Bist du schon auf der Sonne gewesen? von Joachim Ringelnatz

1	Bist du schon auf der Sonne gewesen?
2	Nein? — Dann brich dir aus einem Besen
3	Ein kleines Stück Spazierstock heraus
4	Und schleiche dich heimlich aus dem Haus
5	Und wandere langsam in aller Ruh
6	Immer direkt auf die Sonne zu.
7	So lange, bis es ganz dunkel geworden.
8	Dann öffne leise dein Taschenmesser,
9	Damit dich keine Mörder ermorden.
10	Und wenn du die Sonne nicht mehr erreichst,
11	Dann ist es fürs erstemal schon besser,
12	Daß du dich wieder nach Hause schleichst.

Details zum Gedicht „Bist du schon auf der Sonne gewesen?“

Gedicht-Analyse

Wir betrachten hier ein Gedicht von Joachim Ringelnatz, einem wichtigen Vertreter der literarischen Moderne, der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bis zu seinem Tod 1934 tätig war.

Beim ersten Lesen fällt die spielerische, abenteuerliche Atmosphäre auf. Das Gedicht stellt einen Dialog zwischen dem lyrischen Ich und einem Adressaten dar, der sowohl ein konkreter Gesprächspartner als auch der Leser selbst sein könnte. Die Frage „Bist du schon auf der Sonne gewesen?“ ist eine absurde, ebenso wie der Ratschlag, sich mit einem Stück Besen als Spazierstock auf den Weg zur Sonne zu machen. Die Anleitung ist offensichtlich surreal und humorvoll, lädt jedoch zum Träumen und Vorstellen ein.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht eine unglaubliche Reise, einen Ausbruch aus dem Alltag, die Erkundung des Unbekannten und Unmöglichen. Es thematisiert den kindlichen Glauben an die Machbarkeit von allem, selbst wenn es einer rationalen Betrachtung nicht standhält. Trotz der Absurdität, die Sonne zu Fuß erreichen zu wollen, fordert das lyrische Ich seinen Gegenüber auf, aufzubrechen, zu entdecken und zu träumen. Die letzten Zeilen setzen jedoch einen humorvollen, pessimistischen Schlusspunkt: Man wird die Sonne nicht erreichen können, und so sollte man die Reise bei Dunkelheit abbrechen und nach Hause zurückkehren.

Formal besteht das Gedicht aus zwölf Versen, die in einer einzigen Strophe organisiert sind. Die Zeilenlänge ist ziemlich konstant, was eine angenehme, gleichmäßige Rhythmik fördert. Es gibt kein festes Reimschema, was jedoch zu der humorvollen und unbeschwerten Atmosphäre des Gedichts beiträgt. Die Sprache ist einfach und alltäglich, die Bilder sind klar und anschaulich, was dem surrealen, Traum-ähnlichen Inhalt einen humorvollen Kontrast gibt.

Insgesamt ist die Botschaft des Gedichts zugleich absurde Anregung und humorvolle Mahnung: Man sollte das Unmögliche anstreben, unablässig neugierig sein und den Mut haben, auszubrechen und sich auf Fantasiereisen zu begeben – aber man sollte auch die Begrenztheit unserer menschlichen Fähigkeiten und die Unmöglichkeit mancher Unternehmungen erkennen. Ein typisch 'ringelnatzianischer' Humor!

Weitere Informationen

Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Bist du schon auf der Sonne gewesen?“. Ringelnatz wurde im Jahr 1883 in Wurzen geboren. In der Zeit von 1899 bis 1934 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Moderne oder Expressionismus zu. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 77 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 12 Versen. Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „Abglanz“, „Abschied von Renée“ und „Abschiedsworte an Pellka“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Bist du schon auf der Sonne gewesen?“ weitere 560 Gedichte vor.

Das Video mit dem Titel „Joachim Ringelnatz: BIST DU SCHON AUF DER SONNE GEWESEN? (Gedicht)“ wurde auf YouTube veröffentlicht. Unter Umständen sind 2 Klicks auf den Play-Button erforderlich um das Video zu starten.

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Zum Autor Joachim Ringelnatz sind auf abi-pur.de 560 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.