Anklänge von Joseph von Eichendorff

1
Vöglein in den sonn'gen Tagen!
Lüfte blau, die mich verfahren!
Könnt ich bunte Flügel rühren,
Über Berg und Wald sie schlagen!
 
Ach! es spricht des Frühlings Schöne,
Und die Vögel alle singen:
Sind die Farben denn nicht Töne,
Und die Töne bunte Schwingen?
 
10 
Vöglein, ja, ich laß das Zagen!
11 
Winde sanft die Segel rühren,
12 
Und ich lasse mich entführen,
13 
Ach! wohin? mag ich nicht fragen.
 
14 
2
15 
Ach! wie ist es doch gekommen,
16 
Daß die ferne Waldespracht
17 
So mein ganzes Herz genommen,
18 
Mich um alle Ruh gebracht!
 
19 
Wenn von drüben Lieder wehen,
20 
Waldhorn gar nicht enden will,
21 
Weiß ich nicht, wie mir geschehen,
22 
Und im Herzen bet ich still.
 
23 
Könnt ich zu den Wäldern flüchten
24 
Mit dem Grün in frischer Lust
25 
Mich zum Himmelsglanz aufrichten
26 
Stark und frei wär da die Brust!
 
27 
Hörnerklang und Lieder kämen
28 
Nicht so schmerzlich an mein Herz,
29 
Fröhlich wollt ich Abschied nehmen,
30 
Zög auf ewig wälderwärts.
 
31 
Intermezzo
 
32 
Wie so leichte läßt sich's leben!
33 
Blond und rot und etwas feist,
34 
Tue wie die andern eben
35 
Daß dich jeder Bruder heißt,
36 
Speise, was die Zeiten geben,
37 
Bis die Zeit auch dich verspeist!
 
38 
3
 
39 
Wenn die Klänge nahn und fliehen
40 
In den Wogen süßer Lust,
41 
Ach! nach tiefern Melodien
42 
Sehnt sich einsam oft die Brust.
 
43 
Wenn auf Bergen blüht die Frühe,
44 
Wieder buntbewegt die Straßen,
45 
Freut sich alles, wie es glühe,
46 
Himmelwärts die Erde blühe:
47 
Einer doch muß tief erblassen,
48 
Goldne Träume, Sternenlust
49 
Wollten ewig ihn nicht lassen
50 
Sehnt sich einsam oft die Brust.
 
51 
Und aus solcher Schmerzen Schwellen,
52 
Was so lange dürstend rang,
53 
Will ans Licht nun rastlos quellen,
54 
Stürzend mit den Wasserfällen,
55 
Himmelstäubend, jubelnd, bang,
56 
Nach der Ferne sanft zu ziehen,
57 
Wo so himmlisch Rufen sang,
58 
Ach! nach tiefern Melodien.
 
59 
Blüten licht nun Blüten drängen,
60 
Daß er möcht vor Glanz erblinden;
61 
In den dunklen Zaubergängen,
62 
Von den eigenen Gesängen
63 
Hold gelockt, kann er nicht finden
64 
Aus dem Labyrinth der Brust.
65 
Alles, alles will's verkünden
66 
In den Wogen süßer Lust.
 
67 
Doch durch dieses Rauschen wieder
68 
Hört er heimlich Stimmen ziehen,
69 
Wie ein Fall verlorner Lieder
70 
Und er schaut betroffen nieder:
71 
»Wenn die Klänge nahn und fliehen
72 
In den Wogen süßer Lust,
73 
Ach! nach tiefern Melodien
74 
Sehnt sich einsam oft die Brust!«
 
75 
4
76 
Ewigs Träumen von den Fernen!
77 
Endlich ist das Herz erwacht
78 
Unter Blumen, Klang und Sternen
79 
In der dunkelgrünen Nacht.
 
80 
Schlummernd unter blauen Wellen
81 
Ruht der Knabe unbewußt,
82 
Engel ziehen durch die Brust;
83 
Oben hört er in den Wellen
84 
Ein unendlich Wort zerrinnen,
85 
Und das Herze weint und lacht,
86 
Doch er kann sich nicht besinnen
87 
In der dunkelgrünen Nacht.
 
88 
Frühling will das Blau befreien.
89 
Aus der Grüne, aus dem Schein
90 
Ruft es lockend: Ewig dein
91 
Aus der Minne Zaubereien
92 
Muß er sehnen sich nach Fernen,
93 
Denkend alter Wunderpracht,
94 
Unter Blumen, Klang und Sternen
95 
In der dunkelgrünen Nacht.
 
96 
Heil'ger Kampf nach langem Säumen,
97 
Wenn süßschauernd an das Licht
98 
Lieb in dunkle Klagen bricht!
99 
Aus der Schmerzen Sturz und Schäumen
100 
Steigt Geliebte, Himmel, Fernen
101 
Endlich ist das Herz erwacht
102 
Unter Blumen, Klang und Sternen
103 
In der dunkelgrünen Nacht.
 
104 
Und der Streit muß sich versöhnen,
105 
Und die Wonne und den Schmerz
106 
Muß er ewig himmelwärts
107 
Schlagen nun in vollen Tönen:
108 
Ewigs Träumen von den Fernen!
109 
Endlich ist das Herz erwacht
110 
Unter Blumen, Klang und Sternen
111 
In der dunkelgrünen Nacht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.6 KB)

Details zum Gedicht „Anklänge“

Anzahl Strophen
20
Anzahl Verse
111
Anzahl Wörter
536
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Joseph von Eichendorff, einer der bedeutendsten Lyriker der deutschen Romantik, geboren am 10. März 1788 und gestorben am 26. November 1857. Das Gedicht „Anklänge“ stammt vermutlich aus der Zeit des frühen 19. Jahrhunderts und ist eine exemplarische Vertretung der romantischen Lyrik dieser Zeit.

Zunächst fällt auf, dass das Gedicht sehr lang und in zahlreiche Strophen mit variierender Versanzahl unterteilt ist. Auch die Verse sind nummeriert, was auf eine sehr strukturierte Herangehensweise des Autors hinweist.

Inhaltlich schildert das lyrische Ich seine tiefe Sehnsucht nach einer Verbindung mit der Natur und einem freien, ungebundenen Leben voller Schönheit und Harmonie. Es spricht von Vögeln und dem Wunsch, fliegen zu können, von Frühlingsfarben und -klängen, vom Wald und Musik, von Freiheit und Sehnsucht. Dem gegenüber steht die Realität in der Gesellschaft, die als beschränkend und bedrückend dargestellt wird, was in der neunten Strophe besonders deutlich wird. Eichendorff inszeniert dies als einen Kontrast zwischen dem idealisierten Traum von Freiheit und der Wirklichkeit als Gefangenschaft.

Sprachlich und formal ist das Gedicht sehr melodisch und rhythmisch, was den Eindruck erweckt, als würde es das lyrische Ich zu einer Melodie singen. Die Strophenlängen variieren, was auf einen freien Vers schließen lässt, einem charakteristischen Merkmal der romantischen Dichtung. Die Sprache Eichendorffs zeichnet sich durch eine Fülle von Naturbildern und -metaphern aus, wodurch die enge Verbindung zwischen innen und außen, zwischen den Gefühlen des lyrischen Ichs und seiner Wahrnehmung der Natur, seiner Sehnsucht und Seelenlandschaft verdeutlicht wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Anklänge“ ein typisches Beispiel für die romantische Gedichtform ist, in der Naturbilder, Sehnsüchte, Musik und Rhythmus zu einer harmonischen Einheit verschmelzen, die den Seelenzustand des lyrischen Ichs spiegelt. Die Sprache ist reich an Metaphern und Symbolen, und auch die Form des freien Verses mit wechselnden Strophenlängen unterstreicht den emotionalen Inhalt des Gedichts.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Anklänge“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Joseph von Eichendorff. Eichendorff wurde im Jahr 1788 geboren. In der Zeit von 1804 bis 1857 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Aber auch die Gebiete Geschichte, Theologie und Philosophie sowie Medizin und Naturwissenschaften waren von ihren Auswirkungen betroffen. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. In der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Missstände dieser Zeit bleiben außen vor und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist gerade die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Außerdem sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die Grundthemen waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde manifestiert. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das vorliegende Gedicht umfasst 536 Wörter. Es baut sich aus 20 Strophen auf und besteht aus 111 Versen. Die Gedichte „Auch ein Gedicht?“, „Der Isegrimm“ und „Der verliebte Reisende“ sind weitere Werke des Autors Joseph von Eichendorff. Zum Autor des Gedichtes „Anklänge“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 395 Gedichte vor.

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