Bordell von Joachim Ringelnatz
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Ich sag’ es ja, Mutter: du hast für dich recht, |
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Diese Weiber sind durch und durch schlecht |
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Und gänzlich verseucht und völlig verkommen. |
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Du hast das von deinen lieben |
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Eltern und aus Büchern entnommen, |
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Darin die Wahrheit umschrieben |
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Ist, weil man sie richtig und scharf |
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Nicht leicht einsehen kann, noch sie drucken darf. |
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2. |
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Du tu nur nicht so, guter Vater! Ich weiß |
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Aus Briefen und sonsther sowas über viele |
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Nächte und seltsame Gruppenspiele. |
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Und tausend pro Mädel war damals ein Preis! |
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Ich bin doch kein Kind mehr. Ich meine auch nur: |
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Zehntausend Mark sind schließlich kein Quark. |
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Komm! trinken wir auf die Tante Bur |
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Und auf einen König von Dänemark. |
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3. |
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Aber, liebe Schwester! Ei ei! |
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Geh, so du magst, wie an Klosetten vorbei. |
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Reizt es dich dennoch, hinzusehen, |
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Warum muß das dann spöttisch geschehen? |
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Denke: Was reizte dich wohl, hinzusehen? |
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Wüßtest du, wie sie dich laut beneiden, |
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Wie sie, getretene Tiere, dort leiden |
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In dem Gefängnis der Allzufrein, |
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Würdest du trotz der Geschmeide und Seiden, |
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Des offenen Scheins, der blendenden Beine, |
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Trotz der Erfolge ihnen nicht nur verzeihn. |
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Sollst sie weder beachten noch meiden; |
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Laß sie einfach in Ruh. |
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Sie sind gemeine, befleckte Schweine. |
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Nicht so vornehm und rein und welterfahren wie du. |
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Wie bitte? – Ja, Herr, Sie sind hier ganz richtig. |
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Sie scheinen recht stark und sehr sektfroh zu sein, |
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Und wenn Sie viel Geld haben – das wäre wichtig – |
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Fallen – äh kommen Sie dreist herein. |
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Hier können von dreizehn angefangen |
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Sie Damen jeden Alters verlangen |
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Nebst allen raffinierten Geräten |
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Für Rari-, Abnormi- und Perversitäten. |
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Sie müssen die Kühe nur richtig fassen. |
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Sollten Sie etwas Geschmack besitzen, |
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Ja nicht das merken lassen. |
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Aber mit Ihren Brillanten recht blitzen. |
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Viel Trinkgeld dem Pförtner! Das macht sie vertraun. |
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Viel Sekt und auch Schnäpse! Das macht sie berauscht. |
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Dann dürfen Sie sie bestehlen, verhaun, – |
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Oder wenn ihr die Rollen vertauscht – – – |
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Mehr zu reden, hätte nicht Sinn, |
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Er ist ja schon drin. |
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– Duddeldei oder Daddeldu, |
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So ein echter Vollblutmatrose, |
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Zweimal so breit und so stark wie du. |
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Und sie hat ihm die Klappe von seiner Hose |
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Einfach heruntergefetzt. |
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Und dann ist die dicke Therese gekommen |
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Und hat ihm den Bambuskorb weggenommen |
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Und die Schildkröte in den Nachttopf gesetzt. – – |
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Mein alter Freund, ich kann dir sagen: |
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So habe ich lange nicht gelacht. – |
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Und die Alte hat ihn mit ihren Brüsten |
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Links und rechts um die Ohren geschlagen; |
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Aber der Kerl ist nicht aufgewacht. – |
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Übrigens nimm dich vor der in acht, |
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Die hat solch komischen Ausschlag am Knie. – |
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Und dann – was wollt ich erzählen? Ach ja: |
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Ha ha ha ha! |
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Dann waren zwei stumme Chinesen da, |
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Die haben die freche schwarze Marie – |
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Ha ha ha ha! Ha ha ha ha! |
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6. |
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Mein Sohn, für diesmal sei dir verziehn. |
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Pfui, solche Gedanken sind schändlich. |
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Es gibt doch Schöneres anzusehn |
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Als diese Freudenhaus-Photographien. |
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Schäme dich! Und nun kannst du gehn. |
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Die Bilder verbrenne ich. Selbstverständlich. |
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Ich bin gewiß kein kleinlicher Spießer, |
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Doch wenn ich dich jemals in einem dieser |
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Häuser treffe und Unzucht treibst, |
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Dann schlage ich dich, daß du liegen bleibst. |
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... wo wir fremd sind, oder verkleidet als Mann. – |
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Daß ich dir, meiner Frau, dergleichen |
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Sagen und wagen kann, |
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Ist das nicht ein berauschendes Zeichen |
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Für die Art unsres Liebdich-Liebmich? – |
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Staune dort nicht! Beobachte still. |
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Sei recht gemütlich fidel. Aber gib dich |
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Nicht etwa wie eine, die gleich oder mehr sein will. |
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Erst wird dich alles nur widerlich, |
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Natürlich auch billig traurig berühren. |
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Das Sauberste ekelt und flegelt sich, |
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Vergißt sich und rekelt sich liederlich. |
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So fechten sie ums Verführen. |
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Bei eines verwöhnten Bettlers Musik |
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Kennt jeder Blick den anderen Blick |
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Als Trick hinter Trick; |
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Tanzt lustig froh ein Riesenpopo; |
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Starrt auf dem Sofa ein Püppchen; |
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Entgleist ein Lied aus behaglichem Leid; |
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Trinkt man; berstet ein Grüppchen, |
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Aus Eifersucht oder Neid |
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Zankend um ein begossenes Kleid. |
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Sei gefaßt auf klirrenden Streit. |
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Plötzlich ein heiserer Schrei. |
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Warnend zischelt es nebenbei, |
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Die Postin gegen die Polizei. |
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Ein hastiges Räumen. – Spannung. – Vorbei. – |
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Und durch den Salon streift nach alter Routine |
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Dick und mit heiserer Miene |
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Aber unantastbar und stramm |
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Aus und ein vermittelnd: Madame. |
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Und die aus dem hitzigen Dunst |
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Paarweise einig verschwinden; |
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Er wird oben menschlicher finden |
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Außer dem Handwerkszeug ihrer Kunst: |
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Ein bissel heimliche Habseligkeit, |
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Ein Flickchen Reue, ein Ringlein Treue, |
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Viel Aberglauben, auch zackige Ehre |
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Und frisch Umkränztes aus ehrsamer Zeit. |
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Fändest du hinter der träumenden Leere |
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Unter der parfümierten Misere: |
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Harrende Verworrenheit |
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Schamlos offen ergeben. – |
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Wie draußen auf einem Schiff auf dem Meere |
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Dreizehn Matrosen unter sich leben. |
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8. |
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Guten Morgen, mein Schätzchen, |
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Leb wohl! Du bist wie ein Kätzchen |
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So schmiegsam und samtig. |
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Was? Du willst heute kein Geld? |
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Was dir doch einfällt! |
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Tust du’s denn etwa ehrenamtlich? |
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Vielleicht für das Kartenlegen? |
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Sage doch, Liebling, weswegen |
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Willst du kein Geld heute? Nimm es doch hin! |
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Weil ich ein armer Künstler bin? |
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Freilich, wir sind Kollegen. |
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Das nächstemal leg ich dir wieder die Karten. |
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Nun muß ich fort. Meine Frau wird warten. |
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Du weißt doch, daß ich verheiratet bin? |
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Du aber bleibst meine süße kleine |
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Freundin. Und Beine hast du! Beine |
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Wie eine Königin. |
Details zum Gedicht „Bordell“
Joachim Ringelnatz
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837
1928
Moderne,
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Bordell“ des Autors Joachim Ringelnatz. Ringelnatz wurde im Jahr 1883 in Wurzen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1928 zurück. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 837 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 148 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Weitere Werke des Dichters Joachim Ringelnatz sind „Abermals in Zwickau“, „Abgesehen von der Profitlüge“ und „Abglanz“. Zum Autor des Gedichtes „Bordell“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.
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