Der Umkehrende von Joseph von Eichendorff

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Du sollst mich doch nicht fangen,
Duftschwüle Zaubernacht!
Es stehn mit goldnem Prangen
Die Stern auf stiller Wacht,
Und machen überm Grunde,
Wo du verirret bist, Getreu die alte Runde
Gelobt sei Jesus Christ!
 
Wie bald in allen Bäumen
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Geht nun die Morgenluft,
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Sie schütteln sich in Träumen,
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Und durch den roten Duft
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Eine fromme Lerche steiget,
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Wenn alles still noch ist,
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Den rechten Weg dir zeiget
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Gelobt sei Jesus Christ!
 
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2
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Hier bin ich, Herr! Gegrüßt das Licht,
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Das durch die stille Schwüle
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Der müden Brust gewaltig bricht
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Mit seiner strengen Kühle.
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Nun bin ich frei! Ich taumle noch
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Und kann mich noch nicht fassen
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O Vater, du erkennst mich doch,
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Und wirst nicht von mir lassen!
 
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Was ich wollte, liegt zerschlagen,
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Herr, ich lasse ja das Klagen,
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Und das Herz ist still.
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Nun aber gib auch Kraft, zu tragen,
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Was ich nicht will!
 
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4
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Es wandelt, was wir schauen,
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Tag sinkt ins Abendrot,
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Die Lust hat eignes Grauen,
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Und alles hat den Tod.
 
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Ins Leben schleicht das Leiden
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Sich heimlich wie ein Dieb,
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Wir alle müssen scheiden
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Von allem, was uns lieb.
 
41 
Was gäb es doch auf Erden,
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Wer hielt' den Jammer aus,
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Wer möcht geboren werden,
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Hieltst du nicht droben Haus!
 
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Du bist's, der, was wir bauen,
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Mild über uns zerbricht,
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Daß wir den Himmel schauen
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Darum so klag ich nicht.
 
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5
50 
Waldeinsamkeit!
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Du grünes Revier,
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Wie liegt so weit
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Die Welt von hier!
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Schlaf nur, wie bald
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Kommt der Abend schön,
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Durch den stillen Wald
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Die Quellen gehn,
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Die Mutter Gottes wacht,
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Mit ihrem Sternenkleid
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Bedeckt sie dich sacht
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In der Waldeinsamkeit,
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Gute Nacht, gute Nacht!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.1 KB)

Details zum Gedicht „Der Umkehrende“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
62
Anzahl Wörter
267
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Umkehrende“ wurde von Joseph von Eichendorff verfasst, der zwischen 1788 und 1857 lebte. Basierend auf dieser Zeitspanne lässt sich das Werk der Romantik zuordnen, einer Epoche, die sich durch ein hohes Maß an Emotionalität, Religiosität und Naturverbundenheit auszeichnet.

Von Beginn an erzeugt das Gedicht eine melancholische, aber gleichzeitig hoffnungsvolle und spirituell geladene Stimmung. Es geht in erster Linie um einen inneren Konflikt und eine Transformation des lyrischen Ichs. Dabei stehen die Wechsel zwischen Dunkelheit und Licht, Verirrung und Erkenntnis, Verlust und spiritueller Annahme im Mittelpunkt.

Im ersten und zweiten Part wehrt sich das lyrische Ich gegen die Verführung der „Duftschwülen Zaubernacht“ und preist Jesus Christus. Morgenluft und eine fromme Lerche weisen den richtigen Weg. Danach, im dritten Teil, kommt es zu einer direkten Anrede an Gott und einem Bekenntnis der Schwäche und Verwirrung, jedoch auch zu einer Hoffnung auf göttliche Führung und Unterstützung. In den darauf folgenden Strophen reflektiert das lyrische Ich sein Leiden, seine Sterblichkeit und seine Vergänglichkeit, bevor es im Schlussteil in der Waldeinsamkeit in den Schlaf und die Träume eintaucht, während die Mutter Gottes beschützend über ihm wacht.

Formal gesehen folgt das Gedicht keinem strikten Reimschema und hat eine variierende Versanzahl pro Strophe, was den individuellen Tönen und Bewegungen des lyrischen Ichs und seiner emotionalen Entwicklung entspricht. Sprachlich gesehen verwendet Eichendorff poetische und symbolgeladene Ausdrücke, um das Innenleben seiner Figur auszudrücken, und greift dabei auf typische romantische Motive wie Natur, Nacht, Traum und Gott zurück.

Wie in vielen Werken Eichendorffs spiegelt „Der Umkehrende“ den romantischen Gedanken wider, dass das menschliche Leben eine Reise voller Prüfungen und Transformationen ist, die schließlich zu einer intimen Vereinigung mit dem Göttlichen führt. Trotz der Schatten von Verlust und Sterblichkeit bietet das Gedicht durch seine spirituelle Perspektive einen Trost und eine Akzeptanz, die den Kern der romantischen Weltanschauung bilden.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Umkehrende“ ist Joseph von Eichendorff. 1788 wurde Eichendorff geboren. Zwischen den Jahren 1804 und 1857 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Literaturepoche der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die damalige Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Romantikern zuwider. Sie stellten sich in ihren Schriften gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. Wesentliche Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Weitere Motive sind das Fernweh, die Todessehnsucht oder das Nachtmotiv. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Mysteriöse, Geheimnisvolle und galt als Quelle der Liebe. Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Kunst und Architektur des Mittelalters wurden von den Romantikern wieder geschätzt. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über die Form als auch über den Inhalt des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die starren Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken ist zu beobachten.

Das Gedicht besteht aus 62 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 267 Worte. Die Gedichte „Kurze Fahrt“, „Lied“ und „Mondnacht“ sind weitere Werke des Autors Joseph von Eichendorff. Zum Autor des Gedichtes „Der Umkehrende“ haben wir auf abi-pur.de weitere 395 Gedichte veröffentlicht.

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