres Enkels bleibt sie standhaft in ihrem Glauben und am Ende wird ihre Beharrlichkeit und ihr Glaube belohnt.
Die Form des Gedichts, das in klassische Strophenform geschrieben ist, birgt in seinen Wiederholungen eine bestimmte Dramaturgie. Der Refrain des frommen Mütterleins „Eine Mauer um uns baue!“, ist gleichzeitig ein Gebet und eine Metapher für den göttlichen Schutz, den sie sucht. Die Sprache des Gedichts ist einfach und unverfälscht, was der religiösen Hingabe des frommen Mütterleins entspricht. Dabei ist das Vokabular, das die Kriegssituation beschreibt, eindringlich. Die Wiederholung des Bittgebets und die konkrete Beschreibung der Bedrohung bewirken eine steigende Dramatik.
Das ausdrucksstarke Gedicht kombiniert somit religiöse Themen mit der sinnlichen und oft brutalen Realität einer von Krieg bedrohten Gesellschaft. Trotz der düsteren Aussichten hält das fromme Mütterlein unerschütterlich an ihrem Glauben fest und am Ende wird sie für ihren Glauben belohnt. Dieses Gedicht ist ein starkes Zeugnis für die Macht des Glaubens und des Vertrauens, selbst in Zeiten großer Schwierigkeiten. Es ist eine Erinnerung daran, dass selbst in Zeiten größter Unsicherheit der Glaube und das Vertrauen in eine höhere Macht Halt und Hoffnung geben können.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Die Gottesmauer“ ist Clemens Brentano. 1778 wurde Brentano in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Im Zeitraum zwischen 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Brentano handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.
Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis spät in das 19. Jahrhundert hinein andauerte. Insbesondere in den Bereichen der Literatur, Musik oder der bildenden Kunst hatte diese Epoche umfangreiche Auswirkungen. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Epoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. Im gesamten Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichzeitig bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Technologischer Fortschritt und Industrialisierung sind prägend für diese Zeit. Die zentralen Motive der Romantik sind das Schaurige, Unterbewusste, Fantastische, Leidenschaftliche, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollen und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richten. Die Romantiker sehnen sich nach der Einheit von Natur und Geist. Ein Hinwenden zum Mittelalter ist erkennbar. So werden Kunst und Architektur dieser vergangenen Zeit geschätzt. Die Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unerwähnt. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über den Inhalt als auch über die Form des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die festen Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken fällt auf.
Das vorliegende Gedicht umfasst 393 Wörter. Es baut sich aus 15 Strophen auf und besteht aus 80 Versen. Die Gedichte „Brautgesang“, „Abschied vom Rhein“ und „O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen“ sind weitere Werke des Autors Clemens Brentano. Zum Autor des Gedichtes „Die Gottesmauer“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 298 Gedichte vor.
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