Blondel vor Trifels von Heinrich Kämpchen
1 |
„Wer hält den Aar gefangen, |
2 |
Der sonst so frei und hoch |
3 |
Mit seinen starken Schwingen |
4 |
Zu Gottes Himmel flog? – |
|
|
5 |
Wer schlug den Leu’n in Ketten? |
6 |
Sein donnerndes Gebrüll, |
7 |
Es schreckt nicht mehr die Wölfe, |
8 |
Er blieb zu lange still. – |
|
|
9 |
Von Englands grünem Strande |
10 |
Erhob der Aar den Flug, |
11 |
Ihm ist die Schwing’ gebrochen, |
12 |
Die ihn sonst heimwärts trug. |
|
|
13 |
Sonst würd’ er nimmer weilen, |
14 |
Der königliche Aar, |
15 |
Sonst würd’ er wiederkehren |
16 |
Mit seiner Falkenschar.“ – |
|
|
17 |
Der Blondel sprach’s, der weiland |
18 |
In König Richards Schloß |
19 |
Mit seinem Harfenschlagen |
20 |
Der erste war im Troß. – |
|
|
21 |
„Und will ihn keiner retten, |
22 |
So rett’ ich ihn allein, |
23 |
Und muß ich mit ihm sterben, |
24 |
So soll’s nicht anders sein. – |
|
|
25 |
So leb’ denn wohl, Altengland, |
26 |
Mein schönes Heimatland, |
27 |
Ich rette deinen König |
28 |
Aus Kerkernacht und Band’. |
|
|
29 |
Ich rett’ ihn oder sterbe |
30 |
Mit meinem Löwenherz, |
31 |
Ohn’ ihn kann ich nicht leben, |
32 |
Ohn’ ihn bricht mir das Herz.“ – |
|
|
33 |
Der Blondel hat’s gesprochen, |
34 |
Und wenn’s ein Sänger spricht, |
35 |
Der hat noch nie gebrochen |
36 |
Die heil’ge Freundespflicht. – |
|
|
37 |
Den langen Pilgermantel |
38 |
Ob seinem stählern’ Kleid, |
39 |
Mit Muschelhut und Stabe, |
40 |
Ohn’ jegliches Geleit. – |
|
|
41 |
So hat ein Schiff getragen |
42 |
Ihn nach dem deutschen Gau, |
43 |
So zieht allein er weiter |
44 |
Hinab des Rheines Au. – |
|
|
45 |
Und wo ein Schlößlein raget |
46 |
Auf felsig steilem Horst, |
47 |
Und wo ein Hüttchen blinket |
48 |
Allein im dunk’len Forst, |
|
|
49 |
Da hebt er an zu singen |
50 |
Von König Richards Leid, |
51 |
Von seinem Freunde Blondel |
52 |
Und alter Herrlichkeit. – |
|
|
53 |
Und wo ein Wand’rer lauschet |
54 |
Dem liederreichen Mann, |
55 |
Da blinkt auch eine Träne, |
56 |
Die von der Wimper rann. |
|
|
57 |
Und wenn er ausgesungen, |
58 |
Dann weint so manche Maid, |
59 |
Und schaut ihm tief in’s Auge, |
60 |
Und geht voll Herzeleid. – |
|
|
61 |
Dann zieht er traurig weiter, |
62 |
Die Brust voll stillen Schmerz, |
63 |
Bis daß er wieder singet |
64 |
Von seinem Löwenherz. – |
|
|
65 |
So schwinden Tag’ und Wochen, |
66 |
Den Sänger kümmert’s nicht, |
67 |
Er schreitet munter fürder |
68 |
Bei Mond- und Sonnenlicht. – |
|
|
69 |
Wohl blickt sein Auge trübe, |
70 |
Wohl wird die Wang’ ihm bleich, |
71 |
Doch ob auch arm an Freuden, |
72 |
An Liedern bleibt er reich. – |
|
|
73 |
II. |
74 |
Zu Trifels vor dem Schlosse, |
75 |
Da hält ein Spielemann, |
76 |
Ihr kennt den treuen Blondel, |
77 |
Er ist’s, ich sag’s euch an. – |
|
|
78 |
Den langen Pilgermantel |
79 |
Ob seiner Brust voll Harm, |
80 |
Das stille Weh im Herzen, |
81 |
Das Saitenspiel im Arm. – |
|
|
82 |
So hält er an der Veste |
83 |
Im gold’nen Abendstrahl, |
84 |
Schon blinkt der Mond am Himmel |
85 |
Und Schatten wirft das Tal. – |
|
|
86 |
Da hebt er an zu singen |
87 |
Von König Richards Leid, |
88 |
Von seinem Freunde Blondel |
89 |
Und alter Herrlichkeit. – |
|
|
90 |
„O England, stolzes England, |
91 |
Mein schönes Heimatland, |
92 |
Dein Bote kehrt nicht wieder, |
93 |
Den du hinausgesandt. – |
|
|
94 |
Dein Blondel hat’s geschworen, |
95 |
Der Blondel hält sein Wort, |
96 |
Kann ich nicht mit ihm kehren, |
97 |
So siehst du mich nicht dort. – |
|
|
98 |
In all’ den grauen Burgen, |
99 |
Wovon ein Banner weht, |
100 |
In all den festen Schlössern, |
101 |
Die forschend ich durchspäht, |
|
|
102 |
Hab’ ich ihn nicht gefunden, |
103 |
O weh, nun ist es aus! |
104 |
Vielleicht in Todesnöten |
105 |
Haucht er die Seele aus. – |
|
|
106 |
Vielleicht schon längst gestorben, |
107 |
Vermodert sein Gebein, |
108 |
Und Englands größter König |
109 |
Schläft ohne Leichenstein. – |
|
|
110 |
O Johann, falscher Johann, |
111 |
Du sprichst dem Bruder Hohn, |
112 |
Dein Bruder liegt gefangen, |
113 |
Du trägst die güld’ne Kron’. – |
|
|
114 |
Dein König liegt in Ketten, |
115 |
Du trotziger Vasall, |
116 |
Doch sollt’ er wiederkehren, |
117 |
So bringt er dir den Fall. – |
|
|
118 |
An dieser grauen Veste |
119 |
Sei meines Lebens Ziel, |
120 |
Hier will ich einsam sterben |
121 |
Bei meinem Saitenspiel. |
|
|
122 |
Und wenn das Lied verhallet, |
123 |
Von dem die Saite bebt, |
124 |
Dann soll die Saite springen, |
125 |
Dann hab’ ich ausgelebt. – |
|
|
126 |
O Richard, schöner Richard, |
127 |
Wo weilest du so lang, |
128 |
O komm’ zu deinem Blondel, |
129 |
Er ruft dich mit Gesang. |
|
|
130 |
O komm’ zu deinem Blondel, |
131 |
Er hat die Brust voll Schmerz, |
132 |
Er sehnt sich nach dem Freunde, |
133 |
Nach seinem Löwenherz. – |
|
|
134 |
Ich hab’ manch’ Jahr gesungen, |
135 |
Ich zog von Ort zu Ort, |
136 |
Ich wollte dich befreien, |
137 |
Ich schwur’s mit Hand und Wort. |
|
|
138 |
Ich hab’ dich nicht gefunden, |
139 |
Mein Leben geht zu End’, |
140 |
Mein Herze ist gebrochen, |
141 |
Ich leg’s in Gottes Händ’. – |
|
|
142 |
So leb’ denn wohl, mein König, |
143 |
Leb’ wohl zur letzten Stund’, |
144 |
Die Harf’ hat ausgeklungen, |
145 |
Mich macht der Rhein gesund. – |
|
|
146 |
Und wo er ist am tiefsten, |
147 |
Da bett’ ich mich hinein, |
148 |
Dann schläft dein treuer Blondel |
149 |
Auch ohne Leichenstein.“ – |
|
|
150 |
„O Blondel, guter Blondel, |
151 |
Dein Richard ist nicht fern, |
152 |
Könnt’ ich nur zu dir eilen, |
153 |
Wie tät’ ich es so gern. – |
|
|
154 |
Die dicken Mauern hemmen |
155 |
Des kühnen Herzens Drang, |
156 |
Doch kann ich dich nicht sehen, |
157 |
Ich höre deinen Sang.“ – |
|
|
158 |
„O Gott, o Gott, mein König, |
159 |
Mein Richard Löwenherz, |
160 |
So hab’ ich dich gefunden, |
161 |
Nun endet aller Schmerz. – |
|
|
162 |
Wenn dich die Ketten drücken, |
163 |
Ich sprenge Kett’ und Band’, |
164 |
Ich führe meinen König |
165 |
Nach Englands grünem Strand.“ – |
|
|
166 |
„O Blondel, guter Blondel, |
167 |
Du lehrst mich hoffen neu, |
168 |
Schon wähnt’ ich mich vergessen |
169 |
Von aller Lieb’ und Treu’. – |
|
|
170 |
In öden Kerkernächten, |
171 |
Wie sehnt’ ich mich nach dir, |
172 |
Der Freund und meine Harfe, |
173 |
Sie fehlten beide mir.“ – |
|
|
174 |
„Sei guten Muts, mein König, |
175 |
Dein Blondel hat gewacht, |
176 |
Sie nahmen dir die Krone, |
177 |
Sie warfen dich in Nacht. – |
|
|
178 |
Sie haben dich versenket |
179 |
Bei Molch und Natternbrut, |
180 |
Doch Gottes Vaterauge |
181 |
Hielt dich in seiner Hut.“ – |
|
|
182 |
„O Blondel, guter Blondel, |
183 |
Dich hat mir Gott gesandt, |
184 |
Du wirst mich treulich führen |
185 |
Nach meinem Engeland. – |
|
|
186 |
Du wirst die Kron’ aufs neue |
187 |
Mir setzen auf das Haupt, |
188 |
Die mir der eig’ne Bruder |
189 |
So schnöde hat geraubt.“ – |
|
|
190 |
„Sei guten Mut’s, mein König, |
191 |
Kurz ist der Trennung Schmerz, |
192 |
Bald werd’ ich wiederkehren |
193 |
Gehüllt in Stahl und Erz. – |
|
|
194 |
Merk’ auf, was ich dir künde: |
195 |
Wenn jetzt die Sonne steigt, |
196 |
Und wenn sie wieder sinket, |
197 |
Wenn sich der Abend neigt, |
|
|
198 |
Dann harrst du hier am Gitter, |
199 |
O merke wohl mein Wort, |
200 |
Dann werd’ ich wiederkehren |
201 |
Mit starker Mannenhort. – |
|
|
202 |
Und wenn die Harfe klinget, |
203 |
Dann Richard, sei bereit, |
204 |
Ich bring’ dir Schwert und Panzer |
205 |
Und sicheres Geleit. – |
|
|
206 |
Bald wirst du wieder sitzen |
207 |
Auf Englands stolzem Thron, |
208 |
Und deine Harfe schlagen, |
209 |
Geschmückt mit gold’ner Kron’.“ – |
|
|
210 |
„So geh’ mit Gott, mein Blondel, |
211 |
Und ende meinen Schmerz, |
212 |
Dir wird es ewig danken |
213 |
Dein Richard Löwenherz.“ – |
|
|
214 |
Der Blondel hat’s versprochen, |
215 |
Und Blondel hielt sein Wort, |
216 |
Von jeher ist der Sänger |
217 |
Der heil’gen Treue Hort. – |
|
|
218 |
Bald trug ein Schiff sie schnelle |
219 |
Zum schönen Britenland – |
220 |
Der Aar hat wieder Flügel, |
221 |
Den Löwen hielt kein Band. – |
|
|
222 |
Hier end’t die Mär von Blondel, |
223 |
Dem treuen Spielemann, |
224 |
Prinz Johann floh geächtet, |
225 |
Ihn traf des Eidbruchs Bann. – |
|
|
226 |
Er hat nicht lang’ getragen |
227 |
Die güld’ne Königskron’, |
228 |
Dem guten Sänger Blondel |
229 |
Blieb ew’ger Treue Lohn. – |
Details zum Gedicht „Blondel vor Trifels“
Heinrich Kämpchen
57
229
1068
1909
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Blondel vor Trifels“ stammt von Heinrich Kämpchen, einem deutschen Schriftsteller und Journalisten, der von 1847 bis 1912 lebte. Das Gedicht wurde also wahrscheinlich im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert verfasst.
Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht eine sehr lange Narrative darstellt. Es erzählt die Geschichte von Blondel, einem treuen Sänger und Freund von König Richard Löwenherz. Durch die Sprache und die Erzähltechnik wirkt das Gedicht wie ein altes Epos oder eine heldenhafte Legende.
Das Gedicht erzählt die historische Geschichte, wie Blondel den gefangenen König Richard Löwenherz ausfindig macht und von seinem Plan, ihn zu befreien. Das lyrische Ich verkörpert Blondel, der seine Entschlossenheit ausdrückt, Richard zu retten, sogar wenn es ihn das Leben kostet. Die Geschichte ist geprägt von Loyalität, Mut und der unerschütterlichen Liebe zu seinem Freund und König Richard, die Blondel dazu veranlasst, auf eine abenteuerliche Rettungsmission zu gehen.
Formal besteht das Gedicht aus 57 gleichmäßigen Vierzeilern mit Paarreim. Die Sprache ist relativ einfach und erzählend, was dazu dient, die Geschichte zugänglich und leicht verständlich zu machen. Es gibt einige wiederkehrende Motive wie den Aar und den Löwen, die Richard symbolisieren, und das Singen und die Harfe, die Blondel repräsentieren.
Die wiederholten Fragen zu Beginn des Gedichts fungieren als rhetorische Mittel, um die Dramatik und das Mysterium um die Gefangenschaft von Richard zu steigern. Sowohl Blondels treues Herz und sein mutiger Spirit, als auch seine tiefe Trauer und Verzweiflung, als er glaubt, dass Richard tot sein könnte, werden durch eindringliche und emotionale Sprache zum Ausdruck gebracht.
Schließlich wird König Richard befreit und Blondel wird für seine Treue belohnt, was das zentrale Thema des Gedichts hervorhebt: die Macht der Freundschaft und Loyalität. Das Gedicht endet mit einer moralischen Botschaft, dass Verrat – repräsentiert durch Prinz Johann – letztlich zur Niederlage führt, während Loyalität – repräsentiert durch Blondel – belohnt wird.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Blondel vor Trifels“ des Autors Heinrich Kämpchen. 1847 wurde Kämpchen in Altendorf an der Ruhr geboren. Im Jahr 1909 ist das Gedicht entstanden. In Bochum ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 1068 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 229 Versen mit insgesamt 57 Strophen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Kämpchen sind „Am Weinfelder Maar“, „Am goldenen Sonntag“ und „An Annette von Droste-Hülshoff“. Zum Autor des Gedichtes „Blondel vor Trifels“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 165 Gedichte vor.
+ Mehr Informationen zum Autor / Gedicht einblenden.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Kämpchen (Infos zum Autor)
- Abend am Rhein
- Abendläuten
- Altendorf
- Am Gemündener Maar
- Am Grabe der Mutter
- Am Kochbrunnen in Wiesbaden
- Am Marienbrönnlein
- Am Rhein
- Am Weinfelder Maar
- Am goldenen Sonntag
Zum Autor Heinrich Kämpchen sind auf abi-pur.de 165 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
Freie Ausbildungsplätze in Deiner Region
besuche unsere Stellenbörse und finde mit uns Deinen Ausbildungsplatz
erfahre mehr und bewirb Dich direkt