Morgenlied von Joseph von Eichendorff

Ein Stern still nach dem andern fällt
Tief in des Himmels Kluft
Schon zucken Strahlen durch die Welt,
Ich wittre Morgenluft.
 
In Qualmen steigt und sinkt das Tal;
Verödet noch vom Fest
Liegt still der weite Freudensaal,
Und tot noch alle Gäst.
 
Da hebt die Sonne aus dem Meer
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Eratmend ihren Lauf;
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Zur Erde geht, was feucht und schwer,
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Was klar, zu ihr hinauf.
 
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Hebt grüner Wälder Trieb und Macht
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Neurauschend in die Luft,
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Zieht hinten Städte, eitel Pracht,
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Blau Berge durch den Duft.
 
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Spannt aus die grünen Tepp'che weich,
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Von Strömen hell durchrankt,
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Und schallend glänzt das frische Reich,
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So weit das Auge langt.
 
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Der Mensch nun aus der tiefen Welt
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Der Träume tritt heraus,
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Freut sich, daß alles noch so hält,
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Daß noch das Spiel nicht aus.
 
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Und nun geht's an ein Fleißigsein!
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Umsumsend Berg und Tal
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Agieret lustig groß und klein
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Den Plunder allzumal.
 
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Die Sonne steiget einsam auf,
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Ernst über Lust und Weh
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Lenkt sie den ungestörten Lauf
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Zu stiller Glorie.
 
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Und wie er dehnt die Flügel aus,
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Und wie er auch sich stellt,
35 
Der Mensch kann nimmermehr hinaus
36 
Aus dieser Narrenwelt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.4 KB)

Details zum Gedicht „Morgenlied“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
186
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Morgenlied“ stammt von Joseph von Eichendorff, einem prominenten Dichter der deutschen Romantik, der zwischen 1788 und 1857 lebte. Aufgrund seiner Zeit des Schaffens, könnte das Gedicht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sein, eine Zeit, in welcher die Romantik und die darin oft thematisierten Naturmotive besonders beliebt waren.

Das Gedicht vermittelt beim ersten Lesen einen sanften, friedlichen Eindruck. Die bildhafte Beschreibung der aufgehenden Sonne und der erwachenden Natur lässt ein Gefühl der Ruhe und Serenität entstehen. Die einzelnen Strophen des Gedichts führen den Leser vom dunklen Nachthimmel über ein Tal, durch grüne Wälder und zu den Menschen, bevor es wieder zur Sonne zurückkehrt, die über allem steht.

Im Wesentlichen scheint es darum zu gehen, den Übergang von der Nacht zum Tag und das Erwachen der Welt zu beschreiben. Das lyrische Ich scheint eine Außensicht einzunehmen und kommentiert dabei die Natur und das menschliche Handeln. Besonders auffällig ist die im letzten Vers geäußerte Ansicht, dass der Mensch nie aus „dieser Narrenwelt“ herauskommen kann.

Das Gedicht besteht aus neun vierzeiligen Strophen, die kein klares Reimschema erkennen lassen. Der Rhythmus ist eher frei und unsystematisch, was zu einer natürlichen, fließenden Wahrnehmung beim Lesen führt. Die Sprache, die Eichendorff nutzt, ist bildhaft und metaphernreich, was typisch für die Romantik und ihren Fokus auf Gefühle und sensorische Erfahrungen ist. Vor allem Natur und Landschaften werden als aktiv und lebendig beschrieben, womit ein romantisches Bild der Harmonie zwischen Mensch und Natur geschaffen wird.

In Eichendorffs „Morgenlied“ wird auch die typisch romantische Auseinandersetzung mit der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens offenbar. Der Mensch kann „niemals hinaus“ aus der „Narrenwelt“, was anzeigt, dass er gefangen ist in einem Kreislauf von ständiger Veränderung und vergänglicher Freude. In der letzten Strophe scheint die Sonne als eine Art höheres Wesen dargestellt zu werden, das über dem menschlichen Treiben steht und unbeeindruckt ihren Lauf fortsetzt. Es scheinen hier die romantischen Motive der Sehnsucht und der Unantastbarkeit der Natur durch den Menschen auf.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Morgenlied“ des Autors Joseph von Eichendorff. Geboren wurde Eichendorff im Jahr 1788 . Das Gedicht ist in der Zeit von 1804 bis 1857 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Der Schriftsteller Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein dauerte die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik an. Ihre Auswirkungen waren in der Literatur, der Kunst aber auch der Musik und Philosophie spürbar. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Romantikern zuwider. Sie stellten sich in ihren Werken gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Verklärung des Mittelalters (damalige Kunst und Architektur wurde nun wieder geschätzt), Rückzug in Fantasie- und Traumwelten, Betonung des Individuums und romantische Ironie sind typische Merkmale der Romantik. Die Themen der Romantik zeigen sich in verschiedenen Motiven und Symbolen. So gilt beispielsweise die Blaue Blume als das zentrale Motiv der Romantik. Sie symbolisiert Liebe und Sehnsucht und verbindet Natur, Mensch und Geist. Die Nacht hat ebenfalls eine besondere Bedeutung in der Literatur der Romantik. Sie ist der Schauplatz für viele weitere Motive dieser Epoche: Tod, Vergänglichkeit und nicht alltägliche, obskure Phänomene. Im ebenfalls in dieser Epoche zu findenden Spiegelmotiv zeigt sich die Hinwendung der Romantik zum Unheimlichen. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über den Inhalt als auch über die Form des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die festen Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken fällt auf.

Das vorliegende Gedicht umfasst 186 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joseph von Eichendorff sind „Der Isegrimm“, „Der verliebte Reisende“ und „Die Heimat“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Morgenlied“ weitere 395 Gedichte vor.

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